Die Neue Pazifik-Ordnung

Die Karten in dieser geopolitisch so wichtigen Region
werden neu gemischt.

Jürgen Adam

Vietnam ist Teil eines großen politischen und wirtschaftlichen Raums, des Pazifiks oder pazifischen Ozeans, zu dem die Länder gehören, die an seinen Küsten liegen: im Osten Nord-, Mittel- und Südamerika, und im Westen Ostasien, Südostasien und Australien.

Im Westen sind das (von Nord nach Süd): Rußland, Korea, China (einschließlich Taiwan), Vietnam, Kambodscha, Thailand, Myanmar (Burma), Malaysia und dessen große und kleinere Inselstaaten, Japan, Philippinen, Teile von Malaysia, Indonesien, Brunei, Australien und Neuseeland. Im Osten liegen: Kanada, USA, Mexiko, die mittelamerikanischen Staaten sowie Kolumbien, Ecuador, Peru und Chile.

Die Vorherrschaft über diesen Raum war in der Vergangenheit oft Anlaß für große Kriege. Vor allem China, Japan und die USA sowie die ehemaligen europäischen Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich und Holland, aber auch Korea und Vietnam haben sie geführt. Die europäischen Kolonialmächte haben ihre Rolle im pazifischen Raum mit dem Ende und den Folgen des zweiten Weltkriegs ausgespielt. Die USA sind an ihre Stelle getreten. Jetzt scheint es so, als würden die Karten neu gemischt: China, das historisch lange als Weltmacht wirksam war, dann diese Rolle aber abgeben mußte, meldet sich gewaltig zurück. In historisch extrem kurzer Zeit ist die Volksrepublik (VR) China mit ca. 1,35 Mrd. Einwohnern zu einer der größten und wichtigsten Nationen aufgestiegen: auf der einen Seite immer noch Entwicklungsland, auf der anderen Seite eine der größten Exportwirtschaften, Inhaber riesiger Devisenreserven (Gegenwert 3,2 Billionen US-$) und wichtigster Gläubiger der mächtigsten Volkswirtschaft, den USA, Hoffnung der EU für die Rettung des Euro-Währungssystems, aufsteigende militärische Großmacht und expandierende ökonomische Weltmacht bei der Eroberung und Beherrschung der Rohstoffmärkte. Im südchinesischen Meer läßt es seine Muskeln spielen (Vgl. VNK 2/2011 S. 44 ff.). Außerdem meldet auch Indien seine Ansprüche an und hat in den letzten Jahren seine weltökonomische Stellung verändert.

Die USA, die für sich seit dem Ende des zweiten Weltkrieges die fast uneingeschränkte Vormachtstellung im pazifischen Raum als selbstverständlich in Anspruch genommen und vermeintliche Angriffe dagegen militärisch oder sonst gewaltsam zu unterdrücken versucht haben (u.a. Kriege in Korea und Indochina, mörderische Diktatur in Indonesien), sehen sich ganz neuen Herausforderungen gegenübergestellt. In ihrem Bestreben, die Ausweitung des chinesischen Einflusses einzudämmen, versuchen sie, neue Allianzen zu schmieden und sich Staaten als Schutzmacht anzudienen, die ihrerseits Angst vor einer allzu starken Großmacht China haben. In diesem Machtgeflecht versucht auch Vietnam, seine Rolle neu zu definieren. Alle Beteiligten sind bestrebt, offene Auseinandersetzungen nicht eskalieren zu lassen. Nadelstiche wechseln einander ab mit diplomatischen Beschwichtigungen und immer neuen Versuchen, mit zwischenstaatlichen Bündnissen und Zusammenschlüssen die eigenen Positionen zu verbessern.

Inzwischen überzieht ein ganzes Geflecht von zwischenstaatlichen Zusammenschlüssen und – teils noch in Entstehung begriffenen – Kooperationvereinbarungen den südostasiatischen Raum. Nachfolgend eine stark geraffte und nicht vollständige Zusammenstellung:

