Heuchelei und Unnachgiebigkeit

Frontlinien der Agent Orange Kontroverse

Wayne Dwernychuk

Zwischen 1961 und 1971 wurden vom US-Militär über Südvietnam mehr als 77 Millionen Liter Herbizide versprüht unter dem Code-Namen „Operation Ranch Hand”. Diese Aktion war eine Kriegshandlung, die die schlimmsten Folgen für das Land und die Menschen in Vietnam bis heute ausgelöst hat. Und die öffentliche Diskussion über das, was manche ein Kriegsverbrechen nennen, ist bis heute nicht abgebrochen. Nach wie vor stehen die Fronten einander starr gegenüber. Eine Zwischenbilanz vor dem Hintergrund neuer bekannt gewordener Dokumente.

Vietnam hat schon sehr früh, als die Operation Ranch Hand noch lief, darauf hingewiesen, daß die Gesundheit der Menschen durch das Versprühen der Entlaubungsmittel stark beeinträchtigt werde. Die US-Regierung hält nach wie vor an ihrem schon Jahrzehnte alten Mantra fest, es gebe keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis, daß der Einsatz von Agent Orange in Vietnam Erbschäden und Fehlgeburten zur Folge gehabt oder irgendwelche anderen Gesundheitsschäden hervorgerufen habe. Offizielle Vertreter der US-Regierung lehnen es ab, vietnamesische Studien oder Erfahrungsberichte entgegenzunehmen mit dem Argument, diese seien nicht exakt genug, um einen Zusammenhang zwischen den von der US-Army genutzten Herbiziden und den gesundheitlichen Folgen nachzuweisen, vor allem, wenn dieser Zusammenhang zur Begründung von Beschuldigungen oder Schadensersatzforderungen angeführt wird.

Das US-Department für die Belange der Kriegsveteranen (DVA) leistet US-Vietnamveteranen allerdings sehr wohl Entschädigungszahlungen für gesundheitliche Beeinträchtigungen, die, wie man vorsichtig formuliert, „möglicherweise” vom Kontakt mit Agent Orange in Vietnam herrühren.

Mindestens einer der Gesundheitsschäden, für den Schadenersatz geleistet wird, hat eine genetische Komponente: spina bifida1. Es erscheint widersprüchlich, daß die USA die Gesundheitsprobleme in Vietnam ignorieren und zugleich ihren eigenen Veteranen Schadensersatzzahlungen leisten, wenn sie an einer Erkrankung leiden, die vom Kontakt mit den Herbiziden herrühren, wenn auch nur „möglicherweise”. Diese Vermutung ist die Folge einer Untersuchung des Medizinischen Instituts der USA (IOM), das eine Liste von Krankheiten veröffentlicht hat, die es als „vermutlich” mit Agent Orange zusammenhängend einstuft. Diese Einschätzung wird von der DVA als Grund für Schadensersatz anerkannt. Wenn ich es richtig verstehe, wird nach dieser Klassifizierung einem US-Veteranen dann eine Entschädigung zugesprochen, wenn
1) er/sie nachweisen kann, daß er oder sie in der Zeit des Vietnamkriegs in den US-Streitkräften Dienst getan hat,
2) er/sie nachweisen kann, daß er oder sie in dieser Zeit in Vietnam ein­gesetzt war,
3) er/sie beweisen kann, daß die entschädigungspflichtige Krankheit nach diesem Dienst aufgetreten ist, und
4) er/sie ehrenhaft aus dem Militär ausgeschieden ist.

Es sollte darauf hingewiesen werden, daß die vom IOM erstellten Kriterien in Bezug auf den Kontakt mit Agent Orange2 auf der „vermutlichen Wahrscheinlichkeit” eines Zusammenhangs beruhen und nicht auf einem „Beweis von Ursache und Wirkung”. Die „Wahrscheinlichkeit” des Zusammenhangs wird auf Basis der Literatur bestimmt, nach toxikologischen und epidemiologischen Studien, die den Kontakt mit Dioxin oder Herbiziden betreffen (und zwar in den USA von Feldarbeitern, Waldarbeitern, Arbeitern in der chemischen Industrie).

