Heilung durch Scientology-Methoden?

Die Sekte bietet sich als Helfer gegen Dioxin-Vergiftung an.

Stefan Kühner

Zwanzig Agent Orange-Opfer wurden nach vietnamesischen Presseberichten Anfang September 2012 in ein Krankenhaus in Hanoi gebracht, um sie einer "Entgiftung" zu unterziehen. Sie waren zuvor von Experten der kanadischen Hatfield-Gruppe auf Dioxin-Verseuchung untersucht worden.

Bereits vor 6 Jahren hatte die Hatfield Consultants Company damit begonnen, von Bewohnern, die in der Nähe des Flughafens Da Nang wohnten, Blutproben zu entnehmen und diese zu untersuchen. Die Untersuchten nutzten Wasser aus Brunnen, die in Gebieten liegen, die im Vietnamkrieg mit Agent Orange besprüht wurden. Bei 62 untersuchten Personen war nachgewiesen worden, dass sie sich mit der hochgiftigen Chemikalie Dioxin vergiftet hatten. Vier von diesen Personen sind inzwischen verstorben, zwei an Krebs erkrankt. Die Untersuchungsergebnisse waren erst kürzlich in die Öffentlichkeit gelangt und haben die Bevölkerung der betroffenen Gebiete schockiert. Der Flughafen Da Nang ist ein sogenannter Agent Orange-Hot Spot. Dies sind Gebiete, die am stärksten mit Dioxin vergiftet sind, weil dieses dort gelagert und umgeladen wurde.

Dr. Hoang Manh An, Direktor des Militär-Krankenhauses 103, der in seiner Klinik die Opfer behandeln wird, erklärte: „Der Bericht der Hatfield-Experten zeigt, dass bei einigen Opfern extrem hohe Dioxin-Werte im Blut festgestellt wurden. Aber auch andere, deren Dioxin-Werte nicht über dem Alarmwert lagen, zeigten klare Symptome von Dioxin-Vergiftungen.

Die nun vorgesehene Methode zur Dioxinentgiftung beruht auf Schwitzkuren und Entschlackung. Durch wiederholte Saunagänge und durch gezielt hervorgerufenes Ausscheiden von Stuhl und Urin sollen die Agent Orange-Opfer von Dioxin befreit werden. Die Methode beruht auf Ron Hubbard und nennt sich Rundown- oder Hubbard-Methode.1

Die Methode sei schon in vielen Ländern und bei vielen Krankheiten angewendet worden und sehr erfolgreich, berichteten die Zeitungen. In Vietnam werde sie nun erstmals zur Behandlung von Dioxin eingesetzt, erklärt Dr. Hoang Manh An.

Nur eine falsche Hoffnung?

Schon die Beschreibung der Therapie lässt Zweifel aufkommen. Wie soll durch Saunagänge und Abführtherapien unter Verabreichung hoher Dosen von Vitamin B3 (Niazin), Mineralien und Ölen, jahrelang eingelagertes Dioxin ausgeschwemmt werden?

Zudem handelt es sich nicht um eine speziell für solche Fälle entwickelte Methode. In der Literatur von Scientology wird sie als Voraussetzung für die geistige ‚Reinigung’ nach Ron Hubbard beschrieben. Mit Dianetik2 und Scientology soll also gegen die Vergiftung mit Dioxin und Agent Orange vorgegangen werden. In verschiedenen Veröffentlichungen, auch im Internet, wird von verblüffenden Erfolgen berichtet. Die Quellen gehören allerdings zur einschlägigen Scientology-Literatur und die Autoren sind zumeist bekennende Anhänger der Sekte.

Der kanadische Agent Orange-Experte Wayne Dwernychuk nahm unmittelbar nach der Publikation dieser Nachrichten dazu Stellung. Er schreibt in einem online-Kommentar:
„Dioxin-Entgiftung des menschlichen Körpers … dies ist lächerlich. Keine der vorgeschlagenen Vorgehensweisen kann die Dioxin-Moleküle aus dem Fettgewebe von Menschen herauslösen. Eine solche Behauptung erzeugt nur falsche Hoffnungen bei den Menschen”. Und: „Für die Wirksamkeit der Methode gibt es keinerlei Beweise und schon gar nicht speziell im Falle des Dioxins. Die Medizin vertritt mehrheitlich die Auffassung, dass die natürliche Ausfilterung (von Schadstoffen) ein sehr langwieriger Prozess ist. Jedes Versprechen, dass auf diese Weise ein schnelles Ausscheiden von Dioxin erreicht werden könne, ist albern.“3

