Die Geschichte des Vietnamkriegs
neu erfinden


Wie das Pentagon Geschichtsklitterung betreibt, um den Vietnamkrieg als edle Tat feiern zu können

Stephen Lendman

Pentagon-Militärs gaben den Anstoß. Zu einem zweifelhaften Gedenken an die Beendigung des Vietnamkriegs. Sie wollen eines der größten Verbrechen der Geschichte feiern. Also die Wahrheit auf den Kopf stellen. Orwell hat einmal gesagt: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft, und wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert auch die Vergangenheit.“

Die Pentagon-Schlagzeile lautet: „Das Gedenken der Vereinigten Staaten von Amerika an den Vietnamkrieg“. Die Kommandierenden glorifizieren, was nach Verdammung verlangt. Sie wollen „die amerikanische Öffentlichkeit mit (so genanntem) korrektem historischem Material versorgen, das dabei helfen soll, die Leistungen unserer Vietnam-Veteranen und die Geschichte des US-Engagements in Vietnam besser zu verstehen und zu würdigen.“ Das Gedenkprogramm mehrerer Partner „richtet sich an Bundes-, Staats- und lokale Behörden, an Veteranen-Organisationen und andere Nichtregierungsorganisationen, damit sie einer dankbaren Nation dabei helfen, unseren Vietnam-Veteranen und ihren Familien zu danken und sie zu ehren.“

Ihnen zu danken für Massenmorde. Für ihre Mitwirkung an schweren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen den Frieden. Dafür, dass sie die Welt sicherer gemacht haben für Finanzinteressen.


Treue bis über den Tod hinaus.
Emblem oder Logo oder Wappen der "Vietnam War Commemoration"-Kampagne des Pentagons.
Unten, in einem kleinen Rechteck: Die Fahne des Saigoner Thieu-Regimes

Wie es anfing

Im Jahre 1971 veröffentlichte Daniel Ellsberg die Pentagon Papers, mit dem offiziellen Titel: „Die Beziehungen US-Vietnam, 1945-1967. Eine Studie des Verteidigungsministeriums.“ Diese war vom damaligen Verteidigungsminister Robert McNamara in Auftrag gegeben worden. Der war damals überzeugt, dass Amerikas Krieg nicht zu gewinnen war und wünschte sich eine „enzyklopädische Geschichte des Vietnamkriegs“. Er dachte, das sei wichtig für spätere Forschungen. Im Jahre 1969 war das Werk fertig. Es umfasste die Indochina-Politik von 1940 bis 1968, in 74 Bänden mit etwa 7.000 Seiten. Es wurde sofort als „top secret“ klassifiziert.

Ellsberg war überzeugt, dass ein Sieg unwahrscheinlich war. Einen solkchen weiter zu verfolgen, war für ihn schlechte Politik. Und darüber hinaus ungesetzlich, unmoralisch. Es würde tausenden von amerikanischen Soldaten das Leben kosten. Und Millionen Menschen in Südostasien.

Ellsberg war überzeugt, dass die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere die Politiker zur Vernunft bringen würde. Er nahm ein hohes persönliches Risiko in Kauf. Er wollte aufdecken, was jeder zu wissen ein Recht hatte. Was Washington systematisch verschwieg. Etwa über die Absicht, den Krieg auf ganz Südostasien auszudehnen. Man log öffentlich, hinterging den Kongress.

Ellsberg wurde angeklagt wegen Verschwörung, Spionage und Diebstahl von Regierungseigentum. Diese Punkte wurden später fallengelassen, nachdem herauskam, dass „Klempner“ des Weißen Hauses Ellsberg mit ungesetzlichen Mitteln zu diskriminieren versucht hatten.

