Appell

der vietnamesischen Stiftung für Frieden und Entwicklung

Im Jahre 2014 wurde das Südchinesische Meer zu einem Ort der Auseinandersetzung in Südostasien und Asien insgesamt, was innerhalb der internationalen Gemeinschaft Betroffenheit und Ängste hervorrief, als China die Ölbohrplattform HYSY 981 in Vietnams territorialen Gewässern platzierte, was einen Verstoß darstellte gegen die Souveränität Vietnams und das Abkommen der UNO über das Seerecht von 1982.

Gleichzeitig mit dieser Aktion ergriff China Maßnahmen, die das Ziel hatten, die Inseln und Riffe im Spratley-Archipel, die es sich angeeignet hatte, umzubauen, als eigenes Territorium zu erklären und auszudehnen. Man baute unfangreiche Anlagen und ergriff Maßnahmen der Legalisierung von Chinas Herrschaft über Hoang Sa, über vietnamesisches Territorium, das es sich durch bewaffnete Aktionen angeeignete hatte. Das hatte eine neue Sicherheitslage in der Region zur Folge, eine direkte Bedrohung mehrerer Länder in der Region, darunter auch Vietnam. Neueste Satellitenbilder zeigen darüber hinaus, dass immer intensivere Bauarbeiten im Gang sind, und dass chinesische Bagger und bewaffnete Artillerie dort stationiert werden. Ende Juni 2015 war das Gesamtareal durch Maßnahmen an 7 Stellen auf über 1.200 ha vergrößert worden, allein auf dem Fiery Cross-, dem Subi- und Mischief- Riff um um 1.100 ha.

Die Spannungen im Südchinesischen Meer stiegen und wurden komplexer, die regionale Geographie veränderte sich. Chinas einseitige Maßnahmen, die aus irrationalen Ambitionen erfolgten, haben die Souveränität, die Hoheitsrechte und die Gesetze der Anrainerstaaten verletzt und verstoßen gegen das Völkerrecht und gegen die Erklärung vertrauensvollen Verhaltens der Anrainerstaaten des südchinesischen Meeres (DOC). Sie bedrohen ernsthaft den Frieden, die Sicherheit der Region und erhöhen das Risiko ernsthafter Konfrontationen, Auseinandersetzungen und Konflikte im Südchinesischen Meer. Die Herausforderungen und Risiken sind unvorhersehbar!

Diese jüngsten Entwicklungen beweisen, dass diese Konflikte nicht nur ein regionales Problem darstellen, sondern die internationalen Gemeinschaft im Ganzen betreffen.

Auf dem ASEAN-Gipfel in Malaysia im April 2015 haben die Führer der ASEAN-Staaten ihrer Betroffenheoit Ausdruck verliehen, die ausgelöst wurde durch die Territorialen Forderungen und den Schaden, den sie dem Glauben und dem Vertrauen zufügen, und die Bedrohung für den Frieden, die Sicherheit und die Stabilität in der Region, die sie darstellen.

Bei seinem offiziellen Besuch in Vietnam am 22. und 23. Mai 2015 hat der Generalsekretär der UNO seiner Betroffenheit durch die Eskalation der Lage im Südchinesischen Meer Ausdruck verliehen. Er rief alle Parteien auf, ihre Konflikte durch friedliche Mittel und im Einklang mit dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen zu lösen. Eindringlich mahnte er, dass jede Aktion zu vermeiden sei, die weitere Spannungen hervorrufen könne.

Beim Gipfeltreffen der G7 in Deutschland verabschiedeten die Staatschefs am 8. Juni eine Erklärung, in der sie sich gegen jede einseitige Aktion aussprachen, die den Status quo im Südchinesischen Meer mit Gewalt zu verändern versuche. Gleichzeitig betonten sie die Bedeutung einer friedlichen Lösung von Konflikten und einer freien und ungehinderten legalen Nutzung der Weltmeere.

Bei den dreiseitigen Gesprächen zwischen Indien, Australien und Japan, die am 8. Juni 2015 in Japan stattfanden, stimmten die Teilnehmer darin überein, dass vor allem die Geschwindigkeit und das Ausmaß der chinesischen Ansprüche es seien, die in der Region Ängste auslösen würden.

