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Im alten Gouverneurspalast fand ein Empfang durch den Staatspräsidenten Truong Tan San statt.
Hier beim Gruppenfoto auf der Freitreppe der Blick in die entgegengesetzte Richtung.

Literaturkonferenz, die dritte

Zwischen Literatentreffen und Exportförderung

Ein persönlicher Bericht von Günter Giesenfeld

Langsam bildet sich ein Konzept für diese regelmäßig stattfindende Konferenz heraus, das sich konsolidiert, leider aber Anregungen und Kritik, die beim letzten Mal vor fünf Jahren geäußert wurde, kaum berücksichtigt.

Der bestimmende Eindruck dieses Mal war für mich, dass man gelernt hatte, besser zu organisieren, aber der Preis dafür scheint zu sein, dass die Literaturkonferenz inzwischen zu einer Massenveranstaltung geworden ist, bei der immer weniger das möglich ist, was in den Begrüßungsreden vor allem des Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes, Huu Tinh, trotzdem eine große Rolle spielt: der Austausch, das gegenseitige aufeinander-Hören, die Diskussion, auch unter den ausländischen Gästen, vor allem aber mit den anwesenden vietnamesischen Dichtern und Schriftstellern.

Eine solche Kritik erhält dadurch womöglich noch ein zusätzliches Gewicht, dass man dieses Mal eine andere Veranstaltung in die Literaturkonferenz „integriert“ hatte: das „zweite Asien-Pazifik-Poesie-Festival“. Das bedeutete, dass ein Teil der Veranstaltungen diesem zweiten Rahmen zuzuordnen waren, wobei es keine eindeutige Trennung gab. Als Vorteil mag man seitens der Veranstalter angesehen haben, dass damit beiden Events eine gleichermaßen große Anzahl von Teilnehmern gesichert war: Wir hatten keine andere Wahl, als an beiden Veranstaltungen teilzunehmen. Es war in der Tat nur eine große Konferenz, nur dass manchmal eben Gedichte vorgetragen wurden, wobei der Charakter der eigentlichen Konferenz für diese Lesungen ein eher unpassender Rahmen war.

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Das Publikum in dem Dichterdorf Phu Thi

Literaten in diplomatischer Mission

Was mir, der ich zum zweiten Mal an einer solchen Konferenz teilnahm1, von Anfang an auffiel, war war neben dem Eindruck eines gewissen Gigantismus der sehr offizielle Charakter der Veranstaltung, und zwar in zweierlei Hinsicht. Einmal wurden wir quasi wie Staatsgäste empfangen und behandelt, zum anderen waren die Gäste aus dem Ausland, aber auch die vietnamesischen Teilnehmer, zwar wohl in der Mehrzahl Dichter oder Schriftsteller2, sehr häufig zugleich quasi-offizielle Repräsentanten ihrer Länder und so in einem besonderen Sinn „diplomatische“ Gäste. Man kann in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass das mit einer speziellen vietnamesischen oder asiatischen Tradition zu tun hat: Früher jedenfalls gab es kaum einen vietnamesischen Politiker, der nicht auch Gedichte machte, manchmal gute, manchmal schlechte.3 Viele der ausländischen Delegierten (wie sie denn auch offiziell genannt wurden) vertraten zwar – wie zum Beispiel ich oder die beiden Gäste aus Frankreich – vor allem sich selbst oder ihre literarische oder übersetzerische Arbeit, aber auch sie wurden wie Abgesandte ihrer jeweiligen Regierungen behandelt. Bei vielen war dies allerdings sogar zutreffend: vor allem bei Gästen aus südostasiatischen Ländern oder z.B. China.

Das hängt mit einer in Vietnam immer noch vorherrschenden Vorstellung zusammen, dass Literatur in erster Linie als Repräsentantin des Landes gilt, in dem sie geschrieben und gelesen wird. Für den Schriftstellerverband in Vietnam ist der einzelne Autor stets zunächst Vertreter seines Landes, eine Rolle, an die sich europäische Literaten erst gewöhnen müssen.

