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Eine „moderne“ Parade und eine Video-Präsentation

Als Zuschauer bei der großen Parade und der noch größeren „kulturellen“ Show am Abend

Günter Giesenfeld

Anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung Saigons und damit des Endes des Vietnamkriegs war ich eingeladen worden, an den Feierlichkeiten in Hanoi und vor allem in Ho-Chi-Minh-Stadt teilzunehmen. Ich bin dieser Einladung gerne gefolgt, auch weil sich die Gelegenheit bot, mich mal wieder mit vielen internationalen Freunden aus der Vietnamsolidarität zu treffen, aber auch mit Freunden und prominenten Repräsentanten aus Politik und Kultur in Vietnam Gespräche zu führen.

Vietnam feierte den 40. Jahrestag der Befreiung Saigons am 30. April 2015 traditionsgemäß mit einer großen Militärparade. An ihr nahmen etwa 6.000 Soldaten, Milizionäre und Zivilpersonen teil. Sie begann um 7 Uhr morgens am Saigoner Zoo, zog durch die Parkanlagen bis zum Unabhängigkeitspalast, wo der Zug sich teilte. Eine Hälfte zog durch die Ton Duc Tang Straße und die andere durch die Nguyen Thi Minh Khai-Straße zum Hoa Lu-Stadion.

Zu beiden Seiten der Strecke innerhalb der Parkanlagen waren Tribünen aufgebaut, auf denen viele Einwohner und Gäste dem Umzug beiwohnten. Natürlich wurde die Parade live im Fernsehen übertragen. Nach den Worten der Veranstalter soll sie die Stärke der nationalen Einheit zeigen und die Errungenschaften des Landes in der 40-jährigen Nachkriegszeit vorführen.

Soldaten aus insgesamt 38 Militäreinheiten zogen an den Zuschauern vorbei, darunter Frauenregimenter, Milizen aus Minderheitsgebieten sowie Polizei und Feuerwehr. Aber auch „zivile“ Gruppen wie die Künstlervereinigungen, die Bauern, Handwerkergilden, Berufsstände, Sportler, Tänzer, Pantomimen, Gruppen ethnischer Minderheiten und viele andere waren im Zug vertreten: Gleichzeitig gab es ein großes Musikfestival, an dem so gut wie alle in Saigon ansässigen Musikgruppen und Bands teilnahmen, insgesamt 4.400 Künstler.

Luftballons am Rande und Fahnen in der Mitte

Die Proben zu dem Umzug waren am 24. und 25. April nachts abgehalten worden, um den Verkehr nicht allzu sehr zu stören. Am 26. gab es dann die große Kostümprobe. Es muss Wochen gedauert haben, sie alle zu nähen.

Der Vorbeizug der vielen militärischen Regimenter dauerte sehr lang, aber es gab ja auch andere, zivile Teilnehmer. Die Organisation war perfekt, keine Panne passierte, die mir aufgefallen wäre. Ich habe mich manchmal darauf konzentriert, einzelne Gruppen von Zuschauern, einzelne Soldaten zu beobachten. Mir gegenüber stand eine ganze Division (gefühlt) in Paradeuniform stramm, geschlagene zwei Stunden lang. Ich konnte trotz genauer Beobachtung keinen einzigen Soldaten bei einer individuellen Bewegung ertappen. Eine Leistung, die gewiss bewunderungswürdig war, aber ich habe sie nur mit einem versteckten Schaudern genießen können...

Zum Abschluss wurde ein 15-minütiges großes Feuerwerk gezündet, und zwar auf der Plattform des Bitexo Finanz-Wolkenkratzers, neues Wahrzeichen Saigons mit seiner skurrilen Silhouette.

Für das Event akkreditiert hatten sich 600 lokale und internationale Journalisten, so die Organisatoren.

Soldatinnen und Veteraninnen

Kultur-Show

Abends gab es noch eine weitere großangelegte Vorführung mit „lebenden Bildern“ aus der Geschichte des Befreiungskampfes sowie wichtiger Epochen der Nachkriegszeit wie Doi Moi und der Verteidigung der Inseln im Ostmeer. Daran nahmen aktiv vor allem Künstlergruppen und Freiwillige teil, die die Massenszenen tagelang geprobt hatten.

Panzer und LKWs, die technischen Ikonen des Sieges

Die Mitwirkenden kamen aus allen Regionen Vietnams, zumeist Angehörige der großen Organisationen. Sie wurden für die Zeit der Proben in der Stadt untergebracht, beköstigt und erhielten auch einen Lohn.

Vor allem bei dieser Show wurde modernste Technik eingesetzt (riesige Großbildwände mit Videoeinblendungen oder -übertragungen, Scheinwerferbatterien, Soundeffekte usw.).

Zwei reale Bühnen und eine virtuelle

Man muss neidlos feststellen, dass Hollywood es auch nicht besser hätte machen können, technisch gesehen. Ich hatte ja die Ehre, als Gast bei beiden Veranstaltungen dabei zu sein. Es war imposant, beeindruckend, einschüchternd und für manche vielleicht ermüdend, aber sicher ein einmaliges Erlebnis.

In der Abendshow war die technische Perfektion, mit der alles ablief, imposant. Vor mir, vor der Tribüne der geladenen Gäste war die Show sozusagen dreidimensional: Im Vordergrund die Straße, auf der unentwegt immer neue Gruppen vorbeizogen, dahinter eine riesige Gegentribüne, die mit Tänzern und choreographisch sich bewegenden Menschengruppen besetzt war, die im Minutentakt durch neue, anders angezogene ersetzt wurden. Darüber erhob sich noch eine extrem breite Bildwand, auf der sowohl solche Teile des Zuges, die erst später hier vorbeikommen würden, schon zu sehen waren, als auch Einblendungen von historischen Dokumenten, Fotos und szenischen Arrangements. Sozusagen eine Videopräsentation mit richtigen Darstellern und Filmbeiträgen.

Notverpflegung

Wir Ehrengäste waren mit einer Notausstattung versehen worden, die aus einer Wasserflasche, einigen Nüssen und Keksen sowie einem Regenumhang und einer Wärmedecke bestand. Letztere brauchten wir zum Glück nicht, denn es war wunderbares Wetter: Sonne, aber nicht zu heiß.

Ich habe viel fotografiert, und meine Sympathie für die tausende Darsteller, die so perfekt waren, überwog dann doch die Anflüge von Langeweile, die durch die reine Quantität der Attraktionen allmählich entstand. Vielleicht vermitteln die Bilder einen Eindruck davon.

Gegenüber diesen asiatisch-sozialistisch-avantgardistischen Inszenierungen mit Einlagen wirklicher Feierfreude wirken unsere „Feierstunden“ hier, etwa zum 3. Oktober, eher hausbacken. Aber ich weiß nicht, was besser (oder schlechter) ist.

Straßentheater: Masken

veröffentlicht im Vietnam Kurier 2/2015

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