Beim Strategischen Ökonomischen Dialog zwischen den USA und China betonte der amerikanische Vizepräsident Joe Biden, dass verantwortungsbewusste Partner sich an das Völkerrecht zu halten hätten und dass sie zusammenarbeiten müssten, um die internationalen Seewege für den ungehinderten Handel offenzuhalten. Nationen, die die Diplomatie missachteten, und stattdessen Zwang und Einschüchterung ausübten, um Probleme zu lösen, oder solche, die sich den Aggressionen anderen gegenüber blind stellten, seien für die daraus entstehende Instabilität verantwortlich.

Am 11. Juni 2015 betonte die australische Außenministerin Julie Bishop die Haltung Australiens, dass ihr Land sich dagegen wehren werde, wenn China eine eigene Verteidigungslinie beanspruchte, die das ganze Südchinesische Meer umfasse, und dass es sehr beunruhigt sei über die einseitigen Aktionen, die in der Region die Spannungen erhöhen und schließlich in irgendeiner Form von bewaffnetem Konflikt enden könnten.

In dieser allgemeinen Atmosphäre der eskalierenden Spannungen hat es Erklärungen und Kommentare aus China und anderen Orten gegeben, die die Möglichkeit eines Konflikt oder eines Krieges nicht ausschließen. In verschiedenen Ländern hat es Straßendemonstrationen gegen die chinesischen Maßnahmen gegeben.

Am 16. Juni 2015 verkündete das chinesische Außenministerium in einer Presseerklärung, die Landannexionen auf den Spratley-Inseln und -Riffs würden wie geplant in den nächsten Tagen durchgeführt werden. Am 30. Juni 2015 erklärte der Sprecher des Außenministeriums Hua Chunying, die Operationen Chinas auf einigen Spratley-Inseln und -Riffs seien nun abgeschlossen, und dass in einem nächsten Schritt der Bau von Ausrüstungen für die nötig gewordenen Einrichtungen, sowohl ziviler als auch militärischer Natur, nun in Angriff genommen würden.

Die internationale Öffentlichkeit hat auf diese Maßnahmen reagiert. Viele Länder haben ihre tiefe und ernsthafte Betroffenheit über Chinas einseitige Aktionen zur Veränderung des Status quo ausgedrückt, welche die Spannungen erhöhen. Vor allem die militärische Natur der Anlagen, die gebaut worden sind, seien weit davon entfernt, die Spannungen in der Region zu vermindern, das Gegenteil sei der Fall.

Verschiedene Erklärungen wurden von Fachleuten angeboten. Einige beschreiben die Ankündigungen der chinesischen Führung als Versuch, die öffentliche Meinung zu besänftigen, dass der Bau die anderen Parteien vor ein fait accompli stellen wolle, und dass ein solcher Versuch niemals von der Weltgemeinschaft akzeptiert werden dürfe. Im Grund hat China damit den militärischen Zwecken den Vorrang vor den zivilen gegeben, und dies ist ein Zeichen dafür, dass China seine Absicht, das ganze Südchinesische Meer zu kontrollieren, jetzt ganz offen verfolgt.

Vietnam hat bei verschiedenen Gelegenheiten gegen die Maßnahmen Chinas protestiert. Am 25. Juni erklärte der Sprecher des vietnamesischen Außenministeriums, Le Hai Binh: „Chinas großangelegte Baumaßnahmen und die Beanspruchung der Inseln und Riffe in der Truong Sa-Inselgruppe sind illegal und ändern nichts an der Tatsache, dass Vietnam genügend gültige territoriale und historische Beweise hat, die seine Souveränität über diese Inseln belegen. Vietnam fordert China auf, diese Aktivitäten sofort zu stoppen, Vietnams Souveränität über die Inselgruppen Hoang Sa und Truong Sa unter Beachtung des Völkerrechts, und besonders der UNO-Konvention von 1982 und der Seerechtsdeklaration für das Südchinesische Meer zu beachten und sich solcher Aktionen zu enthalten, die die Situation komplizieren oder den Status quo im Südchinesischen Meer verändern.“ Vietnams Position in der Frage des Südchinesischen Meers wird eindeutig von der UNO gestützt.