  • ASEAN (Association of South East Asian Nations / Vereinigung der südostasiatischen Nationen), gegründet 1967 von Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand, später beigetreten: Brunei (1984), Vietnam (1995), Laos, Myanmar (Burma) (1997) und Kambodscha (1999); mehrere Unterorganisationen.1
  • ASEAN Community (Asiatische Gemeinschaft). Zu dieser vorerst vagen Vorstellung einer Zusammenarbeit gibt es ein über 100 Seiten langes Positionspapier mit politischen Zielvorstellungen für 2009 – 2015.2
  • ASEAN plus 3: ASEAN-Staaten + Japan, Südkorea, VR China; 1997 gegründeter Zusammenschluß mit jährlichen Konferenzen.
  • ASEAN plus 6: ASEAN plus 3 zuzüglich Australien, Indien und Neuseeland; 2007 gegründeter Zusammenschluß mit dem Ziel wirtschaftlicher Zusammenarbeit.
  • ASEAN plus FTA: bezeichnet ein Freihandelsabkommen zwischen ASEAN und der VR China
  • ASEAN plusplus FTA ist ein noch nicht endgültig abgeschlossenes Freihandelsabkommen zwischen ASEAN und VR China sowie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland.
  • APEC (Asia Pacific Economic Cooperation / Asien-Pazifik-Wirtschaftszusammenarbeit): gegründet 1989.3 Gründungsmitglieder waren USA, Kanada, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, Thailand, Brunei, Malaysia, Singapur, Indonesien, Philippinen. Später traten bei Peru, Chile, Mexico, VR China, Hongkong, Taiwan, Papua-Neuguinea, Vietnam und Rußland
  • EAS (East Asian Summit / Ostasiatischer Gipfel)
  • FTAAP (Free Trade Area of the Asia Pacific / Freihandelszone des asiatischen Pazifik)
  • TTP (Trans Pacific Partnership / Trans­pazifische Partnerschaft) Mitglieder: USA, Australien, Vietnam, Malaysia, Brunei, Chile, Peru, Neuseeland
  • SEATO (South East Asian Treaty Organization) gegründet 1954, aufgelöst 1977. Die SEATO war ein überwiegend militärisches Bündnis zur „Abwehr der Ausbreitung des Kommunismus“ in (Süd-) Vietnam, Laos und Kambodscha, Mitglieder: USA, Großbritannien, Frankreich, Australien, Neuseeland, Pakistan, Thailand und Philippinen.
  • Neuorientierungen nach dem Krieg

    Nach dem Ende der unmittelbaren militärischen Beteiligung der USA am Krieg in Vietnam und den indochinesischen Nachbarländern, und nach dem Ende des Krieges 1975, nach der Auflösung der SEATO, die Teil einer eindeutigen Blockbildung war, nach dem Zusammenbruch des von der UdSSR dominierten sozialistischen Lagers und der Neuorientierung Chinas auf einen wirtschaftlichen Aufstieg geriet das Mächteverhältnis in Südostasien in Bewegung.

    Es gab den wirtschaftlichen Aufstieg der so genannten Tigerstaaten. Auch Vietnam setzte – durch den Krieg verspätet – mit der Doi Moi genannten Bewegung bisher gefesselte Kräfte frei. Eines der wirtschaftlichen Hauptziele dieser Phase lautete: Schaffung von Freihandelszonen, Beseitigung aller Markthindernisse, absoluter Vorrang der Herrschaft der „Marktgesetze“. Alle drängten in die WTO (World Trade Organisation / Welthandelsorganisation4), die viele Vorteile, aber auch erhebliche Risiken mit sich brachte: Freien Zugang zu den Märkten der Welt einerseits, freien Zugang des frei zirkulierenden globalisierten Kapitals zu den Märkten der neu zugehörigen Länder, vorübergehend gemildert durch Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen.

    In Vietnam zeigte sich seit dem Beginn von Doi Moi (1986) eine stetige Entwicklung der Einbindung des Landes in die nicht mehr blockgebundenen internationalen Zusammenschlüsse. Der Prozeß umfaßte internationale Vertragssysteme, multilaterale und binationale Abkommen bis schließlich zum Beitritt zu ASEAN (1995), zur APEC (1998), zur WTO (2007). Im November 2006 richtete Vietnam erstmals das Gipfeltreffen der APEC in Hanoi aus.

    Das große Ziel hinter allen Bestrebungen in Südostasien ist die ASEAN COMMUNITY, eine südostasiatische Gemeinschaft in Anlehnung an das Modell EU, also mehr als eine reine Handelsgemeinschaft, nämlich eine ökonomisch-politisch-militärische Union. Die USA wollen da nicht abseits stehen und stoßen auf eine bemerkenswerte Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Bei ihrem ersten Vietnam-Besuch 2010 erklärte Außenministerin Hillary Clinton „We are back“(Wir sind wieder da).