Die „Ranch Hand Studie”, eine der umfassendsten und systematischsten epidemiologischen Untersuchungen zum Thema, wurde dann in die Kategorisierung der IOM einbezogen. Die Ranch Hand Studie wurde von der US Air Force durchgeführt, um die Häufigkeit und Art der von Vietnam Veteranen beklagten negativen Auswirkungen auf die Gesundheit auszuwerten, und ob diese Auswirkungen mit Agent Orange oder anderen militärischen Herbiziden in Zusammenhang gebracht werden könnten, die während des Vietnamkriegs eingesetzt worden sind.

Die DVA geht davon aus, daß es einen „vermutlichen Kontakt” schon in dem Augenblick gegeben haben kann, in dem man seinen Fuß auf vietnamesischen Boden gesetzt hat. Entschädigung wird dann bezahlt, wenn die genannten vier Bedingungen erfüllt sind, und wenn die Krankheit auf der genehmigten „Kompensationsliste” der DVA steht. Dieses Herangehen räumt in der Tat ein, daß eine Beziehung (im Sinne des Entschädigungsverfahrens) existiert zwischen dem Kontakt und den gesundheitlichen Folgen. Wenn aber diese „Beziehung” von der DVA für die US-Vietnamveteranen eingeräumt wird, warum dann nicht für die Vietnamesen in Bezug auf dieselben Krankheiten, die zu der Zeit des oder nach dem Kontakt zu Agent Orange auftreten?

Die USA haben diese Frage offensichtlich nie gestellt, oder wollen sie nicht stellen. Stattdessen fordern sie hartnäckig strengere Kriterien für die Menschen in Vietnam als für die US-Veteranen, das heißt, sie behaupten unbeirrbar, daß es „keinen bewiesenen Zusammenhang” zwischen dem Kontakt und den Gesundheitsfolgen in Vietnam gebe.

Am 10. März 2002 unterzeichneten die USA und Vietnam eine Übereinkunft (Memorandum of Understanding MOU), in der umfassende Untersuchungen über die Gesundheit und Studien zu den Umweltfolgen des Einsatzes von Agent Orange vorgesehen sind. Obwohl die die Umwelt betreffenden Teile der Übereinkunft ansatzweise realisiert und einige wertvolle Informationen gewonnen wurden, verwickelte man sich bei den die Gesundheit der Menschen betreffenden Teilen in Kontroversen und Meinungsverschiedenheiten über das Protokoll. Die Gespräche wurden abgebrochen ohne jeden Versuch, zu einer Kooperation zu kommen bei der Untersuchung der Gesundheitsfolgen der Herbizide im Konfliktfeld Vietnam.

Alles schon lange bekannt

[Neuere Forschungen und neu zugängliche Dokumente haben jedoch zutage gefördert, daß man an den entscheidenden Stellen im politisch-ökonomischen Umfeld der Herstellung der Herbizide schon früh um die Folgen wußte.3

Daten über das Auftreten von Geburtsfehlern bei Labortieren, die 2,4,5-T, einem der Komponenten von Agent Orange, ausgesetzt wurden, hatten interessanterweise am Ende dazu geführt, daß das Ranch Hand Programm abgebrochen wurde. Chemische Konzerne, die Agent Orange herstellten, haben immer behauptet, nichts zu wissen über die möglichen Folgen für die menschliche Gesundheit. Indessen kann man in einem „vertraulichen” Memorandum vom 24. Juni 1965, verfaßt von V. K. Rowe, Mitarbeiter im biochemischen Forschungslabor von Dow Chemical, folgendes lesen:

