Tribunal in Kambodscha

Endlich sollen jetzt Rote Khmer-Führer
vor Gericht gestellt werden.

Günter Giesenfeld

Es ist jetzt bald 30 Jahre her, daß das Pol Pot-Regime durch das Eingreifen vietnamesischer Truppen gestürzt worden ist, und immer noch hat keine juristische Aufarbeitung seiner Verbrechen in Kambodscha stattgefunden. Es war zwar von Anfang an die Rede davon, daß es ein Tribunal geben solle, aber alle Beteiligten haben die ganze Zeit über keine große Eile an den Tag gelegt, den Verbrechern, denen rund ein Drittel der Bevölkerung in den Jahren 1975 bis 1979 zum Opfer gefallen sind, den Prozeß zu machen.

Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Situation in einem Land, in dem die intellektuelle Elite systematisch ausgerottet worden ist, war an einen Prozeß im nationalen Rahmen nicht zu denken, weshalb man von Beginn an ein internationales Tribunal vorsah, bei dessen Vorbereitung jedoch so unterschiedliche Interessen innerhalb der Beteiligten zu Tage traten, daß eine Einigung sehr schwer war. Die "internationale Staatengemeinschaft", als deren Sprecher sich die USA auch in diesem Falle berufen fühlten, wollte zwar, daß die wichtigsten Vertreter der Roten Khmer zur Rechenschaft gezogen würden, mußte aber befürchten, daß dabei auch ihre eigene jahrelange Unterstützung für die nach der Niederlage gegen die neue Regierung im Untergrund kämpfenden Roten Khmer zur Sprache kommen würde. Hatten doch die westlichen Staaten nach 1979 darauf bestanden, daß die Vertreter dieses vertriebenen Terrorregimes, deren Verbrechen längst bekannt waren, Kambodscha in der UNO weiterhin offiziell vertreten durften und nicht die neue, nach Wahlen auch legitimierte Regierung in Phnom Penh.

Aber auch diese und ihr Regierungschef Hun Sen verfolgte eine Zeitlang eine Art "Politik der Versöhnung" nach südafrikanischem Vorbild: Um den nach wie vor gefährlichen Angriffen der Reste der Roten Khmer, die sich mit Duldung und Hilfe Thailands in den westlichen und nördlichen Grenzgebieten festgesetzt hatten, von China mit Waffen versorgt wurden und gelegentlich auch mit der politischen Opposition in Phnom Penh paktierten, ein Ende zu bereiten, wurden zwei der Führer begnadigt, nachdem sie hochpathetische Schuldeingeständnisse gegenüber dem König Sihanouk abgelegt hatten. Gleichzeitig beherrschten Verfahrensfragen die Verhandlungen über das Tribunal, bei denen es um das Verhältnis zwischen kambodschanischen und ausländischen Richtern ging. Das Thema tauchte immer mal wieder in der internationalen Presse auf, stets mit der einseitigen Unterstellung, allein die kambodschanische Regierung wolle ein Tribunal verhindern, weil ihr Chef Hun Sen und viele hohe Vertreter seiner Partei anfangs selber Angehörige der Roten Khmer gewesen waren, bis sie sich 1977 von Pol Pot losgesagt hatten und nach Vietnam geflüchtet waren.

Pol Pot 1979

Jetzt aber sieht es so aus, als würde das Verfahren endlich stattfinden und im Januar 2007 eröffnet werden. Schon 2003 war zwischen der kambodschanischen Regierung und der UNO ein Abkommen zur Organisation eines internationalen Tribunals geschlossen worden, das 2005 in Kraft trat. Man rechnet mit einer Verhandlungsdauer von drei Jahren. Aber viele der Verantwortlichen, die führend beteiligt waren an der systematischen Planung von Völkermord, der bewußten Auslösung von Hunger. und Seuchenkatastrophen, sind jetzt schon nicht mehr am Leben oder schwer krank: Pol Pot etwa, der dem Regime seinen Namen gab, ist 1998 gestorben. Zwei weitere prominente Rote Khmer, Ieng Sary, ehemals Außenminister, und Khieu Samphan, ehemals Präsident des "Demokratischen Kampuchea", sind auf freien Fuß und haben ihre Bereitschaft erklärt, "bei dem Tribunal mitzuwirken". Man fragt sich ob eine solche in Kambodscha veröffentlichte Aussage nur zynisch ist oder ob es geheime Abmachungen gibt, sie nicht als Angeklagte zu behandeln.