Am 11. Mai 1973 ist auf einem Mitschnitt aus dem Oval Office Nixon zu hören, wie er sagt: „Dieser Hurensohn von einem Dieb wird zum nationalen Helden gemacht und kommt wegen Verfahrensmängeln frei, und die New York Times verleiht einen Pulitzerpreis für das Stehlen von Dokumenten … Wie weit, im Namen Gottes, sind wir heruntergekommen?“

In der New York Times war im Jahre 1996 zu lesen: Die Pentagon Papers haben „unter anderem, gezeigt, dass die Johnson-Administration systematisch gelogen hat, nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch im Kongress, und zwar in Bezug auf ein Thema von überragendem nationalem Interesse und höchster Bedeutung.“

Dieselbe Zeitung veröffentlichte später die dreisten Lügen der Judith Miller1 über irakische Massenvernichtungswaffen, die nicht existierten. Sie wurden in Pentagon-Presseverlautbarungen übernommen, mit Quellenangabe, man sollte glauben, sie seien glaubwürdiger Journalismus. Es war aber nur alltäglicher Frontpropaganda-Müll. Belohnt mit einem Pulitzerpreis. Die Times-Herausgeber haben sich nicht entschuldigt. Sie tanzen jetzt nach der Pfeife des Pentagons, bei allen aktuellen Kriegen, laufenden und geplanten, legalen oder illegalen. Aber der letzte legitime Krieg der USA war der 2. Weltkrieg.

Auch heute sind wieder mehrere Kriege im Gang, weitere sind geplant. Der permanente Krieg scheint offizielle US-Politik zu sein. Obama plant viele Tote und viel Zerstörung mit ein. Die Medienschurken unterstützen ihn dabei. Verwüstung, Zerstörung und Plünderung in einem Land nach dem anderen. Keine Nation hat in der Geschichte mehr Menschen mehr Leid zugefügt, und zwar über lange lange Zeit.

Terrorbombardements sind seit langem US-Praxis, Ziel sind Zivilisten und Kämpfer. Die Genfer Konvention und andere internationale Gesetze verbieten den Angriff auf Nicht-Kombattanten. Artikel 25 des Kriegsrechts „Gesetze und Gewohnheitsrecht beim Landkrieg“ (Haager Konvention von 1907) schreibt vor: „Angriffe und Bombardierungen, gleichgültig mit welchen Mitteln, von Städten, Dörfern, Wohngebieten oder unverteidigten Gebäuden sind verboten“. Und Artikel 26 schreibt vor: „Der Kommandierende einer Angriffs-Streitmacht muss, ehe er mit dem Bombardieren beginnt (ausgenommen, wenn ein Angriff vorliegt), alles tun, was er kann, um die Behörden zu warnen.“

Und Artikel 27: „Bei Belagerungen und Bombardements muss alles Notwendige unternommen werden, Gebäude, die der Religionsausübung, der Kunst, Wissenschaft oder Aktivitäten der Fürsorge gewidmet sind, historische Monumente, Krankenhäuser und Orte, wo Kranke und Verwundete untergebracht sind, wenn sie nicht für militärische Zwecke eingesetzt werden, nach Möglichkeit auszusparen.“ Die Belagerten sollen diese Gebäude entsprechend kennzeichnen und einen Gegner vorher entsprechend informieren.

Im September 1938 verbot die Liga der Nationen „das Bombardieren von Großstädten, Städten, Dörfern, Wohngebieten, die nicht in direkter Nachbarschaft zu Operationen der Territorialtruppen liegen.“ Selbst wenn legitime Ziele sich dort befinden (Flugzeuge zum Beispiel), dürfen sie nicht bombardiert werden, wenn ein solcher Einsatz die Zivilbevölkerung zu gefährden droht. Die Nürnberger Prozesse verboten „Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, inklusive „unmenschliche Aktionen gegen jegliche Zivilbevölkerung, vor oder während eines Krieges“ sowie das wahllose Töten, die „mutwillige, nicht durch militärische Notwendigkeit bedingte Zerstörung von Städten oder Dörfern“.

