Groß ist nicht gleich groß

Über Wachstum und Reichtum in Vietnam

Vo Tri Thanh

Es gab Kommentare zum jüngsten Reichtumsreport, in dem behauptet wird, Vietnam sei das am schnellsten wachsende Land mit einer super-reichen Bevölkerung, noch reicher als Indien und China. Über einige Missverständnisse im Zusammenhang mit den Begriffen „groß“ und „reich“ in der Wirtschaft.

Da fingen die Leute an, über den Ursprung ihres Reichtums nachzudenken und stritten sich über ihre Rolle und ihren Beitrag zur Entwicklung des Landes.

Ist mit „reich“ eigentlich „groß“ gemeint, und sind die reichen Unternehmer eigentlich darauf vorbereitet, dass sie beim Wachstum in der Zukunft eine führende Rolle spielen sollen, das ja auf Innovation und Nachhaltigkeit beruhen soll?

Unsere Regierung hat klargemacht, dass der private Sektor eine Schlüsselrolle spielen soll beim Vorantreiben der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, aber unsere privaten Unternehmen zeigen eher eine Neigung dazu, immer kleiner zu werden in Bezug auf Kapital, Gesamterlöse und Einsatz von Arbeitskräften.

Derzeit gibt es in Vietnam im privaten Sektor 600.000 Firmen, von denen 95% kleine und mittlere Unternehmen sind, so genannte SMEs. Die Regierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2020 die Zahl der SMEs auf eine Million zu erhöhen, aber da haben einige Experten eingewendet, dass bei den SMEs dieser Trend des Schrumpfens (Downsizing) gegenüber den großen Unternehmen keine neue Produktivität im Umfang, in der Spezialisierung oder bei der Innovation hervorgebracht hat.

Der Bericht für 2035 weist aus, dass die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit des privaten Sektors fallen werden. Faktoren wie der der Kommerzialisierung des Staates, die den Staatsunternehmen in verschiedenen Industriebranchen eine Dominanz sichern sollen, also Defizite bei der Information, eine schwache Wettbewerbsfähigkeit, eine lasche Haltung bei der Durchsetzung von Eigentumsrechten (sowohl mit Bezug auf Land, als auch auf intellektuelles Eigentum) sowie gestörte Märkte sind die Begründungen für diesen Befund.

Tatsache ist, dass viele kleine Geschäfte (Familienunternehmen) sich nicht als legale Unternehmen registrieren lassen wollen. Sie werden abgeschreckt durch bürokratische Pedanterie und Probleme mit den Regelsystemen wie Steuerberechnung, Startprobleme sowie die mangelhafte Sicherheit von Eigentumsrechten, denn all das verursacht Kosten.

Wenn man das Wachstum in diesem Sektor fördern will, braucht es eine freie und faire Konkurrenz. Dieses Herz jeder Marktwirtschaft muss gestärkt werden.

Auf der anderen Seite des Zauns wächst die Anzahl der großen Unternehmen, aber sie müssen erst noch zeigen, dass sie zur innovativen Führerschaft fähig sind, was sehr wichtig ist für die Modellierung von Qualität und nachhaltigem Wachstum.

Die Menschen auf der Straße sehen die Eigner dieser großen Unternehmen immer noch als „tycoons“, und beziehen sich dabei auf ihre Vermögen und nicht auf ihren Beitrag als Wachstumsmotoren.

Außerdem gibt es noch die Meinung, dass viele dieser tycoons ihren Reichtum durch Spekulation mit Wertpapieren oder Immobilien angehäuft hätten und dabei von ihren guten Freunden in der Regierung unterstützt würden.

Also, was ist das, eine große Firma? Die fünfhundert größten Unternehmen in Vietnam (VNR500) werden nach Umsatz, Gewinn, Aktiva und Zahl der Beschäftigten bestimmt. Aber diese Kriterien sind nur Zeichen äußerer Stärke.

Was heißt "groß"? Der Keangnam Landmark Tower am Pham Hung-Boulevard im Tu Lien-Distrkt, Hanoi. Er ist das höchste Gebäude der Hauptstadt.

Was heißt also groß?

Ein wirklich großes Unternehmen müsste seine Größe in Forschung und Entwicklung (R&D) zeigen, in Markennamen und Verteilungsnetzwerken – das alles ist normal bei multinationalen Unternehmen. Wichtiger ist, dass das Wachstum der Firma übergreifende Effekte auf kleinere Firmen hat und so zur nachhaltigen Entwicklung des Landes beiträgt.

Wenn dieses Qualitätskriterium angewendet wird, bewegen sich nur wenige vietnamesische Unternehmen in diese Richtung, hin zu einem wahrhaft „großen“ Status. Viele Staatsunternehmen sind zwar groß, haben aber nur eine schwache Innovationswirkung. Firmen mit ausländischen Direktinvestitionen (FDI) besitzen einschneidende Technologien, aber ihre vertikalen Verbindungen zu lokalen Firmen sind schwach, weil sie kaum Anregungen aus Vietnam aufgreifen, und weil ihre lokalen Partner nur über geringe Möglichkeiten verfügen, neue Technologien zu entwickeln.