„Wie Sie sehr wohl wissen, hatten wir ernsthafte Probleme in unseren Herstellungsbetrieben wegen der Kontamination des 2,4,5,-Trichlorphenol (2,4,5-T) mit Verunreinigungen, vor allem mit dem besonders aktiven 2,3,7,8,-Tetrachlorodibenzodioxin (TCDD). Dieser Stoff ist extrem giftig; er hat ein gewaltiges Potential zur Verursachung von Chlorakne4 oder systemischen Schäden.5 (…)6 Ich sorge mich in diesem Zusammenhang besonders um die Personen, die mit diesem Material täglich bei ihrer normalen Arbeit zu tun haben. Die gesamte 2,4,5-T-Industrie würde schwer getroffen, wenn dies bekannt würde, und ich rechne in diesem Fall mit restriktiven Gesetzen, in dem Sinn, daß das Material verboten oder sehr streng überwacht wird. Ich hoffe, daß Sie sehr verantwortlich mit diesen Informationen umgehen. Es könnte uns große Schwierigkeiten bereiten, wenn sie falsch interpretiert oder mißbraucht würden.”

Die Feststellung seitens der Industrie, daß TCDD „extrem giftig” sei und „ein gewaltiges Potential zur Verursachung von Chlorakne oder systemischen Schäden” aufweise, ist ein unbestreitbares Eingeständnis der Gefahr, die mit den Herbiziden verbunden sind. [...] Solche Vorfälle wurden zum ersten Mal übrigens schon im Jahre 1897 an deutschen Industriearbeitern beschrieben.

Die Feststellung, daß auch „systemische Schäden” sehr wahrscheinlich sind als Folgen des Kontakts mit Herbiziden (TCDD) bedeutet eigentlich, daß der ganze menschliche Körper in der Gefahr steht, ernsthafte Schäden an kritischen Systemen oder Organen zu erleiden.

Die erste Klage gegen die Hersteller

Dr. Gerson Smoger, der Anwalt der von Dioxinschäden betroffenen Vietnamveteranen7 wandte sich an den Supreme Court der Vereinigten Staaten mit dem Antrag, die chemischen Firmen direkt zu verklagen wegen der Gesundheitsfolgen, die durch den Kontakt mit den Herbiziden verursacht wurden. Im März 2009 wurde eine Entscheidung bekannt gegeben, in der das Recht auf eine solche Klage abgewiesen wird. Dr. Smoger schrieb einen Brief an alle beteiligten Parteien, in dem er das böswillige Verhalten der Chemiefirmen darstellte vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sie genau Bescheid wußten über die giftige Beschaffenheit von 2,4,5-T.

Dr. Smogers Aufzählung der Beweise in diesem Brief enthält unter der Nummer 3 die Feststellung, daß, soweit er es in Erfahrung habe bringen können, die US-Regierung sich nicht der giftigen Beschaffenheit von 2,4,5-T und/oder Agent Orange bewußt gewesen sei.

Jedoch lassen andere Dokumente andere Schlüsse zu. Zusätzlich zu dem klaren Eingeständnis der Chemiefirmen, daß ihnen sehr wohl bekannt war, wie giftig das Dioxin ist, das parallel zu 2,4,5-T produziert wurde, gab es eine Mitteilung, von der ich nur schwer verstehen kann, daß sie bei der Diskussion um die Verantwortlichkeit eine so geringe Rolle gespielt hat.

Am 9. September 1988 schickte Dr. James R. Clary einen Brief an den Senator Tom Daschle. Dr. Clary war in den Jahren 1962 bis 1965 Forschungswissenschaftler bei der Abteilung für chemische Waffen in der US-Air Force. Dr. Clarys Argumente in diesem Brief waren die folgenden:

„Als wir (die Militärwissenschaftler) das Herbizidprogramm in den 1960er Jahren initiierten, waren wir uns sehr wohl des Schädigungspotentials bewußt, das die Anreicherung von Agent Orange mit Dioxin darstellte. Wir wußten auch, daß die „militärische Version” eine noch höhere Dioxinkonzentration hatte als die „zivile”, bedingt durch den Druck, kostengünstig und schnell zu produzieren. Indessen war niemand von uns besorgt, war das Material doch für den „Feind” bestimmt. Wir haben niemals die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß auch unser eigenes Personal mit dem Herbizid in Kontakt kommen könnte. Und selbst wenn wir daran gedacht hätten, so hätten wir darauf vertraut, daß unsere Regierung den Veteranen, die vergiftet würden, helfen würde.”

