Le Huu Trac (1720 – 1791)

Sein Vater Le Huu Muu stammte aus der Provinz Hai Hung und hatte bei den Mandarinats-Examina den Doktortitel (tien si) verliehen bekommen. Unter der Herrschaft von Le Du Tong wurde er Vizeminister. Le Huu Trac wurde einem Dorf im Distrikt Huong Son, Provinz Nge Tinh geboren, wo er fast sein Leben lang wohnte. Bis zum Alter von 20 Jahren studierte er in Thang Long (Hanoi) und war als ein brillanter Gelehrter, talentierter Dichter und Reisender bekannt.

Zu der Zeit war seine Heimat in Bürgerkriege verwickelt zwischen den Trinh und den Nguyen. Die Bauern erhoben sich immer wieder gegen das feudalistische Regime. Le Huu Trac hatte keinen Gefallen an öffentlichen Ehrungen und versuchte nicht, eine Karriere als Mandarin zu machen. Das hat ihm den Spitznamen "Der Faulpelz" eingebracht. Er widmete dreißig Jahre seines Lebens der Einführung eines nationalen Gesundheitswesens, das ganz auf vietnamesischen Theorien, Behandlungsmethoden und Medikamenten bestand. Seine wissenschaftlichen Untersuchungen wurden gesammelt in der großen „Abhandlung über die medizinischen Kenntnisse des Hai Thuong” (Pseudonym von Le Huu Trac), das 66 Lieferungen umfaßt.

Sein berühmtestes Werk, „Die Reise in die Hauptstadt” (Thuong kinh ky su) wurde am Ende dieser großen Fachpublikation veröffentlicht. In diesen Reisenotizen schildert Le Huu Trac, was er am Hofe in Thang Long gesehen hat, als er sich dorthin begab, um Trinh Can zu behandeln, den Erbprinz des Königs Le Trinh Sam. Es ist ein Gemälde des luxuriösen und untätigen Lebens der aristokratischen Klasse sowie eine Beschreibung der Hauptstadt in der Zeit der Herrschaft der Le-Dynastie. Dabei teilt er uns auch mit, wie er alle erdenklichen Anstrengungen unternahm, um sich vom höfischen Streben nach Ehre und Privilegien fernzuhalten und sich ausschließlich seinen medizinischen Studien zu widmen. Wahrscheinlich haben seine Gedanken auch den sechsjährigen Prinzen beeinflußt, der bekanntermaßen nie König werden wollte.

Le Huu Trac kann als ein vietnamesischer Aufklärer des 18. Jahrhunderts gelten. Als Vorwort zu seinem über 40 Jahre hinweg entstandenen großen medizinischen Traktat formulierte er moralische Verhaltensregeln für die Arbeit jener „humanitären Künstler”, als die er die Ärzte sah. Diese ethischen Prinzipien könnte man noch heute manchen Standesvertretern ins Stammbuch schreiben. Hier ein Auszug:

Die Medizin ist eine humanitäre Kunst
Einige Regeln für die medizinische Berufsehre

Le Huu Trac

Wenn er zu mehreren Kranken zugleich gerufen wird, soll der Arzt sich nach der Schwere der Fälle entscheiden, wen er zuerst besucht. Wenn es sich um die Reihenfolge der Besuche und die Auswahl der Medikamente handelt, darf er keinen Unterschied machen zwischen Reichen und Armen, Starken und Schwachen. Wenn man sich diesen Punkt nicht zur Herzensangelegenheit macht, wie will man dann alle Möglichkeiten der ärztlichen Wissenschaft anwenden?

Um jedes Mißverständnis auszuschließen muß jede Untersuchung einer Frau, einer Witwe, einer Bonzin stets in Gegenwart einer dritten Person erfolgen. Selbst wenn es sich um Berufssängerinnen handelt1, muß man ein reines Herz behalten, sie wie junge Mädchen aus guter Familie behandeln. Vermeidet jede Anstößigkeit oder Schlüpfrigkeit, um eure Berufsehre nicht zu beschädigen, und laßt euch nicht zur Unzucht verführen.

Den Nächsten zu retten muß die größte Sorge des Arztes sein. Er darf sich nicht Vergnügungen hingeben, keine Lustreisen unternehmen und sich nicht betrinken. Wenn man ihn in seiner Abwesenheit wegen eines schweren Falls aufsuchte, würde er nämlich die Erwartungen des Patienten enttäuschen und diesen in Lebensgefahr bringen. Deshalb muß der Arzt erfüllt sein von dem Wesen seiner Mission. Einem schweren Fall gegenüber muß er alle seine Kunst aufwenden um ihn zu heilen; Es ist allerdings wichtig, daß er den Verwandten die Wahrheit über den Kranken sagt, ehe er mit der Behandlung beginnt. Das Geld, das ihm diese (für Medikamente) anvertrauen, muß er bis zum letzten Sou ausgeben. Auf diese Weise wird man, wenn das Mittel sich als wirkungsvoll erweist, die Reinheit seiner Absichten verstehen; Im gegenteiligen Fall wird man ihm nicht böse sein und keinerlei Verdacht hegen. Und der Arzt braucht nicht vor sich selbst zu erröten.

Seid bescheiden euren Kollegen gegenüber, höflich, zuvorkommend, vermeidet jede verächtliche oder arrogante Haltung. Respektiert die Alten, behandelt diejenigen, die kultiviert sind wie Mei­ster, rivalisiert nicht mit den Stolzen, helft denjenigen, die euch unterlegen sind. Mit einem ehrlichen Herzen und festen Tugenden wird euch das Glück heimsuchen.