Die brisante Lage im Südchinesischen hat die Völker verschiedener Länder mit einem sehr ernsthaften Problem konfrontiert, dessen Lösung größte Anstrengungen erfordert, um den regionalen und weltweiten Frieden zu bewahren, Konflikte und Kriege zu verhindern und den Respekt vor dem Völkerrecht zu stärken.

Die vietnamesische Stiftung für Frieden und Entwicklung ruft die internationale Gemeinschaft dazu auf, auch weiterhin ihre Stimme zu erheben und China aufzufordern, seine extrem gefährlichen Aktionen im Südchinesischen Meer zu beenden.

Hanoi, am 15. Juli 2015

Kommentar:

An diesem quasi-offiziellen Appell aus Vietnam, wahrscheinlich verfasst von Nguyen Thi Binh, fällt zunächst etwas auf, was keine große Bedeutung zu haben scheint: Es wird in diesem Text konsequent vom „Südchinesischen Meer“ gesprochen, obwohl es eine Sprachregelung in Vietnam gibt, dieses Gewässer als „Ostmeer“ (Bien Dong) zu bezeichnen. Natürlich haben solche Benennungen keinerlei internationale rechtliche Bedeutung, aber wir schließen uns dieser vietnamesischen Sprachregelung in unserer Zeitschrift an, weil uns das Argument einleuchtet, dass „südchinesisches Meer“ bei nicht informierten Menschen die Assoziation auslösen könnte, es handle sich tatsächlich um ein „chinesisches Meer“, was China ja der übrigen Welt einreden will.

Vielleicht ist der Verzicht auf die eigene Sprachregelung mit Rücksicht auf ausländische Rezipienten erfolgt, die den vietnamesischen Namen nicht kennen. Aber es ist das erste Mal, dass man in Vietnam darauf Rücksicht nimmt, und es steckt meiner Meinung nach mehr dahinter.

Der Appell besteht zu einem großen Teil aus Hinweisen und Zitaten aus offiziellen Dokumenten, Erklärungen von internationalen Stellen und ausländischen Politikern, die die These von der vietnamesischen Souveränität über die Inseln (oder Teile von ihnen) unterstützen. Informierten Beobachtern ist ja seit langem bekannt, dass die Beweise, die die vietnamesische Seite immer wieder vorlegt (es kommen immer wieder neue hinzu), tatsächlich die vietnamesischen Ansprüche zu begründen in der Lage wären – zum Beispiel vor einem internationalen Gericht.

Aber jeder weiß auch, dass sich die Regierung in Peking nie auf eine Gerichtsverhandlung einlassen wird und dass sie ein (vielleicht in Abwesenheit) gegen sie gefälltes Urteil eines internationalen Gerichtshofs genauso in den Wind schlagen würde, wie sie die internationalen Vereinbarungen, die sie z.T. selbst unterzeichnet hat, nicht beachtet.

Und jeder – auch die vietnamesischen Regierung – weiß, dass es um Geopolitik und Machtausübung geht, und nicht um völker- oder seerechtliche Fragen. Dass dieser Appell sich trotzdem vor allem auf diese beschränkt, darf man nicht als Naivität interpretieren. Es spricht aus diesem Text ein Vertrauen auf internationale Regeln und Gesetze, das man getrost als „verzweifelt“ charakterisieren kann.

Es ist, kühl betrachtet, der Versuch, in der Welt an das Vertrauen auf ein Rechtsempfinden zu appellieren, das schon längst nicht mehr alleinige Richtlinie des Handelns sehr sehr vieler Staaten ist. Beispiele brauchen hier nicht angeführt zu werden, sie werden uns täglich in der Tagesschau präsentiert. Dass uns in dieser Lage ein solcher Appell eher rührt als auf die Barrikaden treibt, ist zwar eine Folge der Abstumpfung, aber trotzdem und vielleicht gerade deshalb falsch. Und ebenso wenig eine Bagatelle wie der Verzicht auf die Bezeichnung „Ostmeer“.

Günter Giesenfeld

veröffentlicht im Vietnam Kurier 2/2015

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