Worum geht es? Die Ansprüche

zusammengestellt von Günter Giesenfeld

Das Ostmeer ist eine ausgedehnte Meeresfläche, an deren Ufer viele Staaten grenzen. Die VR China versucht, dieses Meer in seiner gesamten Ausdehnung als ihr Eigentum bzw. Hoheitsgebiet zu vereinnahmen.

Wer sich klarmacht, worüber bei diesem Konflikt gestritten wird, der bemerkt schnell, dass es sich, oberflächlich gesehen, nur um Atolle, winzige Inseln, Riffe, Sandbänke geht, kurz um „wie Konfetti ausgestreute Landfetzen inmitten der Meereswogen“1, die zum Teil bei Flut oder hoher See nicht einmal über die Oberfläche ragen.

Konkret geht es um vier Inselgruppen:

1) Die Patras-Inseln (chinesisch Dong- Sha) sind ein Atoll mit einem Durchmesser von 24 km. Sie liegen 420 km von Taiwan und 240 km vom chinesischen Festland entfernt. Nach Gewohnheitsrecht gehören sie zu China, werden aber derzeit von Taiwan kontrolliert.

2) Das Scarborough-Riff, (chinesisch Panatag und Huangyan) ist ein Atoll mit einer Fläche von 150 qkm, wovon der größte Teil bei Flut unter dem Meeresspiegel verschwindet. Es liegt 217 km von Luzon entfernt, der größten Insel der Philippinen. Sowohl diese, als auch die VR China und Taiwan beanspruchen die Souveränität. Vietnam nicht.

3) Der Paracel-Archipel (chinesisch Xisha, vietnamesisch Hoang Sa) besteht aus etwa 30 Inseln, Riffen und Sandbänken, von China und Vietnam etwa gleich weit (ca. 450 km) entfernt. Der Archipel besteht aus zwei Inselgruppen: Crescent (im Westen) und Amphitrite (im Nordosten) sowie der größeren Insel Triton (im Süden).

4) Der Spratly-Archipel (chinesisch Nansha, vietnamesisch Truong Sa und philippinisch Kalayan) erstreckt sich über eine sehr große Seefläche. Er besteht aus Inseln, Sandbänken und Riffen, von denen nur 15 größere und 16 kleinere überhaupt zeitweise über die Meeresoberfläche ragen. Die ersteren sind bewohnbar und verfügen über Süßwasser. Der Archipel liegt im Südosten vor dem vietnamesischen Kontinentalplateau, sie sind von China sehr weit entfernt.

Nach geographischen Berechnungen haben alle diese Inselgruppen zusammen eine bewohnbare Gesamtfläche von nur 8 qkm. Demgegenüber ist ihre geographische Ausdehnung auf der Meeresoberfläche sehr groß: Die Paracel-Inseln erstrecken sich über 15.000 qkm, die Spratly- Inseln über 160.000 bis 180.000 qkm. Ihre wirtschaftlich verwertbaren Ressourcen sind sehr begrenzt (Schwalbennester, Guano), aber die Gewässer, vor allem um die Paracels herum, sind sehr fischreich.

Je genauer die Darstellung umso verwirrender das Bild. Die Inseln im Ostmeer. Die Gebietsansprüche der einzelnen Anrainerstaaten sind hier ungefähr eingetragen. Diese Linien entsprechen nicht irgendwelchen internationalen Vereinbarungen, sondern bezeichnen nur die Ansprüche, wie sie der jeweilige Staat auf Karten derzeit erhebt. Das bedeutet nicht immer, dass die entsprechenden Inseln auch von diesen Ländern tatsächlich besiedelt sind.

Beide Archipele sind Objekte der Begierde mehrerer Anrainerstaaten. Die Paracel- Inseln sind derzeit komplett von China besetzt, und zwar seit dem 20. Januar 1974, als chinesische Truppen die letzten dort stationierten südvietnamesischen Soldaten und Siedler vertrieben. Diese Souveränität wird bestritten von Vietnam und Taiwan. Jedes dieser drei Länder beansprucht die Souveränität über die gesamte Inselgruppe.

Was die Spratly-Inseln angeht, so ist die Lage viel komplizierter und angespannter. Nicht weniger als sechs Länder melden Ansprüche an und haben sie zum Teil bereits durch Taten bekräftigt. Die VR China, Taiwan und Vietnam beanspruchen auch hier die Totalitär der Inseln, die Philippinen, Malaysia und Brunei nur jeweils einen Teil.

Um eine einseitige Annexion durch China wie bei den Paracel-Inseln zu verhindern, haben diese Länder hier militärisch einige Inseln besetzt – Vietnam 27, die Philippinen 9, die VR China 9, Malaysia 3 und Taiwan nur eine, allerdings die größte.