Natürlich ist die Auffassung nicht abwegig, dass ein literarisches Werk immer auch die Literatur des Landes, aus dem es stammt, repräsentiert und dessen Geschichte und Kultur entspringt, auch wenn dies in sehr unterschiedlicher Weise geschehen kann. Aber auf einer solchen Konferenz, die angesichts des betriebenen Aufwandes wohl notwendigerweise vom Staat subventioniert werden muss, wird ein reduziertes Verständnis des Zusammenhangs von Literatur und Staat vorausgesetzt, das in der alltäglichen Praxis des Literaturbetriebs – auch in Vietnam – glücklicherweise nicht vorherrschend ist. So hat sich der Schriftstellerverband in der internen Debatte und Literaturpolitik oft genug auf die Seite seiner Mitglieder – also, wenn man will, auf die Seite der Literatur – gestellt, wenn diese in Konflikt mit dem Staat oder bestimmten öffentlichen Auffassungen gerieten.

Für uns Teilnehmer war dieser quasi-staatliche Charakter der Konferenz zunächst einmal vorteilhaft: Wir waren in einem nagelneuen Luxushotel untergebracht und fuhren in einer Kolonne von sieben großen Bussen durch die Stadt oder über Land stets mit Polizeisirenen und ohne Halt bei roten Ampeln. Wer den Verkehr in Hanoi kennt, weiß das zu schätzen.

Weiterhin muss bei der Beurteilung dieser Veranstaltung bedacht werden, welches Ziel ihr durch die Veranstalter gegeben wird. Der komplette Name der Konferenz war: „Konferenz zur Einführung der vietnamesischen Literatur im Ausland“, wirtschaftlich gesprochen, war es also auch eine Art Buchmesse (allerdings ohne Ausstellungen und Stände) zur Förderung des Exports von Literatur.

Aber selbst wenn man diesen „Promotion“-Charakter der Veranstaltung akzeptiert, so hat die Konferenz das selbstgesetzte Ziel nicht erreicht: nämlich die „Einführung“, und das heißt hier zunächst einmal: die Übersetzung literarischer Werke in eine andere Sprache zu fördern.

Der Dichter und Vorsitzende des vietnamesischen Schriftstellerverbandes Huu Thinh wies auf ein „kulturelles Handelsdefizit“4 hin, das heißt, dass in Vietnam zwar sehr viele Bücher aus fremden Literaturen übersetzt werden, kaum aber umgekehrt: „Wir haben den Anspruch, für die übrige Welt ein kultureller Austauschpartner auf Augenhöhe zu sein, nicht nur ein einfacher 'Konsument' von Büchern aus aller Welt.“ Der bekannte Dichter Bang Viet sagte: „In den letzten 10 Jahren gab es bei der Verbreitung vietnamesischer Literatur im Ausland trotz der Anstrengungen der Regierung5 nur sehr langsame Fortschritte.“ Zwar hätten einige Einzelpersonen viel dazu beigetragen, „aber keine staatliche Behörde hat die Aufgabe professionell in die Hand genommen“6. Nach der Meinung eines russischen Delegierten kann diese Aufgabe nur „von den Vietnamesen selbst in der Zusammenarbeit mit Botschaften, Autoren, Dichtern und Regierungsstellen“7 übernommen werden Bei den wenigen Gelegenheiten, an denen diese Schwierigkeiten zur Sprache kamen, erfolgte aber nur stets der Ruf nach dem Staat und nach mehr Geld, im Grunde eine innervietnamesische Diskussion.

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Die Oper in Hanoi war einer der Schauplätze

Das eigentliche Thema

Wichtiger und wirklich in einem internationalen Austausch zu diskutieren wären die sprachlichen und literarischen Probleme bei der Übersetzung. Denn auch wenn man die offizielle Funktionszuweisung (Exportförderung) akzeptiert, so bleibt dies doch der wichtigste Aspekt bei einer Literaturkonferenz, zu der man ausländische Gäste einlädt. Allein das Referat der Schriftstellerin Le Minh Khue machte hier eine Ausnahme und wird deshalb in diesem Heft dokumentiert. Es hätte – vielleicht im Anschluss an dieses Referat – eines Gedankenaustauschs bedurft über die Aktivitäten der Gäste und die Schwierigkeiten, auf die sie dabei sowohl in ökonomischer Hinsicht in ihrem Land (Buchmarkt, spezielles Interesse oder Desinteresse des Publikums), als auch in sprachlich-literarischer Hinsicht (Sprache, Kulturunterschiede) stoßen. Und bei der Auswahl wären Fragen zu klären, die vor fünf Jahren schon thematisiert wurden: Wie sieht die vietnamesische Seite das Problem der Auswahl? Welche Hilfe kann sie leisten?