In Haft befinden sich derzeit nur eher zweitrangige Vertreter des Pol Pot-Regimes, der prominenteste ist Kaing Khek Iev, der Leiter des berüchtigten Foltergefängnisses S-21 (Toul Sleng).

Das Abkommen mit der UNO kam erst zustande, als man sich darauf einigte, daß es sich nicht, wie im Falle des internationalen Gerichts in Den Haag, um ein UNOGericht handeln würde. Auch hatte Kambodscha darauf bestanden, daß in dem internationalen Richterkollegium die kambodschanischen Vertreter die Mehrheit haben. Die juristische Abrechnung mit der Vergangenheit solle mit entscheidender kambodschanischer Mitwirkung erfolgen, keine rein ausländische Sache sein. Ein weiterer Kompromiß trug Bedenken westlicher Nationen Rechnung: Der Zeitraum der zu verhandelnden Taten mußten strikt auf die Dauer der Herrschaft der Roten Khmer beschränkt bleiben. Denn sonst hätte es passieren können, daß andere Länder wie China, die USA, Thailand oder gar die UNO selbst mit einer Anklage hätten rechnen müssen, weil sie die Roten Khmer aktiv unterstützt und damit einen Teil der Verbrechen mit zu verantworten haben. Auch hätte zur Sprache kommen müssen, daß die USA in den Jahren 1969, 1970 und 1973 das damals neutrale Kambodscha bombardiert haben, mit etwa 500.000 zivilen Opfern.

Jetzt werden Zeugen gesucht, die vor dem Tribunal aussagen sollen. Das "Documentation Center of Cambodia" hat im ganzen Land etwa 400 meist ältere Menschen ausgesucht und vernommen, sie sollen dann als Zeugen auftreten. Unter ihnen ist das Auftreten vor dem Tribunal durchaus nicht unumstritten. Einige fragen sich nämlich, warum nur die Roten Khmer und nicht auch die USA oder Vietnam angeklagt würden, andere warnen davor, alte Wunden aufzureißen, und daß es in dem immer noch unterentwickelten Land Wichtigeres zu tun gäbe, als jetzt eine abstrakte "Vergangenheitsbewältigung" zu betreiben.. Trotzdem gibt es für die Mehrheit der Bevölkerung und natürlich für alle ausländischen Beobachter keine Alternative zu einem Tribunal. Man sei es den Opfern schuldig, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Zu sehr habe diese Schreckensherrschaft in weitern Kreisen auch danach noch elementarste psychische und soziale Schäden verursacht und lange Zeit die Kriterien in Frage gestellt, nach denen zwischen Gut und Böse zu unterscheiden ist. Auch könne das Tribunal dazu beitragen, die Frage, wie es dazu kommen konnte, wenigstens im Ansatz zu beantworten. Diese hehren Absichten sind aber nicht so eindeutig durchzusetzen. So ist das Tribunal (TKR) die Frucht vieler, allzu oft fauler Kompromisse.

Eine lange, nicht nur kambodschanische Geschichte

Die neuere Geschichte Kambodschas beginnt mit der Unabhängigkeitserklärung durch Prinz Sihanouk 1953, knapp ein Jahr vor dem Sieg des Viet Minh in Dien Bien Phu. Dann übernahmen die USA den Krieg gegen die Demokratische Republik Vietnam (DRV) und schickten ab 1964 eigene Truppen ins Land. 1970 wurde Sihanouk durch einen von den USA unterstützten Putsch gestürzt, Lon Nol kommt an die Macht. Sihanouk ging ins Exil nach Peking und unterstützte die Roten Khmer in ihrem Kampf gegen Lon Nol. Dieser war 1975 siegreich, Pol Pot wurde Ministerpräsident des "Demokratischen Kampuchea", das Sihanouk als König anerkannte, ihn aber unter Hausarrest stellte. Schon wenige Tage nach der Eroberung Phnom Penhs kamen die ersten Schiffe mit Waffen aus China an. Im Juni besucht Pol Pot Peking, das eine militärische Unerstützung in Höhe von einer Milliarde US-$ zusagt, auf die nächsten fünf Jahre verteilt.