Vietnamkrieg

Gabriel Kolko2 hat eine Geschichte des Vietnamkriegs geschrieben. Sein Buch erklärt, was jedermann wissen muss:
- über Amerikas imperiale Ziele, seine Stärken und Schwächen, sein Streben nach Weltvorherrschaft und seine Fehlkalkulationen,
- über ein Land Vietnam, dessen Bewohner das koloniale Joch abschüttelten. Seine intellektuellen Führer, die sich durch gute Planung und Geduld auszeichneten.
- darüber, wie die USA das Diem-Regime installierten, das die Opposition unterdrückte und ein zuverlässiger Partner sein sollte. Wie dann in den 1950er Jahren die Militärberater ankamen, wie die Eskalation begann. Wie Lyndon B. Johnson den Krieg wollte und ihn bekam3.
- über die Tonking-Resolution: Freie Hand für einen nicht erklärten Krieg.

Alles lange amerikanische Tradition, inklusive der Lügen. Manipulierte Vorwände, gefolgt von Massentötungen und Zerstörung. Im Februar 1965 begann die Operation „Thunder“. Gnadenloser Krieg, bis 1968. 44 Monate lang. Willkürliche Bombardements, Einsatz von mehr als einer Million t Munition. Das Ziel: Zerstörung der vietnamesischen Wirtschaft, seines Widerstandswillens. Zwischen 1965 und 1973 fielen 8 Millionen t Bomben, dreimal so viel wie im Zweiten Weltkrieg. 300 t für jeden vietnamesischen Mann, jede vietnamesische Frau, jedes Kind, jede alte und jede behinderte Person.

Napalm, Brandbomben, Terrorwaffen, Landminen, die bis heute Opfer fordern. Krieg in Laos und Kambodscha. Von März 1969 bis Mai 1970 geheime Bombardements in Kambodscha, ohne Unterrichtung des Kongresses. Bis 1973 500.000 t Bomben allein auf Kambodscha. 25.000 Mann Bodentruppen drangen in das Land ein, zerstörten Dutzende von Städten, Dörfern, viele tausend Bauern starben. Eine Spur des Leidens, in der Feuerlinie4, im falschen Land zur falschen Zeit.

Im Jahre 1962 wurde auf der Genfer Laos-Konferenz dieses Land als neutral anerkannt. Jegliche fremde Streitmacht sollte sich zurückziehen. Die Realität war ganz anders. Zwischen 1965 und 1973 flog die US-Luftwaffe etwa 580.000 Einsätze und warf über 2 Millionen t Bomben ab. Eine Flugzeugladung Bomben alle acht Minuten, rund um die Uhr, neun Jahre lang. Es sollte der so genannte Ho-Chi-Minh-Pfad getroffen werden. Auch hier waren die Bombardements zunächst geheim, also Terrorangriffe. Napalm, Phosphorbomben und „Clusterbomben“5. Millionen von ihnen sind nicht explodiert und immer noch im laotischen Boden vorhanden, ständig neue Opfer fordernd.

Im August 1961 begannen die USA mit dem Versprühen von Agent Orange (Operation Ranch Hand) in Vietnam, Laos und Kambodscha. Über zehn Jahre lang. 20.000 Einsätze. Fünf Millionen direkt infizierte Opfer. 20 % des südvietnamesischen Territoriums wurden mindestens einmal besprüht. Dioxin, das in Agent Orange enthalten war, ist eine der tödlichsten Substanzen, die es gibt. Es tötete damals und es tötet noch heute. Die Krebs auslösenden Wirkungen und genetischen Folgen sind inzwischen bewiesen. Dioxin bleibt Jahrzehntelang giftig, es ist nicht wasserlöslich, baut sich nicht von selber ab. Es hat in Südostasien Millionen von Opfern zu Folge gehabt, und es wird noch weitere geben, auf unabsehbare Zeit. Auch in Amerika.