Auch andere Experten aus den USA äußern sich sehr kritisch zu dem Versuch, die fatalen Folgen von Agent Orange mit der Hubbard-Methode zu ‚heilen’. Marcella L. Warner, Wissenschaftlerin und Epidemiologin an der Universität von California, Berkeley, erklärte dazu in der Presse: „Ich würde nicht erwarten, dass die Methode den Dioxin-Gehalt im Körper der Menschen, die damit behandelt werden, reduziert.”4 Warner beschäftigt sich in Langzeitstudien mit den Auswirkungen von Dioxin auf die Gesundheit. Obwohl sie mit dem konkreten Behandlungsprogramm in Vietnam nicht befasst ist, sagt sie, die Behandlung durch Schwitzkuren und Übungen sei kein effektiver Weg, das Gift aus dem Körper zu bringen.

Scientology hat übrigens schon früher versucht, ihre Methoden zu verbreiten, so z.B. bei der Behandlung des sogenannten Golfkrieg-Syndroms oder bei anderen psychischen Reaktionen auf traumatisierende Erlebnisse. David Carpenter, Direktor des Instituts für Umwelt und Gesundheit an der Universität Albany hat im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums geprüft. Er erklärt. „Scientology hat diese Methode bei Soldaten und Feuerwehrleuten angewendet, die am 11.09.2001 nach dem Einsturz der Türme des World Trade Centers in New York im Einsatz waren. Obwohl solche Berichte erklären, die Behandlung sei erfolgreich, zweifelt Carpenter. Er kritisiert, dass die (positiven) Berichte vor allem von Patienten stammen, die Mitglieder der Scientology-Kirche seien. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Fehlen von Kontrollgruppen bei den Behandlungen durch die Scientologen.5

„Das Scientology-Entgiftungsprogramm – teuer, unbewiesen und gefährlich“6. Die Scientology-Kirche verkaufe derzeit weltweit dieses Programm für teures Geld. Die hohen Gaben an Niazin in der Rundown-Behandlung seinen außerdem gefährlich. Das US Institut für Gesundheit warne davor, dass hohe Dosen von Niazin erheblich Nebenwirkungen haben können.7

Bedenken äußert sogar der Sprecher der amerikanischen Botschaft in Hanoi, Christopher Hodges in einem Gespräch mit der New York Times8. Die US-Regierung stehe diesem Entgiftungsprogramm kritisch gegenüber, heißt es dort. Man kenne keine sichere und effektive Methode für Menschen, die sich mit Dioxin vergiftet haben. Der gute Rat, der anschließend gegeben wird, ist allerdings eher zynisch: „Der beste Weg, sich vor dem Gift zu schützen, ist, sich ihm nicht auszusetzen“.

Die Erklärung von Hodges löste in Vietnam heftige Proteste aus. Die Zeitung Thanh Nien stellt unter der Schlagzeile „The Agent Orange story you didn’t read in the Times”9 die berechtigte Frage, ob die vielen Millionen Agent Orange Opfer nun etwa in einer Zeitmaschine, in die Vergangenheit vor der amerikanischen Aggression zurückreisen und das Land verlassen sollen, bevor die Amis ihre Kriegsverbrechen beginnen? […] Keiner in der New York Times und den Zeitungen, die den Bericht weltweit weiterverbreiten, schreibt die Story, die zuerst stattfand – nämlich die Story über die Vergiftung Vietnams“.

Auch Fullers Andeutung, der Zusammenhang zwischen der Agent Orange-Berührung und den Krankheiten sei nicht geklärt, und die vietnamesischen Opfer „glaubten” dies nur, sei eine Beleidigung dieser Opfer, so die Zeitung.

Und Scientology?

Die Rolle der Hubbard-Sekte in diesem Fall ist derzeit noch unklar. Wer aber mit der Vorgehensweise dieser Sekte vertraut ist, erkennt sehr schnell, dass hier dieselbe Bauernfängerei vorliegt, die stets angewendet wird. In ihrer (Mitglieder-) Werbung spricht Scientology sehr häufig Menschen an, die sich in einer persönlichen Krise befinden. Durch Kurse und die sogenannte Rundown-Methode verspricht sie Entgiftung bei Drogenabhängigen und ein Verschwinden von nahezu allen Symptomen bei psychischen Krankheiten. Die Runddown-Methode ist exakt die Vorgehensweise, die jetzt in Vietnam bei den Agent Orange- Opfern angewendet werden soll, sie ist untrennbar mit der Scientology-Ideologie verbinden.

Vietnamesische Medien haben versucht, Licht in das Dunkel zu bringen, blieben dabei leider erfolglos. Man stellte vor allem zwei Fragen:
Wer wählte die Opfer aus?
Genauer: Wie und durch wen wurden die 23 Personen ausgewählt, die an der Behandlung im Militärhospital teilnehmen?