Dieses Problem hat sich für die Übersetzer oder ausländischen Verlage, die solche Übersetzungen herausbringen sollen, inzwischen noch weiter verschärft. Denn der vietnamesische Literaturmarkt ist nicht nur gewaltig angewachsen, er hat sich auch in fast unüberschaubarer Weise diversifiziert. Selbst wenn man die inzwischen überbordende „Unterhaltungsliteratur“ nicht berücksichtigt, kann ein Überblick nur gewonnen werden, wenn man über sehr gute Sprachkenntnisse verfügt. Da diese nur bei Vietnamesen wirklich vorausgesetzt werden können (unabhängig davon, ob sie in Vietnam oder im Ausland leben) sind wir auf „Vermittler“ angewiesen.

Vielleicht könnte der Schriftstellerverband die Rolle eines solchen Vermittlers übernehmen. Bereits vorliegende Übersetzungen in andere europäische Sprachen können ebenfalls nützlich sein – allerdings ist bei ihnen die Auswahl sehr von ökonomischen oder politischen Motiven beeinflusst (Bevorzugung von „Dissidenten“). Ich hatte mir von Seiten der Veranstalter mehr Information über die Frage erhofft, wie sich die Literatur in Vietnam derzeit entwickelt, welche Trends es gibt. Selbst wenn uns solche Informationen über staatliche Stellen oder über den Schriftstellerverband vermittelt werden, was ihre wie auch immer definierte „Objektivität“ vielleicht in Frage stellt, wären sie doch eine große Hilfe bei der Auswahl. Der Schriftstellerverband hatte im voraus von den Teilnehmern ein Statement eingefordert, das in einer der Veranstaltungen zum Vortrag gebracht werden sollte. In meinem eingesandten Text8 habe ich Erwartungen, wie sie hier angedeutet wurden, ausführlich begründet. Leider habe ich die Gelegenheit, ihn dem Publikum vorzutragen, nicht bekommen, und auch in einem Reader, auf den ich noch zu sprechen komme, wurde er nicht berücksichtigt.

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Showbühne mit Show

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Showbühne mit Gedichtvortrag
(beides in Halong)

Alles im Griff behalten

Es gab in der Konferenz also – wie gehabt – sehr viel mehr Mitteilung als Austausch, mehr Referate und keine offiziell initiierten Diskussionen. Die Auswahl der Beiträge von Gästen, die vorgetragen oder veröffentlicht wurden, erfolgte – so mein Eindruck – eher willkürlich. Ich sehe darin aber nicht die Auswirkungen irgend einer Art von „Zensur“. Es war wohl eher das Bemühen, die in der Tat sehr große Organisationsaufgabe gut zu lösen und in diesem Sinn alles unter Kontrolle zu behalten.

Die ausländischen Gäste waren also auf den privaten Austausch beim Essen oder im Boot auf der Ha-Long-Bucht und im Bus angewiesen. Aber auch bei solchen Gelegenheiten kam man oft über eine einfacher Selbstdarstellung nicht hinaus, das Interesse daran ist verständlicherweise groß, was für den Schreiber dieses natürlich auch zutrifft. Bei solchen Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass unsere Freundschaftsgesellschaft im Vergleich zu anderen Organisationen, mit deren Vertretern ich sprechen konnte, einen sehr konsequenten Ansatz zur Verbreitung vietnamesischer Literatur vertritt und in die Tat umsetzt. Dass ich keine Gelegenheit hatte, unsere diesbezüglichen Erfahrungen den ausländischen und vietnamesischen Freunden offiziell zur Kenntnis zu bringen, bedaure ich deshalb nicht nur aus Eigeninteresse.