    Der vietnamesische Außenminister Pham Binh Ninh erklärte zu den Zielen der Außenpolitik seines Landes in einer Rede vor dem US Council of Foreign Relations in New York am 27.9.2011 u. a. folgendes:

    „Vietnams erfolgreiche nichtständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 2008/2009, der Vorsitz von ASEAN 2010, die Zusammenarbeit mit anderen Staaten und den Vereinten Nationen auf verschiedenen Gebieten (Nukleare Sicherheit, Klimawandel, Erreichung der Millennium-Ziele), aktive Bestrebungen zur Teilnahme an friedens­erhaltenden Operationen und aktive Teilnahme an den Verhandlungen über eine transpazifische Partnerschaft sind Bestandteile unserer Außenpolitik.

    Wir wollen unsere außenpolitischen Beziehungen weiter vertiefen, unsere Verbindungen mit führenden Partnern heraufstufen und mit den wichtigen Staaten und globalen ökonomischen Zentren strategische Partnerschaften begründen. Solche Partnerschaften haben wir mit Rußland, China, Indien, Japan, Korea, Großbritannien und Spanien begründet. Ich hoffe, daß Vietnam in naher Zukunft strategische Partnerschaften auch mit anderen wichtigen Staaten einschließlich der USA abschließen wird.

    Wir arbeiten mit den ASEAN-Staaten daran, auf der Grundlage des ASEAN-Vertrages in eine neue Ära der Kooperation zu gelangen in dem Bestreben, bis 2015 eine ASEAN COMMUNITY zu schaffen, die auf drei Säulen beruht: Politik und Sicherheit, Wirtschaft und soziokulturelle Angelegenheiten.Wir hoffen, darüber hinaus eine Partnerschaft zwischen ASEAN und größeren Mächten durch verstärkten Dialog, Zusammenarbeit, Aufbau von Vertrauen und vorbeugender Diplomatie voranzubringen, um dauerhafte Mechanismen und Strukturen zu entwickeln, durch die Frieden, Stabilität und eine nachhaltige Entwicklung in der Asien-Pazifik-Region gesichert werden. Wir heißen die Politik aller Staaten einschließlich der USA willkommen, die eine wachsende Zusammenarbeit mit asiatischen Staaten anstreben.

    Zur Umsetzung unserer Außenpolitik betrachten wir die USA als einen führenden Partner von strategischer Bedeutung. Als Präsident Bill Clinton und Ministerpräsident Vo Van Kiet  vor 16 Jahren beschlossen, unsere Beziehungen zu normalisieren, war es schwer vorstelbar, daß unsere Beziehungen eines Tages den jetzigen Zustand der Entwicklung erreichen würden. Dialog und ein Mechanismus von Konsultationen haben sich eingespielt unter Schaffung eines stabilen Netzwerks für das ständige Wachstum der bilateralen Beziehungen auf verschiedenen Gebieten, von den politisch-diplomatischen Beziehungen über Wirtschaft und Handel zu Sicherheit, nationaler Verteidigung, Kultur, Erziehung, Wissenschaft und Technologie, humanitäre Hilfeleistung usw. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist derzeit der Glanzpunkt in unseren beiderseitigen Beziehungen mit einem Handelsvolumen von mehr als 18 Mio. US-$. Immer mehr US-amerikanische Unternehmen, darunter führende Gesellschaften, investieren in Vietnam und weiten dort ihre Märkte aus. Es bestehen enorme Potentiale für unsere ökonomische Zusammenarbeit, weil beide Seiten zusammen mit anderen Partnern über die transpazifische Partnerschaft verhandeln, eines der größten Freihandelsabkommen der Region Asien-Pazifik.

    Auch auf anderen Gebieten der Zusammenarbeit sind eindrucksvolle Fortschritte erreicht worden, vor allem auch bei den zwischenmenschlichen Beziehungen. Die USA sind zur Zeit das bevorzugte Ziel für über 13.000 Studenten, während Vietnam ein beiebtes Ziel für amerikanische Touristen ist. Beide Seiten arbeiten gut zusammen bei der Suche nach Vermißten5 und bei humanitären Aktivitäten auf den Gebieten AIDS/HIV, Beseitigung von Landminen und Lösung der Agent Orange/Dioxin-Probleme. Auch die Zusammenarbeit auf dem Gebiet Sicherheit und Verteidigung hat positive Fortschritte gemacht. Der zweite Dialog über Verteidigungspolitik hat kürzlich in Washington D.C. stattgefunden, bei der erstmals eine gemeinsame Vereinbarung (Memorandum of Understanding) über Verteidigungs-Zusammenarbeit unterzeichnet worden ist.