General Nguyen Van Rinh, Vorsitzender der VAVA erklärte, seine Organisation sei an diesem Projekt nicht beteiligt, und fügte hinzu, er vermute, dass „Office 33“ die Aktion verantworte. „Office 33“ ist eine staatliche Organisation, die für die Koordination von allen Hilfsprogrammen bezüglich Agent Orange verantwortlich ist. Sprecher von „Office 33“ verneinen allerdings ebenfalls jede Beteiligung. Solche Ungereimtheiten innerhalb konkurrierender vietnamesischer Institutionen sind nichts Neues, und Scientology scheint dies zu wissen und auszunutzen.

Nguyen Thi Hien, die Vorsitzende von VAVA in Da Nang, die die Patienten zur Behandlung nach Hanoi begleitete, sagte auf Nachfragen, man habe ihr eine Liste mit den 23 Namen der Patienten übergeben. Sie wisse aber nicht, wie diese Personen ausgesucht worden seien und wer das Projekt bezahle. Sie sei lediglich darüber informiert worden, dass die Behandlung für die Patientinnen und Patienten kostenfrei sei.

Aus dem Krankenhaus, das die Behandlung durchführt, kommen abweisende Antworten. Dr. Hoang Manh An, der Chef der Klinik, weist Vermutungen zurück, hinter dem Projekt stehe die Klinik. Als Redakteure der Zeitschrift Vietnamweek ihn aufforderten, die Namen der Auftraggeber zu nennen, reagierte Dr. An ärgerlich: „Warum fragen Sie dies. Dies ist nichts, um das Sie sich kümmern sollten“. Dr. Hoang Manh An lehnte es auch ab, einen Kommentar zu den Erfolgen der Behandlung abzugeben. Er erklärte, dass Blutproben der Patienten zur Untersuchung ins Ausland gesendet werden. „Das einzige, was Sie wissen sollten,“ erklärte er, „ist, dass die Menschen aus dioxinverseuchten Gebieten stammen und medizinische Hilfe brauchen.“

Wer bezahlt?

Die Mittel für das Programm kommen offensichtlich von einer Organisation mit dem unverfänglichen Namen „Association for Better Living and Education International” (ABLE). Die Organisation setzt sich laut ihrer Homepage zum Ziel, „den Verfall der Gesellschaft aufzuhalten und die schlimmsten Plagen, die die Menschheit quälen, zu bekämpfen.” Genannt werden als Beispiele: Unwissenheit, Drogensucht, Unmoral und Kriminalität. Die Organisation ist offensichtlich eine Unterorganisation von Scientology.10 Auf direkte Nachfragen von Vietweek bei der Pressestelle von Scientology und ABLE erhielt die Zeitung keine Antwort.

ABLE hatte im Jahre 2005 schon einmal die Hubbard-Methode bei 300 Personen in der Provinz Thai Binh angewendet. Die lokale VAVA-Organisation von Thai Binh hatte damals erklärt, es gehe nicht darum, Menschen zu entgiften, sondern einen Beitrag zu leisten, damit die Menschen sich „wohler fühlen”.

Unwissenschaftlich und ohne Basis

„Ich bin mir absolut sicher, dass das Versprechen, die Hubbard-Methode könne Dioxin in den Körpern vietnamesischer Bürger unschädlich machen, keinerlei Wahrheitsgehalt hat. […] Ich kenne keinerlei vertrauenswürdige Studien, die den Erfolg der Hubbard-Methode nachweisen oder belegen, dass überhaupt eine Entgiftung stattfindet. Ohne diese wissenschaftlichen Nachweise und ohne eine streng wissenschaftliche Überprüfung der Ergebnisse sollte die Hubbard-Methode unter die Kategorien ‚albern’, ‚lächerlich’ und ‚hinterlistig’ abgelegt werden. Werden die Vietnamesen betrogen? Unglücklicherweise ja. Es werden falsche Hoffnungen geweckt. […] Ich glaube aber, dass die Leute (die die Behandlung initiiert haben und durchführen, sk) in gutem Glauben handelten. Sie arbeiten an einem ernsten medizinischen Problem, das durch den Einsatz von Agent Orange in ihrem Land verursacht wurde. Ich spüre, dass es in Vietnam eine Art von verzweifeltem Nachdenken gibt über die Frage, wie man denen helfen kann, die betroffen sind und die unter der Akkumulation von Dioxin in ihren Körpern leiden. Die vietnamesische Regierung tut alles, was in ihren Kräften steht, um den Opfern finanzielle Unterstützung zu geben. Darüber hinaus greift sie jede Möglichkeit auf, die eventuell helfen könnte, weitere medizinische Probleme in Zukunft zu vermeiden. So weit ich das beurteilen kann, sind die Aktionen, die in Zusammenhang mit der Behandlung in Hanoi liefen, ein Zeugnis für den Wunsch, den Unglücklichen in ihrem Lande zu helfen, die ohne eigen Schuld unter den Hinterlassenschaften von Agent Orange leben müssen.
Bezüglich der USA und dem Auftreten der Hubbard-Methode in der Dioxin-Diskussion vermute ich, dass bei uns keinerlei Lust vorhanden ist, diesen Prozess voranzutreiben.
Die USA sollten ihre bestehenden Hilfsversprechen einlösen und ausdehnen, und so Vietnam darin unterstützen, die Dioxinverseuchungen, egal wo sie im Land auftauchen, zu beseitigen. Es geht um die Säuberung betroffener Gebiete. Und es geht darum zu vermeiden, dass Dioxin in die Nahrungsmittel gelangt. Dies ist das Wichtigste. Ebenso wichtig ist es, denen zu helfen, die sich ohne ihr Wissen vergiftet haben und nun unter den Folgen von Agent Orange leiden.”11