Bis jetzt haben sich nur einige Technologiebetriebe (IT) um R&D gekümmert (wie etwa Viettel oder FPT). Viettel hat seine eigenen Forschungsabteilungen eingerichtet, die nach dem Vorbild der großen Unternehmen arbeiten, nämlich unter Einbehaltung von 10% ihres Vorsteuergewinns jährlich (das sind etwa 110 Mio. US-$) für Forschungszwecke. Bei FPT beträgt dieser Anteil 5%.

Einige große Firmen haben in kleinerem Umfang investiert, etwa in High-Tech-Landwirtschaft wie Vinamilk, TH Milk und VinGroup, aber sie sind bei der Anwendung von Technologie stehen geblieben, haben nichts Neues entwickelt.

Weltweit gesehen wenden große Firmen wie Samsung, Intel oder Microsoft jedes Jahr Milliarden von US-$ dafür auf. In Japan und Südkorea stammen die meisten Innovationen aus dem SME-Sektor.

Was wird es bringen?

Folgende Fragen müssen gestellt werden: Warum sind vietnamesische Unternehmen nicht in diesem Sinn gewachsen?

Manche sagen, dass große Firmen eine dominante Marktstellung haben und die Preise kontrollieren können. Dadurch würden sie selbstgefällig und kümmerten sich nicht um Innovation.

Andere wiederum sagen, dass große Unternehmen über ein riesiges Personal und große Finanzkapazitäten verfügen und eigentlich Pioniere der Forschung sein müssten, sich bei technischen Reformen aber eher auf die Unterstützung der Regierung verlassen.

Um an Technologie heranzukommen, die die Entwicklung und ein nachhaltiges Wachstum ermöglicht, müssten die Firmen eine Tendenz entwickeln, global zu denken (globale Märkte und Standards), und sie müssten sowohl eine unterscheidbare Vertriebskultur aufbauen als auch ein kreatives Arbeitsumfeld schaffen, das innovationsaffin ist.

Die Arbeitskultur der Unternehmen muss ein Element haben, das stets hohe Ansprüche stellt, und es muss ein ständiger Wettbewerbsdruck erzeugt werden, der alle nach vorne treibt. Um zu einem Wachstumsführer zu werden, müssen sie positive übergreifende Effekte (spillovers) schaffen, kleinere Firmen und Startups an sich binden, um ein breites Netzwerk aufzubauen und damit zu zeigen, dass sie die beste Adresse für Talente sind.

Wenig Interesse

Nicht viele Unternehmen in Vietnam sind derzeit dazu fähig.

In einer Wirtschaft, die von Innovation geprägt ist, müssen Firmen und wirtschaftliche Sektoren ständig neues Wissen und neue Fertigkeiten aktivieren. Die Regierung sollte bei diesem Prozess eine bedeutende Rolle spielen. Vietnam hat sich zum Ziel gesetzt, ein modernes nationales Innovationssystem von Organisationen und politischen Maßnahmen zu entwickeln, die technologische Reformen voranbringen. Unternehmen, vor allem solche im privaten Sektor, sollen dabei eine zentrale Rolle spielen.

Die Regierung sollte effektive Brutstätten und Beschleunigungsprogramme schaffen, ähnlich wie eine neues Silicon Valley, wo Anleitung, Geschäftsmodell-Erarbeitung und Finanzmittel gewährleistet sind.

Die Regierung kann den Firmen auch direkte oder indirekten finanzielle Hilfe anbieten. Auf indirekte Weise kann sie dies tun, indem sie den Zugang zu Informationen erleichtert oder Steuerermäßigungen für High-Tech-Firmen gewährt. Auf direkte Weise kann sie Firmen und Organisationen mit guten Aussichten Mittel zur Verfügung stellen. Die Regierung sollte die Gewinner unterstützen (nicht nach Gewinnern „suchen“). Gib ihnen eine Chance und warte ab, wie groß sie werden können.

Sehr gute Firmen können auch Forschungsaufträge von der Regierung erhalten, nachdem sie einen Evaluierungsprozess durchlaufen haben, der einen Wettbewerb unabhängig überwacht und leistungsabhängig ist.

Um es zusammenzufassen: Die Beschleunigung technischen Wachstums, der Robotertechnik und der künstlichen Intelligenz bietet für unsere heimischen Betriebe sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Damit sie wachsen und zu führenden Unternehmen werden, sollte die Regierung ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und für die verstärkte Sicherung ihrer Eigentumsrechte sorgen, während die Betriebe ihrerseits aus sich selbst heraus globale Ambitionen entwickeln müssen, den Durst nach den letzten technologischen Errungenschaften, und sie sollten Talente heranziehen und bei sich behalten.

Quelle: VNS 04.04.2017,
Übersetzung Günter Giesenfeld

Dr. Vo Tri Tanh ist Senior economist am Central Institute for Economic Management (CIEM) und Mitglied des Nationalen Finanz- und Währungsrats. Thanh forscht und berät vor allem auf den Gebieten Makroökonomie, Freihandel und internationale Integration. Für VNS schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

veröffentlicht im Vietnam Kurier 1/2017

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