Dieses Eingeständnis eines früheren Wissenschaftlers des US-Militärs, der mit dem Ranch Hand Programm befaßt war, ist ein klarer Beweis dafür, daß diejenigen, die mit der Durchführung des Programms betraut waren, (d.h. in erster Linie die US-Regierung) sich sehr wohl der möglichen Folgen des Kontakts mit Agent Orange bewußt waren und daß deshalb die Behauptung der US-Regierung, sie habe nichts gewußt, falsch ist.

Der oben zitierte Satz von Dr. Clary taucht auch in dem Report auf, den Admiral Zumwalt8 im Mai 1990 dem Sekretariat der DVA übermittelte, und in dem die Organisation auf die nachteiligen Gesundheitseffekte durch den Kontakt mit Agent Orange aufmerksam gemacht wird. Das Statement von Dr. Clary scheint in den darauf folgenden Debatten untergegangen zu sein, in denen es genau um diese Frage des giftigen Charakters von Agent Orange ging.

Dr. James Clary hat mich kürzlich (im Dezember 2011) kontaktiert, weil er über meine Arbeiten zu Agent Orange in Vietnam gehört hatte. Bei unseren Telefongesprächen wurde deutlich, daß Dr. Clary zutiefst bedauerte, nicht mehr tun zu können, und daß keinerlei Anstrengungen unternommen worden seien, um sowohl den US-Vietnamveteranen noch denjenigen Teilen der vietnamesischen Bevölkerung zu helfen, die gleichermaßen an den Folgen dieser Kontakte leiden müssen (…) vor allem wenn man sich vor Augen führt, daß die Giftigkeit des Dioxins schon sehr früh bei der Ausarbeitung des Ranch Hand-Programms bekannt war.

Dr. Clary gab mir einen kurzen Überblick über seine Aktivitäten im Zusammenhang mit Agent Orange, als er noch in der chemischen Waffenindustrie tätig war (persönliche Informationen vom 23. Januar 2012):

„Ich war der Hauptautor der ADO 42-Studie (Advanced Development Objective) für chemische Waffen, und diese befaßte sich auch mit dem Design der A/A45Y-1 (Tanks für die Versprühung von Herbiziden), die letztlich dann auf den C-123 (Agent Orange Sprühflugzeugen) installiert wurden. (…) Wir befaßten uns mit der Entwicklung der Hardware und testeten sie. (…) Wir arbeiteten eng mit der US-Army zusammen (…), um zu einem „angemessenen Gleichgewicht” zu kommen bei der Mischung der verschiedenen „Agents” und der Hardware. […] Ich bin auf viele sachdienliche Dokumente aus den frühen 1960er Jahren gestoßen, meist Korrespondenz zwischen Dow oder Dia Shamrock9 und der Army.

Dr. Clary hat sich in einem persönlichen Gespräch am 21. Januar 2012 gewünscht, die Vietnamveteranen sollten wissen, daß „ich versucht habe, das Richtige zu tun.” Damit ist die Kontaktaufnahme mit dem Büro von Senator Daschle10 gemeint, und die Information darüber, was das US-Militär wußte. (...)

„Vielleicht ist es ja auch nur so, daß ich ein wenig besser schlafen kann, wenn ich weiß, daß mindestens ein Wissenschaftler des Programms (der Abteilung für chemische Waffen) Skrupel hatte und hat und daß er bedauert, daran teilgenommen zu haben. (…) Ich hätte nicht so naiv sein dürfen, zu glauben, daß unsere Regierung sich wirklich um die GIs kümmern würde, die sich vergiftet haben. Und die Armen (Opfer) in Vietnam tun mir sehr leid, denn ich weiß, daß sehr viele unter den Auswirkungen gelitten haben und noch immer leiden.”

Dr. Clary erwähnte mir gegenüber auch ein Dokument, das er am 13. Juli 1971 für das Projekt CHEO (Contemporary Historical Examination of Current Operations) über Ranch Hand erstellt hatte. Es trug den Titel: „Herbizid-Operationen auf Südostasien” und war als „geheim” markiert. Dieser synoptische Bericht legte das Ranch Hand Programm in Umrissen dar: [Es folgt ein komplettes Inhaltsverzeichnis u.a.: „Herbizid Projekte in Laos 1965-1069”].

