Vietnam und die globale Finanzkrise

Jürgen Adam

Vietnam bleibt genau wie alle anderen Länder von den Auswirkungen der globalen Finanzkrise nicht unberührt und sieht sich gewaltigen Schwierigkeiten ausgesetzt. Dennoch ist eine saubere Differenzierung erforderlich: Soweit bisher bekannt, ist das noch junge vietnamesische Bankensystem – anders als das der USA, der Staaten Europas und wohl auch Chinas – nicht unmittelbar von den vor allem aus den USA stammenden verbrieften Ramschkrediten u.a. auf faule US-Immobilien verseucht. Anders als etwa auch deutsche Großbanken dürften vietnamesische Banken keine schwerwiegenden Probleme mit in ihrer Höhe unabsehbaren Abschreibungen auf derartige – außerhalb der Bilanzen geführte – „Wertpapiere“ haben. Etwa 98 % der Schulden gegenüber den vietnamesischen Banken sollen ihre Wurzeln in Vietnam selbst haben. Das ändert aber nichts daran, daß Vietnam – zusätzlich zu den hausgemachten volkswirtschaftlichen Problemen – auch schwer von den Folgen der globalen Entwicklung der Weltwirtschaft getroffen wird, auf deren Fortgang es wenig Einfluß hat. Umso notwendiger ist es, daß Vietnam diejenigen Teile der eigenen Volkswirtschaft, die es beeinflussen kann, im Griff behält.

Nachfolgend soll der Versuch einer Übersicht gemacht werden:

Das Bankensystem Vietnams

Bis Mitte der 1980er Jahre bestand das Finanzsystem Vietnams aus wenigen Banken in Staatseigentum, wobei es eine gewisse Spezialisierung in den Aufgaben gab. Mit der Entfaltung einer Art von der Regierung und der KP Vietnams mehr oder weniger beaufsichtigten Kapitalismus hat sich ein verzweigtes Bankensystem entwickelt. Es gibt Banken sehr unterschiedlicher Art und mit unterschiedlicher Kapitalgrundlage.

Gesteuert wird das Bankensystem im Auftrag der Regierung von der Staatsbank Vietnams (SBV). Sie ist Noten- und Zentralbank (wie in der EU die EZB) und zugleich Aufsichts- und Genehmigungsbehörde für alle Banken. Sie bestimmt in Zusammenarbeit mit der Regierung, ob und unter welchen Voraussetzungen Banken ihre Geschäfte aufnehmen und weiterführen dürfen. Wie alle Zentralbanken legt sie die Konditionen fest, zu denen die Geschäftsbanken sich bei ihr refinanzieren können, d. h. zu welchem Zinssatz und gegen welche Sicherheiten sie Kredit erhalten.

Die Geschäftsbanken bilden einen bunten Blumenstrauß von unterschiedlichen Typen (Stand Oktober 2008): Neben fünf staatseigenen Banken gibt es sechs Banken in Form von joint ventures, 36 Geschäftsbanken in Form von Aktiengesellschaften und 44 (unselbständige) Niederlassungen ausländischer Banken, 10 sonstige Finanzgesellschaften und 13 Finanz-Leasinggesellschaften sowie 998 „people’s credit funds“ (lokale Kreditinstitute für Kleinkredite an Privatpersonen und Kleingewerbetreibende).

Zu den – teils staatlichen – großen Banken gehören u.a. die Bank for Industry and Trade (Vietinbank), die Vietnam Bank for Agriculture and Rural Development (Agribank), die Bank of Foreign Trade of Vietnam (Vietcombank), die Bank for Investment and Development of Vietnam (BIDV), die Vietnam Technological and Commercial Joint-Stock Bank (Techcombank) mit einer Beteiligung der überwiegend britischen HSBC (Hongkong Shanghai Banking Corporation) von 15 % und die Vietnam Import and Export Commercial Bank (Eximbank).

