Ein Umschwung?

Vielleicht gibt es doch Hilfe aus den USA für Dioxin-Opfer

Charles R. Bailey

Anlässlich der Feiern zur Beendigung der ersten Phase der Reinigungsarbeiten in Da Nang wurde erwähnt, dass aus den USA zum ersten Mal auch für Opfer von Agent Orange Hilfe bewilligt wurde. Dies scheint einen Wechsel in der offiziellen US-Politik zu sein, der sich schon seit einiger Zeit andeutete. Charles Bailey, der daran beteiligt war, hat die Entstehung dieser Einsicht in einer Rede dargestellt, aus der wir Auszüge dokumentieren.

Bislang hatte sich die US-Regierung konsequent geweigert, humanitäre Hilfe auch den Agent Orange-Opfern zukommen zu lassen. Jetzt scheint sie dazu bereit zu sein, wie der Leiter des Aspen Instituts als Initiator der U.S.-Vietnam Dialogue Group on Agent Orange/Dioxin, Charles R. Bailey, schon in einer Rede Anfang 2015 in Hanoi andeutete:

In den letzten Jahren war Agent Orange immer ein sehr sensibles Thema gewesen. Die Vietnamesischen Behörden und die US-Regierung waren buchstäblich soweit von einander entfernt wie Nord- und Südpol, was die Folgen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit angeht. Aber, wie ein vietnamesischer Delegierter in unserer Konferenz (Oktober 2003 in Washington) ausdrückte: „Ob wir es wollen oder nicht, wir müssen über Agent Orange reden. Und damit zurechtkommen. Wir müssen die Tatsache erkennen, dass alle Fälle Leute betreffen, die in Gegenden lebten, oder Umgang hatten mit Leuten, die in den Gegenden lebten und von Agent Orange betroffen waren. Das ist eine Aufgabe, die nach einer humanitären Lösung schreit.“ Im Protokoll der Konferenz war dann zu lesen: „Ohne auf eine formelle Lösung zu warten, sollte die US-Regierung mehr Sensibilität aufbringen für die vietnamesische Sicht auf die Agent Orange-Frage.“

Die Konferenz hatte immerhin zur Folge, dass es Gespräche gab zwischen dem vietnamesischen Präsidenten Nguyen Minh Triet und Präsident George Bush im Dezember 2006, bei denen das Säuberungsprojekt von hot spots vereinbart wurde.

Einen Schritt weiter führten dann Initiativen von Senator Patrick Leahy und seinem Mitarbeiter Tim Riser auf der einen und der Präsidentin der Ford-Stiftung, Susan Berresford auf der anderen Seite.

Im Jahre 2006 folgten dann weitere Schritte, um den Graben zwischen den Polen aufzufüllen, wobei andere Organisatoren aktiv wurden: lokale NGOs, internationale NGOs, 17 US-amerikanische Stiftungen, UNDP1, UNICEF und die Regierungen von Irland, den Niederlanden, Griechenland und Tschechien.

Zwischen 2000 und 2011 investierte allein die Ford-Stiftung 17,1 Mio. US-$ für Stipendien zum Studium über Agent Orange.

Wie wurden diese Mittel verwendet?

In Vietnam entwickelten Stipendiaten Behandlungsmethoden und Pflegehinweise für Agent Orange-Opfer, untersuchten und listeten Dioxin hot spots auf und halfen in ländlichen besprühten Gebieten bei der Rekonstruktion von normalen Lebensbedingungen. Außerdem trugen die Stipendiaten in den USA dazu bei, dass in Regierungskreisen und in der Öffentlichkeit die Erkenntnis sich durchsetzte, dass „Agent Orange ein humanitäres Problem ist, bei dessen Lösung wir helfen können“.