Nehmt euch insbesondere der bedürftigen Familien an, den Witwen, den Waisen. Die Reichen werden immer einen Arzt zur Verfügung haben, die Armen haben nicht das Geld, gute Heilkundige zu sich einzuladen. Warum solltet ihr zögern, euer Herz für einen Augenblick zu öffnen und das Leben eines Armen zu retten. Denjenigen frommen Söhnen und musterhaften Schwiegertöchtern, die infolge ihrer Armut Krankheiten zum Opfer gefallen sind, gebt neben den Medikamenten nach euren Möglichkeiten auch eine materielle Hilfe. Denn diese Kranken können oft trotz guter Behandlung aus Nahrungsmangel nicht überleben. Wer vom Himmel die Mission empfangen hat, Arzt zu sein, muß das Leben anderer bedingungslos pflegen, damit er würdig ist, diese „menschliche Kunst” auszuüben. Aber gegenüber Strolchen und Wüstlingen, die wegen ihrer Unzucht krank geworden sind, ist jedes Mitleid unnötig.

Rechnet nicht mit Geschenken und Einladungen von Kranken, die ihr gesund gemacht habt. Solche Geschenke fesseln euch. Umso mehr, als die Reichen und Mächtigen launenhaft sind und zwischen Freundlichkeit und Zorn unvermutet wechseln. Der Heiligenschein, den sie euch aufsetzen, muß oft durch Demütigungen bezahlt werden. Den anderen aus Eigeninteresse gefallen zu wollen bringt nur Ärger. Die Medizin ist eine ehrenhafte Profession und der Arzt muß sich eine hochstehende Seele bewahren.

***

Wenn ich über diese Richtlinien nachdenke, die uns die Weisen vergangener Zeiten2 hinterlassen haben, Gebote, die zur Humanität erziehen sollen, Mitleid, Barmherzigkeit, dann finde ich, daß sie ausreichend und gut begründet sind. Die Medizin ist im Ganzen gesehen ein Mittel, um die humanitären Tugenden in die Praxis zu überführen. Sie versucht, menschliches Leben zu bewahren, sie bringt uns dazu, die Freuden und Leiden anderer zu teilen. Ihre Mission ist das Retten von Menschen, ohne eigene Interessen, eigenen Ruhm.

Es geschieht nicht selten, daß man heute Ärzte findet, die sich durch Lügen und List Geld zu verschaffen suchen. Sie erpressen diejenigen, deren Verwandte an sehr schweren Krankheiten leiden, die in der Nacht oder bei Sturm und Regen kommen, um sie zu rufen. Bei gutartigen Krankheiten behaupten sie, daß diese schwer seien. Solches Handeln ist einfach unehrlich. Was soll man über Ärzte sagen, die Himmel und Erde in Bewegung setzen, wenn sie Reiche behandeln, in der Hoffnung einen hohen Profit zu machen, während sie diejenigen, die in Strohhütten wohnen, mit Kälte behandeln und sie mit ihrem Übel allein lassen?

Wehe! Wenn man diese „humanitäre Kunst” in eine Kunst der Betrügerei und Räuberei verwandelt und mit den „menschlichen Gefühlen” Geschäfte macht, dann werden die Lebenden euch verfluchen und die Öffentlichkeit wird euch das nicht verzeihen.

Ich habe es seit langem aufgegeben, nach hohen Ehren zu streben und lasse stattdessen meine Seele im Strom der Flüsse und Wolken treiben. Die Alten sagten: „Wenn man kein guter Minister sein kann, dann sollte man schnell ein guter Arzt werden”. Also habe ich bei mir beschlossen, alle meine Energie zusammenzunehmen, und das zu tun, was es verdient, getan zu werden, meine Kenntnisse im Beruf zu vertiefen, um so viele Menschen in Not wie möglich zu retten, damit ich nicht vor mir selbst erröten muß, wenn ich zum Sternenhimmel aufblicke und vor der Unendlichkeit der Erde stehe.

In der Ausübung meiner Kunst ist es mir passiert, daß ich, außer bei hoffnungslosen Fällen, die das Schicksal zu verantworten hat, machtlos zusehen mußte, wie sich Krankheiten, die als heilbar gelten, zum Schlechten entwickelten. Solange man nicht wirklich alle Anstrengungen gemacht hat, verdient man nicht das Vertrauen der Leute. Aber in solchen Fällen blieb mir nichts anderes übrig, als nutzlose Seufzer auszustoßen und mich dem Himmel zu empfehlen.

Meister Viet hat gesagt: „Das Geld mehr zu achten als den Menschen, ist oft der zweite Grund für das Versagen des Arztes. Fehlende Lebensmittel und schlechte Kleidung (beim Kranken) ist der dritte Grund.”3

Während die anderen hinter dem Geld her sind, so sollten wir dem Menschen den Vorzug geben. Und wenn dem Kranken das Allernötigste fehlt, kommen wir ihm zu Hilfe. Wenn wir so handeln, können wir viele Fälle heilen. Oh, wie schwer ist es, zugleich reich an Geld und reich im Herzen zu sein! Solange das Geld und die physischen Möglichkeiten nicht von ihm abhängen, kann der Arzt nur die Hälfte dessen geben, was ihm möglich wäre.

Anmerkungen:
1 die im alten Vietnam einen ähnlich schlechten Ruf hatten wie die Geishas in Japan.
2 vor allem aus China
3 Bien Thuc (Tran Viet Nhan) war ein berühmter chinesischer Arzt aus der Tschau entsieu-Periode (770-475 v. Chr.)

Auszug aus dem Vorwort zur Abhandlung über die medizinischen Kenntnisse des Hai Thuong (Y tong tam linh).
Quelle: Nguyen Khac Vien und Huu Ngoc: Littérature vietnamienne. Historique et textes, Hanoi 1979, S. 274-277,
übersetzt von Günter Giesenfeld

veröffentlicht im Vietnam Kurier 1/2012

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