Der überwiegende Teil der öffentlich vorgetragenen Statements der Gäste hatte oft den Charakter von gut gemeinten Solidaritätsadressen und Danksagungen an die Veranstalter für die Gelegenheit, das Land zu besuchen und die vietnamesische Literatur zu loben.9 Es war also eher nicht spannend, ihnen zuzuhören. Übrigens, wer sein Statement vortragen durfte und wer nicht, wurde einzig und allein von der Konferenzleitung entschieden. Darüber haben sich einige, wie ich beobachten konnte, beklagt, worauf dann nach dem zweiten Tag offenbar ad hoc und in einer gewissen Panik noch weitere auf die Liste gesetzt wurden. Unter anderen auch ich, dem man dies mitteilte, nachdem die entsprechende Veranstaltung bereits begonnen hatte. Ich lehnte ab, weil ich mein Manuskript nicht dabei hatte und vor einer Zuhörerschaft von vielen Hundert Leuten (die zudem gekommen waren, um Gedichte anzuhören, denn es war eine Veranstaltung im Rahmen des Asien-Pazifik-Poesie-Festivals) nicht irgendetwas auf Englisch improvisieren wollte.

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Rot in Rot: Ballons mit Gedichten vor dem Start(im Literaturtempel)
Mit Mikrophon die Schriftstellerin Di Li, die während der Konferenz als Moderatorin fungierte. Vgl. VNK 3-4/2009

Immer noch eine Nummer zu groß?

Bei der letzten Literaturkonferenz, der zweiten vor fünf Jahren, hatte ich mich in Gesprächen und einem Brief an den Schriftstellerverband über die unzureichende Organisation, verwirrende Informationspraxis (Änderungen im Programm wurden sehr kurzfristig und in Aushängen nur in vietnamesischer Sprache angekündigt) sowie über die mangelnde Möglichkeit zur Diskussion beklagt. „In den zweieinhalb Tagen, in denen wirklich getagt wurde, war die Zeit voll mit Referaten gefüllt, eines nach dem anderen, und ein Austausch konnte eigentlich nur erfolgen, wenn man den Vortragssaal verließ und sich im Foyer unterhielt“, schrieb ich damals. Bei meinen Klagen im Foyer waren auch Reporter anwesend, und tatsächlich wurden sie tags darauf in einer Zeitung10 ausführlich zitiert, in einem Artikel mit dem Titel: „Inkompetenz und Wirrwarr“.

Inzwischen hat man viel gelernt und die logistische Leistung bei dieser Konferenz soll hier ausdrücklich anerkannt werden. Es ist ja nicht einfach, eine so große Gruppe von sehr individuell reagierenden Menschen (allein 150 ausländische Delegierte aus 43 Ländern plus mindestens noch einmal so viele vietnamesische Gäste) zu dem nötigen disziplinierten Verhalten zu bringen, damit keiner verlorengeht oder Grund zur Klage hat. Die Kritikpunkte von damals wurden offensichtlich ernst genommen, wenn auch nicht wirklich beachtet. Dies liegt offenbar daran, dass viele der ausländischen Gäste mit einem Konzept einer solchen Veranstaltung im Kopf angereist waren, das dem vietnamesischen Konzept nicht entsprach. Dieses Jahr trat dieses Konzept deutlicher hervor und es mag manchem Europäer als inadäquat erscheinen, ist zumindest gewöhnungsbedürftig Immerhin gab es zumindest zwei parallel stattfindende „Workshops“ mit vietnamesischen Autoren und anschließendem ungezwungenem Beisammensein im Foyer, die in etwa unseren Vorstellungen entsprachen, obwohl auch da nur Referate vorgetragen wurden, ohne anschließende Diskussion.

Das neue, sich verfestigende Konzept trat vor allem in den großen, zum Teil an ehrwürdigen Orten (im Hof des Literaturtempels oder in der Hanoier Oper) „inszenierten“ – so muss man wohl sagen – Veranstaltungen in Erscheinung, Sie bestanden aus einer Abfolge von Referaten oder Statements mit eingeschobenen „Kultur“-Beiträgen, zumeist Tanz oder Musik-Nummern mit Kostümen, Akrobatik und schönen jungen Frauen auf riesigen Bühnen mit ausgeklügelter Lichttechnik, Großbildschirmen und Laser-Projektionen.

Das für mich und viele andere bestimmende Charakteristikum dieser Veranstaltungen war die überdimensionale Lautstärke, mit denen Musik und Reden stets wiedergegeben wurden, aus riesigen Lautsprecher-Türmen. Damit wurden leider auch die schönen instrumentalen Nummern mit Musik auf traditionellen Instrumenten auf Rockfestival-Lautstärke getrimmt, das einsaitige traditionelle Instrument Dan Bau tat in dieser Verstärkung in den Ohren weh und war kaum zu ertragen.