Es scheint, als sei der Staatsbank zeitweilig die Aufsicht über die Privatbanken teilweise aus den Händen geglitten. Derzeit ist eine starke Tendenz zur Wiedergewinnung der Kontrolle zu erkennen. In diesem Bemühen hat die Staatsbank zunächst in Übereinstimmung mit den Regeln der Weltbank neue Vorschriften für die Zulassung von Banken erlassen, die solche Neugründungen wesentlich erschwert haben. Es scheint, daß verschiedene Anleger und Institutionen, darunter auch Staatsunternehmen und regionale Behörden im Hinblick auf die vermeintlich riesigen Profitaussichten des Bankgeschäfts sich um die Zulassung von Bankunternehmen bemüht haben. 2007 gab es bei der Staatsbank zeitweilig bis zu 25 Antragsteller auf Neuzulassung. Allerdings wurden seit Mai 2008 nur zwei neue Banken als Aktiengesellschaften zugelassen (Lien Viet Bank und Tien Phong Bank). Im August 2008 erließ die Staatsbank einen vorübergehenden Stop für die Zulassung neuer Banken bis zur Überarbeitung der Vorschriften für die Bankenregulierung.

Die Staatsbank hat im Oktober 2008 neue Vorschriften zur Sicherung der Stabilität und Effektivität des Bankensystems erlassen. Die Zulassung neuer Banken ist durch Regelungen über die Mindest-Eigenkapitalausstattung und über die Zusammensetzung und die Einlagen der Gründungsaktionäre wesentlich erschwert worden. Die Gründung fauler Tochtergesellschaften von Banken soll damit verhindert werden. Ein Unternehmen, das sich an der Gründung einer neuen Bank beteiligen will, muß nachweisen, daß es sich zuvor in drei aufeinander folgenden Jahren erfolgreich betätigt hat. Jede Bank, die eine Tochtergesellschaft gründen will, muß über Gesamteinlagen von mindestens umgerechnet 1,25 Mrd. US-$ und ein Grundkapital von umgerechnet 62,5 Mio. US-$ verfügen. Der Anteil fragwürdiger Kredite darf nicht über 2 % liegen. Mindestens 100 Gründungsaktionäre müssen umgerechnet jeweils mindestens ca. 30 Mio. US-$ an Kapital einbringen. Kein institutioneller Aktionär darf mehr als 20 % des Grundkapitals einer Bank-Aktiengesellschaft halten. Für Privataktionäre gilt eine Höchstgrenze von 10 %. Ein Finanzinstitut, das Anteile als strategische Investition erwirbt, darf bis zu 40 % beteiligt sein, sogar noch höher, wenn der Ministerpräsident entscheidet, daß dies im nationalen Interesse liegt. Alle Anteilseigner dürfen in den ersten drei Jahren nach Gründung einer Bank ihre Anteile nicht verkaufen. Gründungsaktionäre dürfen ebenfalls ihre Anteile an Außenstehende erst nach fünf Jahren veräußern. Die hier aufgezählten ausgewählten Regelungen zielen insgesamt darauf ab, nur noch größeren soliden und an einem langfristigen Geschäft interessierten Investoren den Einstieg in das Bankgeschäft zu ermöglichen, nicht aber kleinen spekulativen Interessenten.

Fachleute fragen sich, ob es nicht für einen so kleinen Markt wie den vietnamesischen zu viele Banken gebe. Andere meinen, es gehe mehr um die Frage der Aufsicht und das Risikomanagement. Ob ein Teil der kleineren Banken die Krise überlebt, muß abgewartet werden. Auch für die bestehenden Banken hat die Staatsbank die Eigenkapitalvorschriften verschärft.

Geldmarktpolitik und Inflation

Die Staatsbank hat zunächst bis in den Herbst 2008 hinein versucht, durch Verknappung des Geldes  und Erhöhung des Zinsniveaus der galoppierenden Inflation1 entgegenzuwirken. Diese Maßnahmen haben zusammen mit den Folgen der weltweiten Finanzkrise tatsächlich zu einer erheblichen Abschwächung der Inflation, aber auch zu neuen Problemen geführt (Schwächung des Exports, Rückgang der Rohstoffpreise, Kreditengpässe im Handel, in der Landwirtschaft und der Industrie sowie im Immobilienbereich, siehe weiter unten.) Die Inflationsrate hatte dennoch im August eine Höhe von 22,14 % (umgerechnet auf ein Jahr) erreicht; auf das ganze Jahr gerechnet belaufen sich die Voraussagen auf 26 -29 %. Dennoch ist damit die Inflationsrate des ersten Halbjahrs ausgebremst. Für 2009 erhofft man sich eine Inflationsrate im einstelligen Bereich. Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) rät Vietnam zu einer niedrigeren Entwicklungsrate, um zu einem stabileren Wachstum zu gelangen. Für 2008 hat die Regierung in Vietnam die Prognose für das Wachstum des Bruttosozialprodukts von 9 auf 6,7 % zurückgestuft.