Und wir waren noch auf einem anderen Gleis tätig. Ton Nu Thi Ninh und Bui Giang hatten an der Konferenz von 2003 teilgenommen. Zusammen mit dem Direktor des Aspen-Instituts wurde der erste wirklich freie gemeinsame Gesprächskanal geschaffen zwischen den USA und Vietnam über Agent Orange. Er nannte sich „US-vietnamesische Dialoggruppe über Agent Orange und Dioxin“. Diese Institution veröffentlichte im Jahre 2010 einen Aktionsplan, der aufzählte, was zu tun nötig ist, um dieses Erbe zu überwinden.

Noch im Jahre 2007, als der Kongress zum ersten Mal Hilfsmittel für die Beseitigung der Schäden von Dioxin bewilligte, wurden von den 137 Mio. US-$ mehr als 100 für das Da Nang-Flughafen-Projekt verwendet. Aber schon dieses Projekt wurde als ein Durchbruch empfunden. Ein vietnamesischer Freund sagte damals zu mir: „Mit jedem Jahrzehnt, das verging ohne dass es Fortschritte gab, schwanden unsere Hoffnungen, dass irgendwann irgendetwas getan werden würde in dieser Sache. Jetzt erleben wir, dass die US-Regierung etwa tut, auch wenn es nur der Flughafen von Da Nang ist. Es hilft uns, in unseren Beziehungen eine neue Seite aufzuschlagen.“

Deshalb ist dieser Fortschritt es wert, gefeiert zu werden. Die Umweltsäuberung wird weitere Fortschritte in Gang setzen in Richtung auf das Hauptanliegen: die Übernahme voller Verantwortung, so weit wie möglich, für die Nöte der durch die Wirkung von Agent Orange behinderten Menschen.

Senator Leahy besuchte die Baustelle mit dem riesigen, 84 Mio. US-$ teuren „Ofen“, in dem das Dioxin jetzt verbrannt wird. In seiner Rede sagte er: „Heute feiern wir die gemeinsamen Anstrengungen der USA und Vietnams, das Erbe von Agent Orange zu überwinden. Wir wollen damit zeigen, dass die USA in den vielen vergangenen Jahren dieses Problem nicht vergessen haben. Wir sind zurückgekommen und kümmern uns. […] Jetzt müssen wir uns auch um das andere Ziel kümmern, das darin besteht, denjenigen zu helfen, die behindert sind, gleichgültig aus welchen Gründen, also inklusive derer, deren Behinderung vielleicht durch Agent Orange ausgelöst wurde.“

Sie werden den verschiedenen Gebrauch des Wortes „Gründe“ in dieser Rede bemerkt haben: erst heißt es „gleichgültig aus welchen Gründen“ – diese Wendung formuliert die Position des US State Departments, die keine Verbindung zwischen der Dioxin-Einwirkung und den spätere Gesundheitsschäden anerkennt. In der Fortsetzung werden dann ausdrücklich auch die Agent Oran­ge-Opfer erwähnt und eingeschlossen.

Das war im Jahre 2014. Dann verabschiedete der Kongress die „2015 Appropriations Act“, die Bereitstellung von Mitteln, die Präsident Obama unterzeichnet hat. Dieses Gesetz enthält zwei Schlüsselformulierungen, die Aktivitäten auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge und Behinderten-Unterstützung von Opfern von Agent Orange betreffen:

1) Gelder, die bewilligt werden unter dem Titel „Entwicklungshilfe“ sollen zur Verfügung stehen für Gesundheits- und Pflege-Aktivitäten in Gegenden, die mit Agent Orange, auch Dioxin genannt, besprüht wurden.
2) „Diese Gelder sollen prioritär der Hilfe für Individuen dienen mit schweren Bewegungsbehinderungen der oberen oder unteren Körperteile oder solchen mit geistigen Behinderungen oder Wachstumsstörungen.“

Dieser Gesetzestext geht klar davon aus, dass die Gelder für Gesundheitsdienste und Behinderungspflege den am meisten Bedürftigen zugute kommen sollen. Dabei wird aber ausdrücklich erwähnt, dass diese vor allem in Gebieten wohnen, die mit Agent Orange besprüht worden sind.

Jetzt brauchen wir eine neue Diskussion zwischen den beiden Regierungen, in der die Positionen geklärt werden müssen.