Während der Jahre des Einsatzes sind in Ergänzung des Reports von 1971 verschiedene Aspekte dieses Dokuments in anderen Veröffentlichungen erschienen. Das gesamte Dokument jedoch wurde bis zum 15. August 2006 geheim gehalten, 35 Jahre nachdem es geschrieben worden war. Es ist klar, daß die Inhalte dieses Berichts für die US-Regierung peinlich gewesen wären, wenn sie im Jahre 1971 veröffentlicht worden wären. Es war seit langem bekannt, daß das spezielle Dioxin in Agent Orange, TCDD, extrem giftig ist, daß es nicht abbaubar ist und Krebs verursacht. Im August 1997 machte die „International Agency for Research on Cancer”, eine Unterabteilung der World Health Organisation (WHO) diesen Befund über TCDD bekannt. Es gibt gewichtige Gründe zu glauben, daß die US-Regierung diese Befunde „indirekt” akzeptiert. Sonst würde sie nicht Millionen von Dollars bewilligt haben für die Hilfe bei der Säuberung der Dioxinvergiftung auf der früheren Ranch Hand Militärbasis in Da Nang.

Denn wenn Dioxin (wie stets behauptet wird) keine potentielle Gefährdung menschlichen Lebens in Vietnam wäre, warum haben sich die USA dann dazu entschlossen, Vietnam bei der Entseuchung von Da Nang zu helfen? Ich unterstelle also, daß die USA faktisch die Gefahren von Dioxin anerkennen – im Zusammenhang mit dem Beschluß, Vietnam zu helfen – nicht aber, wenn es um die Bestimmung von „Entschädigungen” geht. Es ist also heuchlerisch, vietnamesische Krankheiten als nicht vergleichbar mit denen der US-Veteranen hinzustellen. Das hartnäckige Bestehen der USA auf absoluten Beweisen eines Ursachen-Folgen-Zusammenhangs in Sachen Agent Orange erscheint unerschütterlich. Ein solcher Nachweis wird bei der Entschädigung der US-Vietnamveteranen nicht verlangt, eine „vermutete Verbindung” zwischen Kontakt und Krankheit genügt, um Entschädigungsansprüche anzuerkennen. Insofern widerspricht die US-Politik den betroffenen Personen in Vietnam gegenüber direkt der US-Politik gegenüber den betroffenen US-Veteranen.

Versöhnlichere Töne?

Mißtrauen bestimmt nach wie vor das Verhältnis zwischen den USA und Vietnam, auch wenn das Eis zu tauen scheint, was die kürzlichen Hilfezusagen für die Säuberungsaktion und andere humanitäre Beiträge der USA anzudeuten scheinen.

Im Februar 2003, ein Jahr nachdem das MOU zwischen den USA und Vietnam unterzeichnet worden war, schickte der damalige Botschafter der USA ein „unklassifiziertes”11 Memo an das US-Außenministerium, das jedoch als „heikel” („sensitive”) gekennzeichnet war. Es sollte auf die „Einschätzung der vietnamesischen Haltung” in Bezug auf das MOU aufmerksam machen. Das zwölf Seiten lange Memorandum stellt im Detail dar, daß nach Meinung des Botschafters Vietnam im wesentlichen selbst verantwortlich sei für das Scheitern der die Gesundheit betreffenden Teile des MOU. Aber die sich in diesem Text ausdrückende harte Haltung war wohl schon nicht mehr allgemein anzutreffen. Man war in den USA schon zu einer verständnisvolleren Einschätzung gelangt, was die vietnamesische Notlage bezüglich Umwelt und Gesundheit anbelangt.

