Pakt mit vielen Teufeln

Ein Kommentar von Günter Giesenfeld

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ie Kräfteverhältnisse setzen sich gnadenlos durch. Es gibt kein Halten mehr: Arroganz der Macht, Erpressung, Intrigen sind zu „normalen“ Verhaltensformen im internationalen politischen Verkehr miteinander (oder gegeneinander) geworden. Viel war in diesen Tagen in unserer Presse zu lesen über das Treffen der WTO in Hongkong, in der Frankfurter Rundschau stand ein Artikel unter der treffenden Überschrift: „Großkampftruppen des Nordens diktieren die WTO-Themen“. Bei den Verhandlungen über die Agrarsubventionen, dem Thema, das den Entwicklungsländern besonders ‚am Herzen liegt’, weil nicht nur ihr Vorankommen, sondern bei vielen ihre Existenz daran geknüpft ist, werden diese von den reichen mit allen Regeln der ‚Kunst’ betrogen, gedemütigt, ausgeschlossen und ausgetrickst.

Da die meisten kleinen Länder die hohen Kosten der Teilnahme an dem Treffen kaum aufbringen können, schicken sie nur einen oder zwei Vertreter. Die Großdelegationen mit bis zu 70 Mitgliedern dagegen belegen in Luxushotels ganze Etagen. Die Delegierten aus den armen Ländern haben kaum die Zeit, die dicken Dokumentationen zu lesen, die ihnen kurzfristig zur Entscheidung vorgelegt werden, geschweige denn entsprechende Gegenpositionen zu formulieren. Auch der Versuch, dieses Mal ein loses Bündnis zu bilden, kann diese grundlegende Ungleichheit nicht beseitigen. „In der Endphase arbeiten die westlichen Delegationen meist in drei Schichten rund um die Uhr. Wenn ein armes Land ein nächtliches Abstimmungsgespräch mal verpaßt, weil der einzige Delegierte auch mal schlafen muß, hat es Pech gehabt.“1 Besonders fatal wirkt sich das System der Hintergrundzirkel aus, wo hinter verschlossenen Türen unter den Industriestaaten Entscheidungen abgesprochen werden. Darüber erfahren die kleinen Delegationen erst etwas, wenn es zu spät ist. Wenn sich die meist von solchen Beschlüssen negativ Betroffenen wehren, werden sie erpreßt, indem man ihnen mit dem Entzug von Entwicklungshilfe oder politischem Wohlwollen droht. Viele Beobachter (zumeist NGOs), die Vertreter zum Treffen entsenden, kritisieren diese ganz offen undemokratischen und machtpolitischen Verhaltensweisen der Großen und sagen offen, daß dies politisch gewollt und kein „Sachzwang“ ist. „Es wäre ein leichtes, die Verhandlungen so einzurichten, daß alle Interessen vertreten sind“, sagt OXFAM-Vertreterin Marita Wiggerthaler.2

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ietnam, das ja seine Erfahrungen mit der WTO bereits in den Vorverhandlungen machen konnte (siehe den Artikel von Uwe Hoering in diesem Heft), scheint trotzdem, wenn man es von außen betrachtet, von einem unerschütterlichen Optimismus geprägt bei allem, was mit seinem Beitritt zu der Weltorganisation zusammenhängt. Vielleicht ist die vietnamesische Regierung eine der wenigen in dieser Welt, die anscheinend mit ehrlichen Hoffnungen den Beitritt betreiben und die Sonntagsreden-Phrasen von der „Freiheit des Handels“ und der „gerechten Zusammenarbeit“ ernstnehmen. Ist man in Vietnam wirklich so naiv? Liest man die Berichte nicht oder hört man denjenigen nicht zu, die ihr Lied singen von den Zuständen, die in der WTO herrschen? Wollen Sie nicht wahrhaben, daß sie da in einen Verein eintreten, in dem sie viel eher gnadenlosen Machtkämpfen auf aussichtslosem Posten ausgesetzt sein werden als einem fairen Miteinander? Überwiegen nicht die Nachteile bei weitem die wenigen Vorteile, die dieser Schritt mit sich bringt?