In den inneren Machtkämpfen unter den Roten Khmer flüchteten viele Führer vor der Verfolgung durch Pol Pot, unter ihnen Hun Sen, nach Vietnam. Im Januar 1979, angesichts immer blutigerer Übergriffe durch Pol Pot-Truppen auf Dörfer in Südvietnam drang die vietnamesische Armee nach Kambodscha ein und stürzte das Regime.

1991 sollte durch ein Abkommen, das in Paris ausgehandelt wurde, das Land befriedet werden. Die Roten Khmer, die sich in den Dschungel zurückgezogen hatten und mit Unterstützung Thailands einen Guerillakrieg gegen die neue Regierung führten, unterschrieben, weigerten sich aber, ihre Waffen abzugeben. Sie wurden in ihrem Kampf direkt und indirekt von den USA unerstützt, die auch dafür sorgten, daß sie noch lange Zeit in der UNO ihr Land als einzige Partei vertreten durften. Und im Land herrschte immer noch ein blutiger Bürgerkrieg, den zu beenden China und die Westmächte niemals ernsthaft unternommen haben, obwohl es für sie ein Leichtes gewesen wäre.

1993 fanden die ersten, UNO-überwachten freien Wahlen in Kambodscha statt. Sie werden von den Roten Khmer boykottiert, obwohl sie eingeladen waren, sich zur Wahl zu stellen. Hun Sen wird im Amt legitimiert und hat seither alle Wahlen gewonnen.

Teuflische Buchführung:
Jeder Häftling wurde vor und
nach der Ermordung fotografiert

Erst 1979 beim Einmarsch der vietnamesischen Truppen, wurden die ersten Massengräber und Folterzentren gefunden. Das Ausmaß des Völkermordes durch die Roten Khmer wurde langsam der Weltöffentlichkeit bekannt. Seine Verursacher wurden trotzdem weder international geächtet, sondern in ihrem Kampf gegen die im Westen unbeliebte Regierung politisch und materiell unterstützt - nicht zuletzt deshalb, weil auf der politischen Szene in Phnom Penh trotz großzügiger Dollarspenden keine oppositionelle Gruppe von einigem Gewicht und genügender politischer Glaubwürdigkeit gefunden werden konnte. Inzwischen scheint man sich damit abgefunden zu haben, daß es keine Alternative zu Hun Sen gibt, und diese Erkenntnis scheint vor allen die Voraussetzung dafür gewesen zu sein, die Vorbereitungen für das Tribunal nun wirklich voranzutreiben.

Konkreter Stand der Dinge

Die Idee eines Tribunals im internationalen Rahmen nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse und des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag wurde seit 1980 von verschiedenen Seiten ins Spiel gebracht. Aber sie wurde nicht weiter verfolgt, weil in Kambodscha einer jener Kriege weiter andauerte, die den Kalten Krieg immer wieder aktuell zu einem heißen hatten werden lassen: Die "Invasion" Hanois (vielleicht sogar auf Befehl Moskaus) sollte erst zur Isolierung Vietnams ausgeschlachtet werden, das verhinderte lange Zeit, auch noch nach dem Abzug der vietnamesischen Soldaten, in den Augen der Regierungen von Peking, Washington und Bangkok konkretere Vorstellungen über eine juristische Aufarbeitung, denn sie würde ein Land betreffen, daß jetzt, im Gegensatz zum "demokratischen Kampuchea", als kommunistischer Feind galt. Sie stellten sich lange Zeit gegen die Bemühungen der UNO, die die Idee des Tribunals am konsequentesten verfolgte.

Letztlich ist die Realisierung des Tribunals in zweiseitigen Verhandlungen mit Kambodscha und der UNO erfolgt. Sein Arbeitsauftrag und seine Anklageschrift sind Ergebnis von Kompromissen, bei denen die westlichen Regierungen inoffiziell sicher ihren Einfluß geltend gemacht haben: nehmen sie doch weitgehend Rücksicht auf deren Ängste, ihre eigene Rolle dort untersucht zu sehen.