Aus der amerikanischen Perspektive sollen die dieser Gruppe (den am meisten Bedürftigen) zukommenden Mittel ohne Ansehen der Gründe geleistet werden. Bei der Hilfe für Opfer von Blindgängern und Landminen war viele Jahre lang allen geholfen worden, die eine traumatische Verletzung erlitten hatten, ob diese nun tatsächlich durch einen Blindgänger hervorgerufen worden war oder andere Gründe hatte. Die Hilfe für schwer Behinderte sollte auf dieselbe Weise geschehen.

Für die vietnamesische Seite zählt in erster Linie die Hilfe für Agent Orange-Opfer. Der gegenwärtige Stand der Forschung erlaubt die Feststellung, dass die große Mehrheit der Agent Orange-Opfer zu den im Gesetz formulierten Fällen zählen: „… mit schweren Bewegungsbehinderungen der oberen oder unteren Körperteile“. Die Mittel werden stets begrenzt sein in Bezug zu den Bedürfnissen. Aber dieses Gesetz kann mindestens sicherstellen, dass der größte Teil der amerikanischen Hilfsgelder den Leuten mit den schwersten Leiden zugute kommt. [...]

Anmerkung: 1 United Nations Development Programme

Quellen: Susan V. Berresford, Präsidentin der Ford-Foundation, Rede auf einem Round Table, veranstaltet von der U.S.-Vietnam Dialogue Group on Agent Orange/Dioxin am 21. April 2014 in Bien Hoa, Vietnam
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Charles R. Bailey, Direktor des Aspen Instituts, Rede auf einem Symposium über die Beziehungen USA-Vietnam in der Diplomatic Academy of Vietnam am 9. Januar 2015
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Kommentar:
Die beschriebenen Entwicklungen sind natürlich zu begrüßen, denn sie scheinen ein Tabu wenn auch nicht zu beseitigen, so doch zu umgehen, was den Effekt hat, dass tatsächlich und in großem Umfang den Opfern finanzielle Hilfe geleistet wird, und zwar so gut wie offiziell von der amerikanischen Regierung.
Dass diese sich durch bestimmte Formulierungen vor dem Eindruck schützen zu müssen glaubt, man habe jetzt die volle Verantwortung für die Folgen des völkerrechtswidrigen chemischen Krieges übernommen, mag den in Vietnam jedenfalls ziemlich lauten Jubel ein wenig dämpfen.
Und das hängt damit zusammen, dass ein Gesichtspunkt in allen diesen Verhandlungen und Berichten nicht angesprochen wird: die Frage des Schadenersatzes. Ich glaube, dass keine US-Regierung sich dem Druck entziehen kann, unter dem sie steht, diesen Schritt nicht zu tun. Dieser Druck geht nicht nur von Politikern aus, die es unter allen Umständen vermeiden wollen, dass die USA wegen Vietnam und wegen Agent Orange sich irgendwann vor einem internationalen Gericht wegen Kriegsverbrechen verantworten müssen. Noch größer dürfte der Druck sein, der von den mit der Politik äußerst gut vernetzten Chemiekonzernen ausgeht, denn das könnte für sie teuer werden.
So haben die Verhandlungen zu diesem immer noch heiklen Thema stets unterhalb einer gewissen Schwelle zu verblieben, die nicht übertreten werden darf. Das hat die vietnamesische Seite erkannt, die in diesen Verhandlungen niemals das Thema Schadenersatz einbrachte, und auch die halboffiziellen Stellen in den USA (Ford Foundation, Aspen Institute und andere NGOs) halten sich an dieses ungeschriebene Gesetz.
Es bleibt aber festzustellen, dass innerhalb dieses Rahmens immerhin erstaunliche Annäherungen möglich sind, und es muss auch Skeptiker freuen, dass da in Zukunft noch mehr substanzielle Hilfe für die Opfer kommen dürfte.
gg

veröffentlicht im Vietnam Kurier 1/2016

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