In dem erwähnten diplomatischen Memorandum wird auch festgestellt, daß die Vietnamesen nicht bereit seien, Studien zu anerkennen, in denen behauptet wird, die aus der Luft besprühten Regionen Vietnams seien keine Regionen, die ein unmittelbares Eingreifen erforderten, weil das Ausmaß der Vergiftung dort sehr niedrig sei. Die Absicht Vietnams war es stets, herauszustellen, daß die Dioxinkontamination offensichtlich in ganz Südvietnam sehr hoch ist. Dies und die weitere klare Sorge Vietnams betreffend die früheren Militärbasen als dioxinhaltige „hot spots”, die eine sofortige Säuberung nötig erscheinen ließen, widerlegten die Behauptungen des Botschafters.

Wie bereits erwähnt haben die politischen Stellungnahmen zwischen den beiden Regierungen in der Agent Orange-Kontroverse nach und nach einen versöhnlicheren Ton angenommen, in Richtung auf Kooperation und Konzilianz. Und bin ich der Meinung, daß die USA unter harten Druck geraten werden, ihre bisherige harte Haltung aufzugeben, was Ursachen und Folgen angeht, und zwar ungeachtet dessen, ob es überzeugende Beweise gibt – und daß sie zugeben müssen, wie widersprüchlich ihre Haltung ist, vietnamesische Bürger nicht zu entschädigen, die ähnliche Krankheiten aufweisen wie sie für US-Vietnamveteranen als Grund für Entschädigungszahlungen anerkannt werden.

Vielleicht ist die Zeit gekommen, den nur sehr schwer erreichbaren Anspruch aufzugeben, mit langwieriger und unzweifelhaft kostspieligen Gesundheitsuntersuchungen den Zusammenhang zwischen den Agent Orange-Kontakten und den Gesundheitsfolgen in Vietnam zu ermitteln. In der wissenschaftlichen Welt ist längst unbestritten, daß Komponenten von Agent Orange höchst giftig sind und ernsthafte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben können. Diese Tatsache müßte ausreichen, vorwärts zu gehen und Vietnam bei seinen Schwierigkeiten mit den Dioxinvergiftungen zu helfen, ohne den drohenden Zeigefinger zu erheben. (...)

Finanzielle Mittel, die nötig würden, wollte man einen endgültigen Ursache-Folgen-Zusammenhang erforschen zwischen dem Kontakt mit Agent Orange und den Krankheiten, sollten lieber für die dringend erforderlichen humanitären Zwecke in Vietnam eingesetzt werden. Viel Gutes könnte getan werden ohne den Zwang, einen „strengen Beweis für den Zusammenhang zwischen Ursache und Folgen” erbringen zu müssen. Vietnamesische Opfer kämpfen mit dem Erbe von Agent Orange und sehen sich einer ungewissen Zukunft gegenüber; Sie brauchen sofortige Hilfe, und dogmatische Beweisforderungen sollten nicht als Hinderungsgrund genutzt werden, die dringend erforderliche Linderung der menschlichen Not abzulehnen.

Anmerkungen:
1 Eine Mißbildung der Wirbelsäule
2 Hier verkürzt für: mit dem Bestandteil TCDD von Agent Orange
3 [] Auslassungen der Red. mit einer Zusammenfassung des Inhalts.
4 Schwere Hauterkrankung
5 Allgemeine, mehrere wichtige Organe betreffende Schäden
6 () Auslassungen im Original
7 Im Prozeß von 2007-9, vgl VNK 1/2008
8 Admiral Elmo Zumwalt war 1970 bis 1974 Oberbefehlshaber der US-Navy. Sein Sohn, Soldat in Vietnam, starb 1988 an den Folgen von Agent Orange. Zumwalt hat später sein Bedauern darüber ausgedrückt, an dem Agent Orange-Programm beteiligt gewesen zu sein.
9 Diamond Shamrock, chemische Fabrik in Cleveland (Ohio)
10 Thomas A. Daschle, war 1986 bis 1998 Demokratischer Senator aus South Dakota.

Quelle: Hypocrisy and intrasigence – Mainstays of the Agent Orange controversy. Manuskript vom 2. Februar 2012.
Wayne Dwernychuk ist Umweltwissenschaftler in British Columbia, Kanada.
Übersetzung Günter Giesenfeld

veröffentlicht im Vietnam Kurier 1/2012

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