Kein Beweis, nirgends

Ein weiterer Spezialist in diesem Gebiet, Prof. Arnold Schecter12, nimmt zu der ganzen Geschichte wie folgt Stellung:
„Ich arbeite seit Jahrzehnten über medizinische und Gesundheitsaspekte in vielen Ländern. Somit weiß ich, dass trotz vieler Versuche, den Gehalt von Dioxin und ähnlichen Stoffen im menschlichen Körper zu reduzieren, dies noch nie gelungen ist. Auch kenne ich keine einzige veröffentlichte erfolgreiche Methode in allen mir bekannten wissenschaftlichen Publikationen.
In der früheren Ukraine unter Präsident Yushenko wurden Versuche gemacht, den Dioxingehalt zu verminden, in keinem Fall mit Erfolg. In Japan wurde bei der Vergiftung von 2.000 Personen durch Yusho Reisöl mit dioxin-ähnlichen Giften ebenfalls versucht, die Vergiftung wenigstens zu mildern, auch hier ohne Erfolg.
In den USA ist eine Methode, die dem in der New York Times beschriebenen, gegen die Dioxin-Vergiftung eingesetzten Verfahren sehr ähnlich ist, bei der Heilung von Feuerwehrleuten und Reinigungspersonal angewendet worden, aber nach meinem Wissen erfolglos. Es gab jedenfalls keinerlei Berichte darüber in der Fachpresse.
Der Einsatz von körperlichen Übungen, einer guten Diät, die Enthaltsamkeit von Tabak und Alkohol sind immer nützlich zur Verbesserung der Gesundheit von vielen Patienten. Aber ich glaube nicht, dass dieses Vorgehen in irgendeiner Weise den Dioxingehalt im Körper beeinflusst."

Anmerkungen
1 Die Rundown-Methode besteht aus Schwitzkuren und der Einnahme von hochdosierten Vitamingetränken (Niazin) sowie Ölen, die starke Durchfälle und Urinabgänge hervorrufen. Diese Behandlung soll den Körper und Geist der Patienten ‚reinigen’. Sie ist für die Mitglieder der Scientology-Sekte vorgeschrieben um „clear” zu werden. Gegner von Scientology, aber auch viele unabhängige Beobachter bezeichnen diese ‚Reinigung’ als Gehirnwäsche.
2 Laut Duden eine von L. R. Hubbard, dem Begründer der Scientology, vertretene medizinische Theorie, dass alle Krankheiten mit psychotherapeutischen Mitteln geheilt werden können.
3 The Guardian, 17.08.2012
4 New York Times, 06.09.2012
5 Die Fälle sind nicht vergleichbar mit der Dioxin-Vergiftung, da es sich um psychische Schäden handelt. Umso mehr muß auffallen, dass die Hubbard-Methode anscheinend ein Allheilmittel sein soll.
6 So betitelt der Guardian einen entsprechenden Artikel, a.a.O.
7 Medline plus (Stand vom 25.11.2012)
8 Dies ist insofern bemerkenswert, als die US-Regierung in der Regel sehr entschlossen die „religiöse” Gemeinschaft Scientology verteidigt.
9 Am 14.09.2012
10 So die Homepage von Scientology 11 Wayne Dwernychuk, Than Nien, ebda.
12 Professor für Umweltwissenschaft an der Texas School of Public Health, Dallas, Texas. Der folgende Text ist einem Brief an die Redaktion von Than Nien entnommen.

veröffentlicht im Vietnam Kurier 2/2012

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