Inzwischen hat die Staatsbank ihre Politik geändert und die Kreditbremse gelockert. Den Diskontsatz (Zinssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken bei der Staatsbank refinanzieren, d. h. Geld leihen können) hat sie mehrfach, zuletzt am 3. 12. 2008 von 11 auf 10 % gesenkt in der Hoffnung, daß die Geschäftsbanken die Zinssenkung an ihre Kunden weitergeben. Zur Erleichterung für die Geschäftsbanken hat die Staatsbank auch den Zinssatz erheblich angehoben, den die Geschäftsbanken für die Beträge erhalten, die sie als Pflichteinlagen (zur Sicherung ihrer Eigenkapitalquote und damit ihrer Liquidität) bei der Staatsbank unterhalten müssen (3,6 anstatt 1,2 %).

Die Bankzinsen für gewerbliche Kredite in Dong waren auf bis zu 21 % für höhere Risikofälle und 20 % für sicherere Kunden angestiegen. Diese Zinssätze erscheinen aus deutscher Sicht sehr hoch, müssen aber vor dem Hintergrund der hohen Inflation gesehen werden. Tatsächlich haben, zunächst bei den staatlichen Banken, die Zinssätze nachgegeben. Die Zinssätze für gewerbliche Kunden lagen am 9. 12. 2008 bei den großen Banken je nach Bonität bei Dong-Krediten zwischen 11 und 13,5 %. Die Banken vergeben auch wieder an Export- und Importunternehmen Kredite auf Dollarbasis zu Vorzugszinsen von ca. 7 % gegenüber vorher bis zu 8,4 % (bei der Eximbank). Damit soll vor allem der stockende Export von u. a. Reis, Gummi, Kaffee, Fischerzeugnissen gefördert werden.

Börsenentwicklung

Aktien werden in Vietnam an den Börsen in Ho Chi Minh-Stadt (HCMC) und in Hanoi gehandelt, wobei HCMC der wichtigere Handelsplatz ist. Die Kursentwicklung der Börse in HCMC wird dargestellt im VNIndex (VietnamIndex), der die Kurse von z. Zt 166 Aktiengesellschaften zuzüglich 4 Fonds gewichtet, d. h. grob gesprochen, nach ihrem Anteil am Markt widerspiegelt. Für die Börse in Hanoi gibt es den weniger wichtigen HASTCIndex (Hanoi Securities Trading Centre Index).

Die Kurse im VNIndex sind entsprechend der weltweiten Entwicklung nach einem Höhenflug von ca. 300 im Herbst 2006 auf ca. 1000 im September 2007 gestiegen und erreichten ihren Höhepunkt im November 2007 mit ca. 1100 Punkten. Danach sind sie eingestürzt und haben noch keinen Boden gefunden. Einen ersten Tiefpunkt erreichten sie im Juni 2008 mit ca. 400 Punkten; nach einer Erholung auf ca. 550 Punkte im Juli 2008 geht es dann kontinuierlich abwärts. Am 5. 12. 2008 unterschritt der VNIndex mit 299,68 Punkten die Grenze von 300 Punkten und bewegte sich damit auf dem Stand von Herbst 2006; seither sind die Kurse weiter gefallen (293 Punkte am 9. 12. 2008). Bis zum Jahresende gab es eine minimale Verbesserung auf ca. 308 Punkte am 29. 12. 2008. Die Kursrückgänge betreffen durchgehend alle im Index vertretenen Aktiengesellschaften einschließlich der eigentlich gesunden größeren Unternehmen (Standardwerte, „blue chips“2). Die vietnamesischen Börsen sind 2008 die schwächsten in Südostasien.

Die Kursentwicklung an den Aktienbörsen hat jedoch für Vietnam volkswirtschaftlich noch nicht die gleiche Bedeutung wie für die hochentwickelten kapitalistischen Länder, weil wegen des nach wie vor großen Anteils des Staates an der Wirtschaft und des großen Anteils der Landwirtschaft ein wesentlich kleinerer Teil der Volkswirtschaft von Aktiengesellschaften abhängig ist. Dennoch wirkt sich die Schwäche des Aktienmarktes auch negativ auf die Kapitalversorgung der Gesamtwirtschaft aus, d. h. es ist für Unternehmen und Privatleute schwieriger geworden, sich Kredite zu verschaffen.