Vereinfachte Darstellung der derzeitigen tatsächlichen Machtverhältnisse: Wer hat welche Inseln unter seiner tatsächlichen Kontrolle? Dies wird hier durch farbigen Rauten gekennzeichnet. Eingezeichnet ist auch Chinas „Ochsenzungen-Linie“. Zwischen der Insel Hainan und Vietnam sind die Einflusszonen im Golf von Tonking durch ein zweiseitiges Abkommen geklärt. Eingezeichnet sind auch die derzeit aktiven Ölbohr-Plattformen im Ostmeer

Die Ansprüche der jeweiligen Länder beziehen sich nur sekundär auf die Inseln selbst als Siedlungs- oder Wirtschaftsgebiete. Dazu sind diese zu klein und zu wenig mit dem Nötigsten ausgestattet wie Wasser, Landflächen oder Bodenschätze.

Die wichtigsten Interessen beziehen sich auf die Fischerei und auf tatsächliche oder vermutete Ölreserven unter dem Meeresgrund. Sie sind geknüpft an die Frage der Definition der jeweiligen „Exklusiven Wirtschaftszonen“ (EEZ2) der Anrainerländer, die durch die Konvention von Montego Bay 1982 (UNCLOS) festgelegt sind. Diese wurde von Vietnam 1994 und China 1996 ratifiziert.3

„Die EEZ, so wie sie von der Konvention festgelegt wurden, sind 200, in Ausnahmefällen bis zu 600 Seemeilen tief. Sie verbreitern sozusagen die Zone der Territorialgewässer (12 Seemeilen) sowie der angrenzenden Zone (24 Seemeilen). Diese Staaten üben in dieser Zone zwar ein exekutives Recht aus, sind aber nicht berechtigt, fremden Schiffen die Durchfahrt zu verweigern.

So scheint die EEZ für jedes Land zunächst klar definiert zu sein. Aber die mögliche Verlängerung der Kontinentalzone (um bis zu 350 Seemeilen) kompliziert die ganze Sache erheblich, das heißt, sie bietet Anlass für zusätzliche Konflikte. Dies trifft besonders auf den westlichen Teil des Ostmeeres zu.“4

Die Frage, ob die Anerkennung der Souveränität über einzelne Insel auch jeweilige Zonen mit Territorialgewässern und vor allem auch EEZ um sie herum generiert, ist ungelöst, bzw. wäre Gegenstand von bi- oder multilateralen Verhandlungen. Die meisten Inseln entsprechen nicht einmal den Kriterien von UNCLOS für „bewohnte und wirtschaftende Gebiete“.

Zwei juristische Argumentationen wären für eine friedliche Reglung der Konflikte relevant. Die eine betrifft die internationale Verantwortung aller Anrainerstaaten zur friedlichen Einigung über Einflusszonen eines Meeres, das für diese Staaten so etwas wie ein „Mittelmeer“ ist. Hierfür gilt die Charta der Vereinten Nationen, die die VR China wie alle anderen Staaten akzeptiert hat. Danach sind Eroberungen von Territorien durch militärische Gewalt illegal und können niemals ein anerkanntes Eigentumsrecht begründen, also auch keine Souveränität.5

Schematische Darstellung der Ansprüche der Anrainerstaaten, nur zum Teil gedeckt durch internationales Seerecht. Sollten sie durchgesetzt werden, wäre kaum offene Seefläche mehr vorhanden, auf der frei gefischt werden könnte, kein Platz mehr für die internationale Seefahrt. Dasselbe träfe zu, wenn China seine "Ochsenzungen“-Linie durchsetzen könnte. Die Großmacht im Norden würde die komplette Kontrolle über das Fischereiwesen, über die submarinen Bodenschätze und über den Schiffsverkehr auf diesem wichtigsten Seeweg zwischen Europa und Japan ausüben können.

China hat aber nach dem 2. Weltkrieg damit begonnen, mehrere Inseln sowohl des Paracel-Archipels, als auch der Spratlys, die unter der Hoheit anderer Länder standen, mit Militärgewalt zu erobern und zu besetzen: 1956 die Amphitrine- Gruppe, 1974 die Croissant-Gruppe der Paracels, 1956 erfolgte der erste chinesische Versuch, die Insel Iru Alba (Spratlys) zu erobern6, dann ließ Chinas Interesse daran nach. Auch nach 1949 hat die VR China zunächst kein Interesse mehr gezeigt, bis 1988 die chinesische Marine die von Vietnam7 besetzte Insel durch einen äußerst heftigen und blutigen Militärschlag unter ihre Gewalt brachte. Es gibt also in strenger Beachtung der Charta der UNO keine Souveränität Chinas auf keiner der Inseln, geschweige denn auf ganze Archipele.