    Aufbauend auf der positiven Entwicklung der Beziehungen stehen Vietnam und die USA in Gesprächen über eine Heraufstufung der Beziehungen mit dem Ziel einer strategischen Partnerschaft. Im Juli 2010 hat Außenministerin Hillary Clinton aus Anlaß des 15. Jahrestages der Normalisierung der Beziehungen die Botschaft von Präsident Obama mitgebracht, daß die USA bereit seien, unsere Beziehungen heraufzustufen mit dem Ziel einer strategischen Partnerschaft. Ich bin überzeugt, daß es nun mehr als je zuvor an der Zeit ist, unsere Zusammenarbeit in die nächste Phase zu bringen. Ich hatte gestern  ein sehr produktives Zusammentreffen mit Außenministerin Clinton zu diesem Thema. Ich bin überzeugt, daß diese weitere Verstärkung unserer Beziehungen uns dabei helfen wird, eine „positive, freundschaftliche, konstruktive, von gegenseitigem Respekt und gegenseitigem Vorteil geprägte Beziehung für Frieden, Stabilität und Entwicklung“ zu verwirklichen, wie es in der gemeinsamen Erklärung unserer politischen Führer heißt. Wir haben außerdem im Blick, daß eine bessere Partnerschaft USA-Vietnam nicht nur bedeutet, gleichgelagerte gegenseitige Interessen zu fördern, sondern es müssen auch die gegensätzlichen Interessen berücksichtigt werden im Geist des Verständnisses und in Respekt vor Unabhängigkeit und Souveränität.“6 Wenn man die üblichen diplomatischen Floskeln unbeachtet läßt, kann man jedenfalls erkennen, wohin die Reise gehen soll.

    Die Beteiligten sind sich offenbar darüber im klaren, daß die Bildung neuer stabiler Zusammenschlüsse und Bündnisse nicht einfach sein wird. Welche Schwierigkeiten ein Zusammenschluß sehr unterschiedlich entwickelter und ökonomisch strukturierter Staaten mit sich bringt, lässt sich leicht am gegenwärtigen Zustand der EU und besonders der Euro-Zone darstellen.

    Schwierige Positionsbestimmungen

    Der letzte APEC-Gipfel fand im November 2011 unter Leitung der USA mit Präsident Obama in Honolulu (Hawai/USA) statt. Er war gekennzeichnet von Auseinandersetzungen zwischen den USA und der VR China über handelspolitische Fragen. China widersetzte sich den USA in der Frage der Herabsetzung der Zölle für umweltfreundliche (grüne) Waren und Dienstleistungen auf höchstens 5 %. Dabei ging es insbesondere um Solarzellen. Die USA beschweren sich über aus ihrer Sicht unfaire Handelspraktiken Chinas. Ferner beschweren sie sich schon seit Jahren über die angebliche Unterbewertung der chinesischen Währung (Renminbi/Yuan) – ein Dauerthema zwischen den USA als einem der Hauptkunden chinesischer Waren und Hauptschuldner in Bezug auf US-amerikanische Staatsanleihen und der VR China. China lehnt seit langem eine Aufwertung ihrer Währung gegenüber dem US-Dollar in dem von den USA gewünschten Umfang ab, u.a. weil das zu einer Schwächung der chinesischen Außenhandelsposition führen würde. Tatsächlich ist der Yuan seit Juni 2010 gegenüber dem US-Dollar um nominal 7,5 %, inflationsbereinigt um 12 % aufgewertet worden. Das genügt den USA nicht, die auch gegenüber Japan und Südkorea angebliche staatliche Währungseingriffe beanstanden. Immerhin erklärte Ministerpräsident Wen Jibao Chinas Bereitschaft, den Kurs des Yuan im Verhältnis zum US-Dollar weiter zu flexibilisieren

    Gegenstand der Verhandlungen auf (oder neben) der APEC-Konferenz war die angestrebte Erweiterung der TTP (s.o.). Die TTP wurde 2006 von Singapur, Brunei, Chile und Neuseeland gegründet. Hauptsächlich die USA haben auf eine Erweiterung dieses Zusammenschlusses gedrängt. Einbezogen werden sollen die USA, Japan, Australien, Vietnam, Peru und Malaysia. Hier soll es in Honolulu zu Vereinbarungen gekommen sein.