Außerdem hat die Börsenentwicklung die Pläne der Regierung, in großem Umfang Aktien staatlicher Unternehmen (im Zuge der Privatisierung) an die Börse zu bringen, weitgehend zunichte gemacht, weil zum einen die Erträge viel zu niedrig wären und weil zum anderen selbst zu den niedrigen Kursen angesichts der Situation an den Finanzmärkten keine Nachfrage nach den Aktien besteht, so daß die Regierung ihre Aktien nicht los wird.

Die Befürchtung, der Rückzug ausländischer Investoren von den vietnamesischen Aktienmärkten könne katastrophale Ausmaße und Auswirkungen haben, scheint sich nach der Einschätzung vietnamesischer Fachleute nicht zu bewahrheiten. Der Anteil ausländischer Investoren am gesamten gehandelten Aktienkapital ist offenbar geringer als angenommen. Nach Schätzungen vietnamesischer Experten beläuft sich der Anteil ausländischer Investoren am aktuellen Aktienhandel auf 40 bis 50 %, am gesamten Aktienkapital jedoch nur auf 25 bis 30 %. Man geht davon aus, daß ein erheblicher Teil der ausländischen Inve­storen nicht auf kurzfristige Renditen setzt, sondern daß es sich um strategische Investments handelt, also um längerfristige Anlagen, bei denen es um die „fundamentalen“ Profitchancen aufgrund der Entwicklungsmöglichkeiten bestimmter Wirtschaftszweige geht. Das Land mit dem größten Anteil an den Auslandsinvestitionen sind die USA.

Rohstoff- und Exportwirtschaft

Mit dem Einbruch der globalen Finanzmärkte hat es aus zwei Gründen auch einen Einbruch an den internationalen Waren- und Rohstoffmärkten gegeben. Zum einen ist die am Finanzmarkt grassierende Spekulation auf steigende Preise wegen wegbrechenden Spekulationskapitals zusammengebrochen, zum andern ist wegen der rückläufigen Nachfrage am realen Weltmarkt infolge der schrumpfenden Wirtschaft fast der gesamte Markt von Rohstoffen (Metallen, Erdöl, landwirtschaftlichen Produkten) und von Industrieerzeugnissen (in Vietnam z. B. Textilerzeugnissen, Schuhen) rückläufig. In Vietnam wirkt sich wie überall in der Welt der Rückgang z. B. der Erdölkosten kurzfristig positiv aus, etwa bei den Treibstoffkosten. Langfri­stig ergeben sich Probleme, etwa bei der Frage, ob Explorations- und Gewinnungskosten der Erdölgewinnung im Off-Shore-Bereich nicht längst zu hoch sind, um noch zu rentablen Erlösen führen zu können.

Im realen Exportbereich führt die weltweite Finanzkrise zu erheblichen Schwierigkeiten: Betroffen sind vor allem der Export von Reis, von Fisch- und anderen Meereserzeugnissen, von Kaffee und Tee, Pfeffer, von Kautschuk-Saft und von Textilien und Schuhen. Das wichtigste Exportland Vietnams ist der derzeit äußerst schwache Markt der USA mit einem Anteil von 20 % des Gesamtexports in den letzten Jahren.

Die erzielbaren Preise für die genannten Exportgüter am Weltmarkt sind stark gesunken, teilweise geradezu eingebrochen. So ist z.B. der Preis für Kaut­schuk-Saft von umgerechnet 3.400 US-$ pro Tonne auf etwa die Hälfte gesunken. Das liegt unter den Produktionskosten. Aber selbst zu dem derzeitigen Preis finden sich keine Abnehmer. Die Produzenten müssen ihre Erzeugnisse deshalb anders als in den Vorjahren (mit im Herbst steigenden Preisen) auf Lager nehmen. Nur durch die hohen Erlöse bis zum Frühjahr 2008 kommen die Erzeuger noch über die Runden und hoffen auf wieder steigende Preise.

Die Kaffeewirtschaft sieht sich einer ähnlichen Entwicklung ausgesetzt. Der Preis an der Londoner Kaffeebörse für Export-Kaffee fiel im Oktober von 2.000 auf 1.669 US-$. Im Inland fielen die Preise zur gleichen Zeit von 2.110 auf 1.570 US-$ pro Tonne. Die Hersteller fürchten einen weiteren Preiseinbruch gegen Ende Oktober zum Zeitpunkt der erwarteten Ernte von etwa 1,3 Mio. Tonnen Kaffee.