Hatte der damalige chinesische Stellvertretende Ministerpräsident Deng Xiaoping sich noch im September 1975 gegenüber dem Generalsekretär der KP Vietnams, Le Duan dahingehend geäußert, es gebe einen Streit zwischen beiden Ländern bezüglich der beiden Archipele, so leugnet die chinesische Führung heute, dass es überhaupt je einen Streit gegeben habe. Damit gäbe es auch keine Voraussetzung für irgendeine Klage vor einem Gericht oder einer Schiedskommission, also auch keine Grundlage für eventuelle Verhandlungen im internationalen Rahmen.8

Überhaupt lehnt die VR China internationale Verhandlungen (etwa im Rahmen von ASEAN) strikt ab und besteht auf, wenn überhaupt, dann bilateralen Verhandlungen, bei denen sie als starker Verhandlungspartner stets einem schwachen gegenüber stehen würde. Eigentlich ist man in Beijung der Meinung, dass es keinen Verhandlungsgegenstand gebe, da die Ansprüche Chinas ja „unzweifelhaft“ seien und deshalb nicht verhandelbar. Dafür Beweise vorzulegen, hält man anscheinend nicht für nötig.

Statt dessen erklärt man faktisch das gesamte südchinesische Meer zum eigenen Hoheitsgebiet9, das dann sowohl die Inseln, als auch die gesamte Meeresfläche mit einschließt. Dies widerspricht natürlich allen Seegesetzen, die, abgesehen von Zonen an den Küsten von einem freien, keinem Land gehörenden „offenen Meer“ ausgehen.

Diese Vorstellungen der VR China, konkretisiert in der „U-Linie“, negieren konsequenterweise auch nationale EEZ, ja sogar territoriale Hoheitsgewässer anderer Staaten und widersprechen insofern auch derzeit geltenden Vereinbarungen (z.B. UNCLOS), die die VR China ratifiziert hat.

Es liegt der Versuch eines nie dagewesenen „Akts der Aneignung“ vor, der, würde er anerkannt, dazu führte, dass es im Ostmeer (das dann tatsächlich ein „chinesisches“ Meer wäre), keinen Raum mehr gäbe für eine freie Schifffahrt. Vor allem dieser Punkt wäre nun wirklich kein regionales (oder bilateral sino-vietnamesisches) Problem mehr, sondern eine Aushebelung des See- und Völkerrechts, das essentielle Teile dieses Regelkanons betrifft, die bislang für unantastbar galten.

Vielleicht steht im Hintergrund dieser in so vieler Hinsicht illegalen Aktionen ein langfristiges strategisches Ziel: China hätte die Macht und Berechtigung, jeglichen Schiffsverkehr in diesem wichtigen Seeweg zwischen Europa und Japan zu kontrollieren.

Und natürlich auch die Verfügung über die gesamten Bodenschätze, die unter dem Meeresgrund dort liegen oder vermutet werden. Hier würde die „U-Linie“ wie ein Schwert wirken, das den gordischen Knoten äußerst komplizierter Verhandlungen über die Bodenschätze zerschlagen könnte.

Es wären Verhandlungen, die beiderseitige Kompromisse erforderten. In solchen Fällen widersprechender wirtschaftlicher Interessen (dazu gehören auch die Fischerei und die Gewinnung anderer Meeresfrüchte) hatte ja die Konvention von Montego Bay (UNCLOS) für allgemein verbindliche Regeln sorgen sollen. Mit dem Kompromissformel der EEZ, hatte man dort zugleich versucht, die Vorstellung einer „Hohen See“, einer freien Schifffahrt zu verteidigen.

Anmerkungen 1 Patrice Jorland, siehe Literaturangaben
2 nach dem Englischen: Exclusive Economic Zones.
3 Dazu siehe VNK2/2012
4 Laurent Gédéon, siehe Literaturangaben
5 Charta de UNO, Art. 2, Paragraph 4
6 Damals das Nationalchina Chiang Kai-Sheks
7 als Rechtsnachfolgerin der Kolonialmacht Frankreich
8 Vgl. Monique Chemillier-Gendreau in: Actes, S. 35-43 (s. Literaturangaben)
9 Am 13.04.1988 wurden die beiden Archipele administrativ per Gesetz zu Teilen der Provinz Hainan erklärt. Am 25.2.1992 verabschiedete die chinesische Nationalversammlung ein Gesetz, das vier Fünftel des südchinesischen Meeres unter die Souveränität Chinas stellt.

Literatur:
Laurent Gédéon: Mer de Chine méridionale: Les racines géopolitiques de la crise. In: Atelier de réflexion: Les enjeux de la crise sino-vietnamienne. Lyon 29.05.2014 Mémoires d‘Indochine, http://indomemoires.hypotheses.org/15040
Patrice Jorland: Les archipels d‘une mer sans nom reconnu. In: Mer de Chine méridionale: Les racines géopolitiques de la crise. In: Mer de Chine méridionale, nouvel expace de crise? Actes du colloque organisé par la Fondation Gabriel Péri, le 16. octobre 2012, Paris 2013. S. 8-14
Monique Chemillier-Gendreau:Mer de Chine méridionale, le préalable du statut juridique des espaces insulaires. In: Actes, a.a.O., S. 35-43
Laurent Gédéon: Mer de Chine méridionale: Les racines géopolitiques de la crise. In: Atelier de réflexion, a.a.O. http://indomemoires.hypotheses.org/15040

veröffentlicht im Vietnam Kurier 2/2014

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