Aber der Giftkrieg beschränkte sich nicht auf Agent Orange und die anderen „Herbizide“. In den 1970er Jahren begann die Vergiftung mit Uranmunition (DU)6 in Vietnam, die USA benutzen diese Waffe seither in allen Kriegen, die sie führen. DU ist chemisch ein Gift und außerdem radioaktiv. Es zählt zu den so genannten Massenzerstörungsmitteln, die im US-Militärcode 50, Kap. 40, Sektion 2302 verboten sind: „Massenzerstörungsmittel sind Waffen oder Geräte, die dazu bestimmt sind oder die Fähigkeit haben, eine bedeutende Anzahl von Menschen bei ihrem Einsatz zu töten oder schwer zu verletzen, die beim Abwurf, bei der Verstreuung oder Beimischung von giftigen Chemikalien oder durch Strahlung oder Radioaktivität die menschlichen Organe schädigen.“ Der Einsatz ist also ungesetzlich. Ein Kriegsverbrechen.

Washington möchte seine Verbrechen, seine Giftvergangenheit begraben, seine Verbrechen gegen den Frieden vergessen sehen. Seine Geschichte weißwaschen, neu erfinden, um Amerikas hässliche Vergangenheit respektabel aussehen zu lassen. Aber die Überlebenden werden nie vergessen. Und sie sollten nicht vergessen. Auch die vietnamesischen nicht. Auch die andauernd behinderten US-Kriegsveteranen nicht. Und auch nicht diejenigen auf beiden Seiten, die an chronischen Krankheiten leiden.

Sie verlangen die Wahrheit, die volle Aufklärung. Nichts darf aus der Geschichte gestrichen werden, nichts darf neu erfunden, es darf nichts vergessen werden, was geschehen ist.

28. Oktober 2014

Anmerkungen
1 Ehemalige Journalistin für die New York Times. Unter heftige Kritik kam sie durch ihre Berichte über angebliche Massenvernichtungswaffen des Irak. Sie behauptete, dass Röhren aus Aluminium für den Bau von Gaszentrifugen zur Uran-Anreicherung abgefangen worden seien. Die Berichte waren falsch, wurden jedoch als Begründung für den Krieg in Irak benutzt.
Nach der Besetzung des Irak durch Truppen der USA war Miller der Einheit zugeordnet, die nach irakischen Massenvernichtungsmitteln suchen sollte. Sie berichtete von Fahndungserfolgen, auch diese Berichte stellten sich später als falsch heraus. (Wikipedia)
2 Gabriel Kolko: Anatomy of a War: The United States and the modern Historical Experience“ New York 1985, eine Neuauflage mit neuem Nachwort erschien 1994.
3 Was man heute differenzierter sehen muss, vgl. VNK 2-2014
4 „In the line of fire“ ist der Titel eines Films von Wolfgang Petersen mit Clint Estwood, 1993
5 Streubomben oder Schüttbomben, Sie sind Behälter für eine große Anzahl von kleinen Bomben, die kurz über der Erdoberfläche freigesetzt werden und Zerstörungen in einem großen Umkreis auslösen. Sie wurden vor allem gegen Menschen eingesetzt und sind seit langem in über 100 Staaten verboten.
6 Depleted Uranium oder Uranmunition: panzerbrechende Munition, deren Projektile abgereichertes Uran enthalten. Aufgrund seiner hohen Dichte entfalten diese Geschosse beim Auftreffen auf das Ziel eine große Durchschlagskraft. (Wikipedia)

Quelle: http://sjlendman.blogspot.de/2014/10/reinventing-vietnam-war-history.html
Übersetzt von Günter Giesenfeld
leicht gekürzt

Stephen Lendman, geb. 1934 ist Autor, Kolumnist, TV-Reporter. Er schreibt regelmäßig für VeteransToday.com und andere Presseorgane. Seine letzte Buchveröffentlichung: Banker Occupation: Waging Financial War on Humanity, 2012.

veröffentlicht im Vietnam Kurier 3-4/2014

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