Man dachte vielleicht, zeigen zu müssen, dass man auch auf tontechnischem Gebiet Weltniveau erreicht hat.11 Es ist, nach meiner Erfahrung, leider schon immer eine (schlechte) vietnamesische Angewohnheit gewesen, Musik äußerst laut einzustellen, eben was die Verstärker hergeben, immerhin ist sie nicht mehr so hoffnungslos übersteuert und damit verzerrt wie früher.12 Diese lärmaffine Tendenz trug viel zu dem besonderen, aber eigentlich nicht zur Literatur passenden Charakter dieser Konferenz bei, als habe es die Musik (aber auch die Literatur) nötig, lautstark und aggressiv aufzutreten.

Das war natürlich besonders unangebracht bei den Gedichtlesungen. Manche sehr persönlichen und intimen lyrischen Texte verloren dadurch viel von ihrem ästhetischen Reiz. Hinzu kam, dass sie meist in der Originalsprache von den Autoren vorgetragen und dann ad hoc von professionellen Dolmetschern ins Vietnamesische/Englische übersetzt wurden, die wohl sonst bei geschäftlichen Verhandlungen eingesetzt werden. Dabei passierten schlimme Pannen: „Als der amerikanische Dichter sein Gedicht vorgetragen hatte, sagte der Übersetzer etwas allgemeines über das Thema, aber nach einigem Zögern musste er zugeben, dass er sich nicht mehr an den genauen Text erinnern könne, er könne es nicht übersetzen. Die beiden verließen hastig die Bühne, trotzdem gab es Beifall.“13 Der Übersetzer hatte weder einen Ausdruck des Originaltextes noch eine geschriebene Übersetzung zu seiner Verfügung. Ad hoc kann niemand ein Gedicht übersetzen, zumal, wenn er es gerade zum ersten Mal hört.

Der Autor des zitierten Artikels in der VNS, Bach Lien, führt solche Unprofessionalität auf die Tatsache zurück, dass man eine Konferenz dieser Größe erst zum dritten Mal veranstaltete. Dem kann ich nur zum Teil zustimmen: Wenn der Schriftstellerverband eine solche Tagung plant, gehört es wohl zu den allerersten Selbstverständlichkeiten, dass man für gute Übersetzungen vor allem literarischer Texte sorgt, und zwar durch entsprechende vorbereitete Materialien. Da hat man falsche Akzente gesetzt. Sonst hätte nicht passieren können, was nicht passieren darf, dass nämlich der Gegenstand, die Literatur selbst, dabei so stiefmütterlich behandelt wird.

Gute Ideen, gute Stimmung

Aber es gab auch wirklich gute Ideen. Die beiden Ausflüge, die beim letzten Mal den Ablauf der Konferenz als touristische Einlagen abrupt unterbrachen, waren dieses Mal an einschlägige Veranstaltungen gekoppelt. In Ha Long waren wir als Gäste der Provinzverwaltung bei einem Kulturabend, der auch zum Teil Gedichten vorbehalten war.

Ein Ausflug in das nicht weit von Hanoi gelegene Dorf Phu Thi galt einer Zeremonie zu Ehren des dort geborenen Dichters Cao Ba Quat (1808-1855), der ein Bauernführer gegen den Feudalismus gewesen war und entsprechende Gedichte geschrieben hat. Es wurde ein Faltblatt verteilt mit den nötigsten Informationen und drei Gedichttexten. Es musste für die Dorfbewohner, die diese Zeremonie jährlich vollziehen, ein seltsames Erlebnis gewesen sein, plötzlich von gut 250 Menschen und geschätzten 10 Fernsehteams bei diesem Tun beobachtet zu werden. Man hatte Schirme gegen den Regen aufgespannt, es gab auch hier Redebeiträge und Gedichtrezitationen. Wer über die Mauer der Pagode schauen konnte, sah ein anscheinend idyllisches Dorf, dorthin zu spazieren war jedoch nicht möglich.