    Bei diesem neuen Zusammenschluß von neun Staaten innerhalb der APEC auf beiden Seiten des Pazifik, darunter Vietnam, soll es um weitgehende Regelungen gehen, die über den Abbau von Zöllen und sonstigen Handelshemmnissen weit hinausgehen: Sicheren Marktzugang für „Finanzdienstleister“ und Investitionen, Abbau von Regulierungen, Regeln für Staatsunternehmen und arbeits- sowie sozialpolitische Fragen. Näheres ist darüber noch nicht bekannt. Es könnte jedoch auf eine erheblich intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit u.a. der USA und Vietnams unter Ausschluß Chinas hinauslaufen, das der TTP nicht angehören soll. Hingegen erklärte Japan, daß es der TTP-Gruppe beitreten wolle. Wirtschaftlich maßgebliche Kreise in den USA machten schon deutlich, daß ein Beitritt Japans zu der TTP-Gruppe voraussetze, daß Japan seine Politik der Marktabschottung aufgeben müsse (so etwa der Autohersteller Ford). Japan will u.a. sein Gesundheitssystem, seine Landwirtschaft und seine ländliche Kultur vor einem uneingeschränkten ausländischen Marktzugang schützen. Ob Vietnam sich bewußt ist, ob und wie es seine Wirtschaft vor den stärkeren Marktkräften der künftigen Vertragspartner schützen kann, darüber kann man nur spekulieren.

    Die gesamte Entwicklung macht deutlich, daß sich die südostasiatischen Staaten einschließlich Vietnam zur Abwehr chinesischer Machtansprüche den USA annähern, zugleich aber versuchen, auch mit der VR China gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten.

    Bei den Erklärungen von Präsident Obama zur Umstrukturierung der Verteidigungspolitik der USA und zur Kürzung der Militärausgaben in den kommenden Jahren vom 5. Januar 2012 stellten er und seine führenden Militärs klar, daß es eine Verringerung der Militärpräsenz der USA in Europa geben werde, dafür aber eine Verstärkung im pazifischen Raum. Australien wird  auf seiner asiatischen Seite von den USA militärisch verstärkt. Indonesien erhält – gebrauchte – US-Kampfflugzeuge. Indien wird beim Aufbau seiner Nuklearindustrie unterstützt. Die erstaunlichen Öffnungsbewegungen in Myanmar, verbunden mit Hilfszusagen der USA, verändern die Ausrichtung eines bisher nur von der VR China gestützten Staates. Auf seiner Reise im November besuchte Obama Australien und sagte dort: „Wir sind hier um zu bleiben“.

    Die verdeckten Machtkämpfe zwischen der VR China und ihren Nachbarn halten an. Neben den chinesischen Ansprüchen im südchinesischen Meer (u.a. Spratley und Paracel-Inseln)7 gibt es auch zwischen der VR China und Japan immer wieder Streit um Fischereirechte und damit verbundene Streitpunkte. Nach entsprechenden Vorfällen im Herbst 2010 nahm Anfang November 2011 die japanische Küstenwache den Kapitän eines chinesischen Fischereischiffs fest, der in japanische Hoheitsgewässer eingedrungen sein soll. Dabei geht es u.a. um einen Territorialstreit um die Inselgruppe Senkaku (Diaoyutai), die von Japan verwaltet, aber von China beansprucht wird. China wirft Japan vor, zu weit nach Süden vorstoßen zu wollen. Insgesamt scheint es sich um Territorialkonflikte zu handeln, die schon bei pazifischen Kämpfen im zweiten Weltkrieg eine Rolle gespielt haben, und die durch die Machtverteilung nach dessen Ende nicht geregelt worden sind. Die Verhältnisse sind wieder in Bewegung geraten und ein Ende ist nicht abzusehen.

    Vietnam und die VR China haben wie schon so oft im Oktober 2011 eine diplomatische Zwischenlösung vereinbart. Die Außenministerien beider Länder unterzeichneten einen Sechspunkteplan. Das Abkommen sieht u. a. zweimal jährlich Konsultationen vor, ferner die Einrichtung einer direkten Telefonverbindung („Rotes Telefon“) zwischen den Regierungszentralen für „Notfälle“.

    Quellen: VNS, FAZ passim sowie die genannten und andere Internetadressen

    Anmerkungen:
    1 http://www.aseansec.org/
    2 http://aseansec.org/publications/RoadmapASEAN Community.pdf
    3 http://www.apec.org
    4 World Trade Organisation / Welthandelsorganisation, Sitz in Genf, 1994 gegründet mit dem Ziel der Liberalisierung des internationalen Handels. Mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds IWF ist die WTO einer der drei Weltwirtschaftsorganisationen, die u.a. eine große Rolle bei der Globalisierung gespielt haben.
    5 Gemeint sind MIA, vermißte US-Soldaten.
    6 Wortlaut nach der Website des Außenministeriums der SR Vietnam: http://www.mofa.gov.vn/en
    7 vgl. VNK 2/2011

    veröffentlicht im Vietnam Kurier 3-4/2011

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