Vietnam: Vergangenheit und Gegenwart in Parallelmontage

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Haus in der Hanoier Altstadt
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moderne Ausfallstraße mit Mosaikschmuck

Obwohl der Krieg schon über dreißig Jahre zurückliegt, zählt Vietnam immer noch zu den ärmsten Ländern der Welt, trotz aller wirtschaftlichen Fortschritte: Das Jahres-Einkommen lag 2010 bei 435 US-Dollar pro Person. Es hatte sich seit 1990 allerdings fast verdreifacht. Die Wachstumsrate des BIP beträgt über 7 Prozent jährlich, die Industrieproduktion wächst um ca. 10 Prozent pro Jahr. Diese Zahlen zeugen von der enormen Tatkraft der Menschen dieses Landes. Das Ziel ist der Aufbau moderner Infrastrukturen und die Belebung der Wirtschaft, um die Armut zu beseitigen und für alle Menschen gute Lebensbedingungen zu schaffen. Dieser Prozess ist in vollem Gang und längst nicht abgeschlossen

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Ahnenaltar auf dem Dorf
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in einem Bauernhaus bei Tam Dao

Deshalb lebt man in Vietnam parallel auf mehreren Zeitebenen. Im Dorf vermischen sich Buddhismus und Ahnenkult mit einer revolutionären Tradition, die mit dem Krieg nicht zu Ende gegangen ist. Gleichzeitig dringt, nach einer Periode der Isolierung durch Krieg und Boykott, die westliche Konsumwelt in das Land ein. Am sichtbarsten ist dies in der Stadtarchitektur, wo das Alte vom Neuen geradezu überwuchert wird, aber auch auf dem Land müssen Äcker und Reisfelder Industrieparks und Einkaufszentren weichen.

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an einer Straße im Französischen Viertel von Hanoi
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Werbetafeln an der Straße zum Flughafen Noi Bai

Vietnam ist trotz aller Wirtschaftsentwicklung im Bewusstsein seiner Bewohner und der Welt immer noch das Synonym für einen der schrecklichsten Kriege unserer Zeit. Bis zu 500.000 hochgerüstete US-Soldaten und Söldner aus 15 Ländern standen zwischen 1965 und 1975 in Vietnam und versuchten, nach einer Aussage des US-Generals Curtis LeMay, "das Land in die Steinzeit zurück zu bomben". Die Bilanz: 3 Millionen Tote, 600.000 Invalide und 800.000 Waisen. Dazu unvorstellbare materielle Schäden: Alle Brücken und Bahnhöfe zerstört oder schwer beschädigt, die meisten Schulen und Industriebetriebe durch Bomben verwüstet. Viele Schäden sind behoben und nicht mehr sichtbar, aber es bleibt noch eine vorerst nicht endende Last aus dem Krieg: Inzwischen schon in der vierten Generation und bis in eine ungewisse Zukunft hinein leiden viele Menschen, auch und vor allem Kinder, an den Folgen der dioxinhaltigen Entlaubungsmittel (Agent Orange), die über Vietnam versprüht wurden. Immer noch werden behinderte Kinder geboren oder kommen tot auf die Welt, weil das Gift in die Erbanlagen eingedrungen ist, und es gibt kein Mittel dagegen.

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Kindheit auf dem Dorf
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Agent Orange-Opfer

In der neuen, globalisierten Welt ist Vietnam als Handelspartner willkommen. Es hat landwirtschaftliche Produkte und billige Arbeitskräfte zu bieten. Man versucht einzuführen, was man hier "sozialistische Marktwirtschaft" nennt. Private Unternehmen koexistieren mit staatlichen, in der Textilindustrie wird für den Export gearbeitet, aber auch Energiegewinnung und Schwerindustrie entwickeln sich. Die Bevölkerung vermehrt sich, die Städte vergrößern sich, große Häuserblocks sollen Platz zum Leben bieten.

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Neues Wohngebiet in Hanoi
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Schiffswerft in Haiphong

Vietnam versucht, ein würdiges Mitglied der Staatengemeinschaft zu werden. Dazu muss es im Eiltempo Entwicklungschritte vollziehen, für die andere Länder viele Jahrzehnte gebraucht haben. Neben positiven Modernisierungen sind Ungleichzeitigkeiten und Ungerechtigkeiten die wohl unvermeidlichen negativen Begleiterscheinungen. Zur Normalität gehört aber auch, dass die Künste sich allmählich Freiheiten erobern, die Religionen blühen, und dass es Menschen gibt, die sich kritisch gegenüber den neuen Ausrichtungen äußern.

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Kirche der Cao Dai-Sekte bei Cu Chi
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Katholische Kathedrale in Phat Diem

Auch wenn man es im touristischen Alltag nur selten merkt: Der Krieg ist für die Menschen in Vietnam immer noch Bezugspunkt ihrer Erfahrungen und ihres Geschichtsbewusstseins. Gerade deswegen darf er auch bei uns, vor allem angesichts aktueller Entwicklungen in der Weltpolitik, nicht in Vergessenheit geraten. Leider hat die Öffentlichkeit im "Westen" selten die Gelegenheit, sich über dieses Land, seine Fortschritte und seine Probleme aus erster Hand zu informieren. Presse und Medien berichten oft immer noch aus der Perspektive des Kalten Krieges, in dem Vietnam als ein Feind galt. Hier will die Freundschaftsgesellschaft Vietnam ein argumentatives Gegengewicht setzen. Vietnams neuere und ältere Geschichte, seine Kultur, seine Kunst, und das Alltagsleben, die Bedürfnisse und Träume seiner Menschen den Bürgern in unserem Land näher zu bringen, ist unser Anliegen.

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Am Thu Bon-Fluss in Hoi An
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Speiseeis-Verkaufsstand in der Mittagspause

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