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Improvisierte Bühne auf dem Dorf

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Blick über die Mauer:
Ins Dorf selbst kamen wir nicht (Phu Thi)

Im Literaturtempel waren im rechteckigen Garten Stelen aufgestellt mit den Fotos und Namen der einzelnen Delegierten aus den Ländern. Eine davon war den drei Vertretern aus Westeuropa gewidmet, einem Deutschen und zwei Franzosen, natürlich mit den Landesfarben.14 Am Ende der an diesem historischen Ort abgehaltenen Veranstaltung kamen Mädchen im roten Ao Dai auf die Bühne. Sie hielten rote Luftballons an Schnüren mit jeweils einem Zettel, auf dem ein Gedicht aufgedruckt war. Diese stiegen dann in die Luft und gaben dem grauen Himmel Farbtupfer, die langsam kleiner wurden. Zwei oder drei blieben in den Bäumen hängen.

Die beste Idee der Veranstalter war aber ein umfangreicher Reader, der am Ende verteilt wurde und wohl nicht alle, aber einen großen Teil der Referate enthielt, die bei den beiden Workshops gehalten oder auch nicht gehalten worden waren – meist in Vietnamesisch mit englischer Übersetzung. Das war wirklich ein wertvolles Geschenk, zum Lesen für zu Hause. Dieser Reader ist auch die Quelle einiger der in diesem Heft abgedruckten Stellungnahmen.

Was mir als allgemeiner Eindruck blieb, war eine ungemein offene, freundliche Atmosphäre unter den Gästen und Vietnamesen. Wie immer bei solchen Treffen sind die persönlichen Kontakte ein wesentlicher Teil dessen, was in Erinnerung bleibt. Dazu haben auch die vielen Betreuer und Betreuerinnen beigetragen, die anscheinend – perfekte Organisation! – sogar einzelnen Gästen zugeordnet waren. Sie halfen stets und effektiv bei organisatorischen und anderen Schwierigkeiten und hoben die Stimmung – und sei es nur durch ein Lächeln. Dieses allgemeine Gefühl, eine große Gruppe Gleichgesinnter zu sein, materialisierte sich zunächst im Verteilen und Empfangen vieler Visitenkarten, aber auch Gesprächsnotizen und dem Wunsch, weiter in Verbindung zu bleiben. Ob er erfüllt wird, muss sich erweisen.

Anmerkungen:
1 Vgl. meinen Bericht in VNK 1/2010 über die zweite Literaturkonferenz vor fünf Jahren.
2 Es waren auch Übersetzer und Literaturagenten dabei.
3 z.B. Ho Chi Minh, Le Duc Tho, Xuan Thuy etc. (um nur einige zu nennen, deren Gedichte auch veröffentlicht wurden). Diese Tradition scheint nach dem Krieg verloren gegangen zu sein.
4 VNS 21.03.2015
5 Damit sind wohl in erster Linie diese fünfjährigen Konferenzen selbst gemeint, in die tatsächlich viel Geld investiert wird.
6 Damit sind wohl in erster Linie diese fünfjährigen Konferenzen selbst gemeint, in die tatsächlich viel Geld investiert wird.
7 Igor Britow, Direktor einer internationalen Presseagentur in Moskau. Zitate aus einem Artikel in Tuoi Tre News, 03.04.2015
8 Er wird hier im VNK veröffentlicht
9 „Hanoi ist die Welt-Hauptstadt der Literatur“, rief einer am Ende seines Beitrags aus.
10 The Tao & Van Hoa (Sport und Kultur). Ja, sie heißt wirklich so und ist sehr informativ (was die Kultur angeht).
11 Wobei der massenhafte Einsatz von drahtlosen Mikrophonen, die stets perfekt funktionierten, wirklich nützlich war.
12 Auch bei vietnamesischen Veranstaltungen hier in Deutschland ist dies noch immer so.
13 Diese Geschichte habe ich selbst nicht bemerkt, sondern in der vietnamesischen Presse gefunden: VNS 15.03.2015
14 In einem aufwendig produzierten Buch, das verteilt wurde, sind alle offiziellen ausländischen Teilnehmer jeweils mit der Landesflagge und dem Hochglanzphoto einer Sehenswürdigkeit (bei mir war's das Brandenburger Tor) aufgeführt, auf einer sonst leeren Seite waren die jeweiligen Namen aufgeführt. Eine einfache Teilnehmerliste mit Informationen zur Funktion des Gastes und Angaben zur Kontaktaufnahme wäre viel nützlicher und billiger gewesen.

veröffentlicht im Vietnam Kurier 1/2015

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