So darf das Tribunal nur Verbrechen von Individuen untersuchen und aburteilen, die in der Zeit der Herrschaft, also nur zwischen 1975 und 1979, leitende Positionen des Pol PotRegimes innehatten. Das Tribunal hat zwei Kammern, die jeweils zur Hälfte kambodschanisch, zur Hälfte international besetzt sind. Die eine Kammer ist dazu bestimmt, Revisionsverhandlungen zu ermöglichen. Zu Richtern von der UNO ernannt, gehören dem Tribunal 30 hohe Beamte an, darunter 13 ausländische, die aber ein implizites Vetorecht haben. Am 3. Juli 2006 wurden sie in einer Zeremonie in Phnom Penh vereidigt.

Recht wird nach kambodschanischen Gesetzen gesprochen, die mit französischer Hilfe entworfen und formuliert worden sind. Nur in Fällen, in denen sich die nationale Rechtssprechung als ungenügend erweist, tritt internationales Recht an ihre Stelle (sog. "hybrides" Recht). Das Gericht, für das insgesamt etwa 300 Personen arbeiten, wird mit 56 Mio. US-$ teils von Kambodscha, teils international finanziert, seine Arbeit ist auf drei Jahre terminiert. Noch ehe die ersten Vernehmungen erfolgen (Mitte 2007), erheben sich vielfältige Fragen, vor allem in bezug auf bestimmte, wenig einleuchtende Vorgaben.

So ist es dem Tribunal verboten, "andere Länder oder Organisationen in seine Ermittlungen einzubeziehen oder sie abzuurteilen". Damit ist die VR China, die die Roten Khmer gepäppelt und bewaffnet hat, aus dem Schneider. Ebenso die internationalen Institutionen, die den Roten Khmer ein politisches Überleben bis 1991 garantiert haben. Auch die Verbrechen, die die Roten Khmer vor 1975 begangen haben, als sie eine Organisation waren, die große Teile des Landes beherrschte, dürfen nicht verhandelt werden. Dies hätte Hun Sen in Schwierigkeiten gebracht, der ja damals zu den Roten Khmer gehörte.

Alle verhandelten Taten wurden vor mehr als 30 Jahren begangen. Viele Zeugen sind gestorben, andere halten ihre Erinnerungen geheim, haben sie verdrängt oder können wegen ihrer traumatischen Erfahrungen nicht darüber sprechen. Ein spezielles Dokumentationszentrum in Phnom Penh hat Zehntausende von Dokumenten gesammelt, in denen erdrückende Beweise aufgezeichnet sind. "Es sind nicht die Informationen, die fehlen, sondern eher die menschlichen Zeugen", sagt Youk Chhang, Direktor des Zentrums, "und die sterben langsam nach und nach."

Der frühere König Sihanouk ist gegen das Tribunal: "Da wird unnötig Geld ausgegeben", das man besser dafür verwenden solle, das Leben der armen Bevölkerung Kambodschas zu verbessern. Er hat jedoch zugesagt, vor dem Tribunal auszusagen.

Der Ablauf

Während die Voruntersuchungen (durch das erwähnte Dokumentationszentrum) bereits seit Oktober 2006 laufen, sollen die ersten Verhandlungen Mitte 2007 beginnen. Das Risiko, daß sie sich in Details verlieren oder außer Kontrolle geraten, ist nicht auszuschließen. Auch die innere Lage des Landes erscheint noch keineswegs so gefestigt, daß ein solches Unternehmen ohne Risiko organisiert werden könnte. Zumal bei Schwierigkeiten (Demonstrationen, Zwischenfälle bis hin zu Attentaten) ein Eingreifen von außen äußerst gefährlich sein würde. Andererseits würde ein hartes Eingreifen der Regierung, wenn es sich zum Beispiel um Manifestationen der Opposition handeln würde, im westlichen Ausland sofort als Beweis für den diktatorischen Charakter des Regimes gewertet würde, wodurch die internationale Unterstützung für das Tribunal in Frage gestellt werden könnte.

Quellen: Laufende Berichterstattung in der internationalen Presse,
insbesondere ein ausführlicher Artikel in LM vom 29. Sept. 2006

veröffentlicht im Vietnam Kurier 3-4/2006

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