Auch bei Pfeffer sind die Preise um ca. ein Drittel gefallen. Bei leicht gebrochenem Reis (5 %) fiel der Preis im Inland um ca. 25 %. Bei Fischerzeugnissen ist nicht abzusehen, ob das jährliche Exportziel von 4,2 Mio. US-$ erreicht werden kann. Die Nachfrage, vor allem in den USA, ist zurückgegangen. Selbst abgeschlossene Verträge sind von Importeuren mangels Nachfrage gekündigt worden.

Eine wesentliche Frage für den Fortbestand und die Entwicklung der Exportwirtschaft wird sein, ob den Produzenten und Händlern vom Banksystem ausreichende Kredite zur Verfügung gestellt werden, um die Krise zu überbrücken.

Immobilienwirtschaft

In den vorangegangenen Boomjahren hat die Bauwirtschaft in Vietnam einen kontinuierlichen Höhenflug erlebt. In den großstädtischen Regionen Hanoi, HCMC und anderen aufstrebenden Bereichen sind eine Fülle von Bauvorhaben (Gewerbe- und Bürogebäude, Hotels und Wohnungen) durchgeführt worden. Die Preise für Gebäude und Grundstücke sind in diesen Bereichen z. T. erheblich angestiegen. Diese Entwicklung ist mit dem Absturz der Finanzmärkte zum Stillstand gekommen. Das Niveau der teils überhitzten Preise ist rückläufig. Genaue Zahlen sind nicht veröffentlicht. In Kreisen der Immobilienwirtschaft scheint allerdings große Beunruhigung zu herrschen.

Beherrschendes Thema ist der Kapital- =Kreditmangel für die Bauwirtschaft. Zu dieser Frage fand im Oktober ein Kolloquium unter Beteiligung von Politikern, Wissenschaftlern und Wirtschaftsvertretern statt.

Nach Angaben des stellvertretenden Bauministers und Vorsitzenden der Immobiliengesellschaft Vietnams (eine merkwürdig offene Kombination von Staatsamt und Lobbyismus) Nguyen Tran Nam hat die Immobilienwirtschaft einen großen Einfluß auf die gesamte Nationalökonomie. Ihr Anteil an der gesamten Wirtschaft in den verschiedenen Staaten schwankt nach seiner Darstellung um die 40 %. Die Beiträge aus Geschäften in der Immobilienbranche zum Staatshaushalt in Vietnam sollen nach Nam 20 Milliarden Dong oder 7 % des Bruttosozialprodukts betragen. Er hat weiter ausgeführt, der Immobilienmarkt sei eng mit anderen Märkten verknüpft, insbesondere mit dem Markt für Baumaterialien, dem Arbeits- und dem Finanzmarkt. Die Inflation habe deshalb den Immobilienmarkt unter verschiedenen Aspekten getroffen: durch die gesunkene Kaufkraft, durch den Mangel an Kapital als Folge der Einschränkung der Möglichkeit von Bankkrediten, die ihrerseits eine Folge der Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung sei. Der erhöhte Zinssatz für Bankkredite habe sich unmittelbar als Preiserhöhungen im Wohnungsbereich ausgewirkt. Die Zinssätze seien gegenüber 2007 von 12 auf 21 % gestiegen, was zu einer Verteuerung von Wohnungen um 5 bis 10 % geführt habe.

Der Direktor des Forschungsinstituts für Statistik und angewandte Ökonomie Dinh The Hien forderte, daß die Geschäftsbanken mehr Kredite zur Verfügung stellen müßten, ihre Zinspolitik müsse überwacht werden. Die Banken seien eine wichtige Quelle der Finanzierung sowohl für diejenigen, die Bauprojekte vorantrieben als auch für potentielle Käufer von Wohnimmobilien in Form von Privatkrediten. Die Banken müßten ihre Kreditvolumen ausweiten. Beim Bau von zur Vermietung vorgesehenen Bürogebäuden und von Einkaufszentren müssten bevorzugt die Projekte gefördert werden, die 2009 begonnen werden sollen. Bei den Wohnungen sollten die Vorhaben bevorzugt finanziert werden, die weniger als 1.000 US-$ pro qm kosten und für Leute mit gesichertem  Einkommen vorgesehen sind.