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ein, man ist vielleicht (zu) gutwillig, aber nicht naiv in Hanoi. Denn das Dilemma ist, daß diese Frage, die so leicht zu beantworten wäre, sich gar nicht stellt. Vietnam hat, und alle anderen kleinen Länder haben keine Alternative. Allein und ohne den Schutz einer gewissen juristischen Struktur, der sich alle unterwerfen müssen, auch die Großen, würde es in noch ganz schlimmerem Maß der Willkür nicht so sehr der Regierungen der reichen Länder, aber ganz unkontrolliert den Diktaten der multinationalen Konzerne ausgesetzt sein – auch wenn diese, durch Lobbyisten in und außerhalb der Regierungen auch in der WTO unsichtbar mit am Tisch sitzen. Und der eigentlich Kern des Dilemmas ist, daß die WTO ja weit mehr ist als eine reine Handels-Clearingstelle, die parteilich im Sinne der Großen funktioniert. Weit darüber hinaus geht der Einfluß, den diese und andere Organisationen, die der Westen geschaffen hat, auf die inneren Verhältnisse in den Ländern ausüben, die mit ihnen zu tun haben, und das heißt im Falle der Entwicklungsländer: die etwas von ihnen wollen. Eine ‚ausgleichende Gerechtigkeit’ gibt es bei ihnen nur gegen Zugeständnisse: bei der Gestaltung der sozialen Strukturen, bei den wirtschaftlichen Prioritäten und ganz elementar bei der Verfassung des politischen Systems.

Denn die USA (sie sind die Hauptsponsoren, Einpeitscher und Hauptnutznießer aller solche Organisationen seit 1945) haben früh erkannt, wie wertvoll solche Instrumente auch bei der Bekämpfung feindlicher oder unliebsamer gesellschaftlicher Strukturen und politischer Entwicklungsziele (sie werden stets in bewußter Verkürzung „kommunistisch“ genannt) sein können. Obwohl man ja bereit ist, für die Änderung eines Systems („Regimes“) in einem anderen Land auch Kriege zu führen, sind solche wirtschaftlichen Waffensysteme natürlich viel eleganter und unauffälliger.

Auch hierüber macht sich eine Partei wie die in Vietnam keine Illusionen, dafür hat sie viel zu viele Erfahrungen mit Feinden und scheinbaren Freunden gemacht in der Vergangenheit ihres Landes. Es scheint ein spezifisches Charakteristikum vietnamesischer Politik zu sein, Kröten, die man schlucken muß, wie einen Leckerbissen zu verzehren. Wenn schon Muß, dann auch Will. Trotzdem sind politische Beschlüsse dieser Art, wie etwa die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA oder der Eintritt in die WTO, immer auch so etwas wie Pakte mit dem Teufel. Und bei einem Machtgefälle, wie es besteht zwischen Vietnam und den mächtigen Partnern ist immer vorprogrammiert, daß man mehr bezahlen muß als man erhält. Daran ändern beidseitige Komplimente und der manchen Beobachtern übertrieben erscheinende Eifer der vietnamesischen Regierung nichts, schnell und geradezu zuvorkommend alle Voraussetzungen (d.h. Forderungen) zu erfüllen, auch wenn sie durchaus ambivalent sind im innenpolitischen Zusammenhang. Daß dies kaum in die Öffentlichkeit dringt und auch kaum öffentlich diskutiert wird, hängt mit der besonderen Art von Öffentlichkeit in Vietnam zusammen, in der z.B. die Medien sich stets an den von oben vorgegebenen Konsens (d.h. in diesem Fall Optimismus) halten und Kritik nur in sachlich ausgewogener Form verlauten lassen. Dies bedeutet aber nicht, daß solche auch erbittert kontroversen Diskussionen nicht stattfinden, aber sie sind beschränkt auf die Partei- und Regierungsgremien. Deshalb kann man davon ausgehen, daß solche außenpolitischen (bei uns würde man sie „umstritten“ nennen) Beschlüsse nicht nach allem Für und Wider untersucht worden sind. Öffentliches radikales Streiten mit unvereinbaren Positionen ist sowohl dem sozialistischen Selbstverständnis, als auch traditionellen vietnamesischen Umgangsformen fremd. Und die Partei hat stets ihre Aufgabe darin gesehen, solche unvereinbaren Positionen dann, wenn das Land keine andere Wahl hatte, „vereinbar“ zu machen, d.h. nach einer manchmal langen Phase der Diskussion die nicht mögliche Alternative auch nicht mehr konkret zu artikulieren.

Anmerkungen:
1 FR, 15.12.2005
2 Ebda.

veröffentlicht im Vietnam Kurier 3-4/2005

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