Um den Kapitalmangel zu beheben, müsse die Immobilienwirtschaft überzähliges Geld bei der Bevölkerung „einsammeln“ und dafür z. B Wertpapieranleihen auflegen. Damit dieser Markt sich dauerhaft stabil entwickeln könne, sollten die Immobilienunternehmen Investmentfonds gründen, um eine sichere Finanzquelle zu schaffen.

Nach Tran Kim Chung vom Institut für wissenschaftliche Forschung (im Ministerium für Planung und Investitionen) muß die Ausgabe von Immobilienschuldverschreibungen gefördert werden, ein angeblich höchst wirkungsvoller Weg, um Kapital anzuziehen. Dabei sollten auch die Versicherungs- und Finanzgesellschaften nicht vergessen werden. Wenn die letztgenannten sich erst einmal am Immobilienmarkt engagierten, müssten sich die Immobilienunternehmen nicht mehr den Pressionen der Banken in Bezug auf die Zinssätze unterwerfen. Es müssten aber noch Juristen sich näher mit dem Problem beschäftigen. (Ein Schelm, wer bei solchen Überlegungen an die US-amerikanischen „Verbriefungen“ von – faulen – Hypothekenkrediten denkt.)

Bei einem weiteren Kolloquium, veranstaltet von der Immobiliengesellschaft Vietnams und der Abteilung für die Verwaltung der Immobilienmärkte des Bauministeriums, ging es um eine „Änderung der Politik“ gegenüber der Immobilienwirtschaft, zu Hochdeutsch um eine „Entbürokratisierung“, d. h. einen Abbau staatlicher Beschränkungen und Kontrollen der Bauwirtschaft. Dabei beruft sich die Bauwirtschaft auf die Schwierigkeiten, in denen sich die Volkswirtschaft befinde.

Eine der Forderungen ist, der Staat solle auf die Regelung verzichten, daß die Immobilienunternehmen bei Bauvorhaben einen Eigenkapitalanteil von 15 bis 20 % vorhalten müssen. Das Argument dafür lautet, daß die Unternehmen sich diesen Anteil ohnehin bei Banken ausleihen. Dies Argument sticht aber nicht, weil die Banken bei der derzeitigen Lage des Finanzmarktes nicht daran denken werden, schwachen Unternehmen derartige Kredite zu gewähren.

Die zweite Forderung geht dahin, die angeblich viel zu umständlichen und umfangreichen Genehmigungsverfahren für Bauvorhaben zu „verschlanken“. Es dauert angeblich mindestens drei Jahre und drei Monate, bis mit einem Vorhaben begonnen werden kann. Das Bauministerium hat kürzlich entschieden, die Genehmigungsverfahren zu vereinfachen, um die Vorlaufzeit für Projekte zu verkürzen. Sieben Vorschriften sind aufgehoben worden, darunter diejenige über „Verhandlungen über die Lage des Bauvorhabens“. Dies betrifft aus deutscher Sicht eine entscheidende Frage der Bauleitplanung, bei der immer auch Rechte Dritter eine Rolle spielen. Das Baumini­sterium hat der Regierung vorgeschlagen, weitere Vorschriften „wirksamer und einfacher“ zu machen, darunter Regelungen, die den Brandschutz, die Anmietung des Baugrundes und die Finanzierung betreffen.

Ferner geht es um die Herabsetzung von Gebühren für Eintragungen von Immobilien in Register und die Vereinfachung der Verfahren zum Einzug von Steuern und Gebühren im Zusammenhang mit Immobilien.

Gewiß gibt es kein bürokratisches System, das nicht verbesserungsfähig wäre. Zu fragen bleibt aber immer, ob nicht Vorschriften abgebaut werden, die aus guten Gründen zum Schutz Dritter und der staatlichen Gemeinschaft eingeführt worden waren.

(Dieser Artikel schließt an die Ausführungen im letzten Viet Nam Kurier an, die unter dem Titel „Schwierige Wirtschaftsentwicklung“ in der Rubrik „Recht & Wirtschaft“ erschienen sind, in VNK 2/2008, S. 45f.

Quellen: Vietnam News,
Le Courrier du Vietnam,
Boorberg, http://www.vnstocknews.com,
http://www.vnbusinessnews.com

veröffentlicht im Vietnam Kurier 3-4/2008

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