Schuhindustrie

Krise in den nach Vietnam ausgelagerten Produktionsstätten.

Stefan Kühner

Billige Arbeitskräfte, laxe Umweltschutzvorschriften und geringe Steuern wurden in den letzten 20 Jahren von den Unternehmen der Bekleidungs- und Schuhindustrie genutzt, um die Herstellung dieser Produkte in Länder wie Vietnam auszulagern. Jetzt gibt es Bestrebungen, die Produktion zurückzuholen. Adidas sprintet voran.

Hintergrund dieser Überlegungen sind neue Markttrends in Verbindung mit modernsten Technologien. Letztere erlauben beträchtliche Einsparungen durch weitere Automatisierung bei der Produktion von Investitions- und Verbrauchsgütern. Die Rationalisierungsmöglichkeiten sind so groß, dass von einer neuen Industriellen Revolution gesprochen wird. Das Schlagwort lautet Industrie 4.0. Bei der Hannover-Messe im April 2015 wurde das Thema von Politik und Wirtschaft als eines der wichtigsten Zukunftsprojekte für Deutschland in die Öffentlichkeit getragen. Experten weisen allerdings zu Recht darauf hin, dass die neuen Techniken den möglichen Verlust einer großen Zahl von Arbeitsplätzen in Deutschland mit sich bringen könnten. Dass diese Gefahr aber nicht nur in den hochentwickelten technischen Ländern besteht, sondern auch in den Ländern, in denen derzeit unsere Kleidung, Schuhe, Mobiltelefone etc. gefertigt werden, wurde bislang so gut wie nicht betrachtet. Die Folgen der Hochautomatisierung mit Industrie 4.0 könnten sich in Ländern wie Vietnam sogar noch gravierender auswirken als bei uns.

Forschungsprojekt Speedfactory

In einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Projekt mit dem Namen Speedfactory „wird eine automatisierte Einzelstückfertigung entwickelt, in der Menschen und Roboter in gemeinsamer Arbeitsumgebung Sportartikel sowie Bezüge für Autositze produzieren. Diese können innerhalb kurzer Zeit vom Design bis zum finalen Produkt kostengünstig und flexibel hergestellt werden.“ heißt es auf der Homepage des Ministeriums zu diesem Forschungsvorhaben.1 Die Partner für das Projekt sind der Sportartikel- und Schuhhersteller adidas, ein Unternehmen für Spezialtextilien und hoch automatisierte Nähmaschinen, die IT-Firma Johnson Controls und die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen.2

Ziel des Projekts ist die industrielle Kleinstserienfertigung. Unter Nutzung aktueller Technologien und optimaler Mensch-Roboter-Interaktionen sollen sehr kurze Taktzeiten mit höchster Flexibilität erreicht werden. Ziel ist eine Verminderung der Transaktionen über die Kontinente hinweg. Die Produktion von Mode- und Sportartikeln soll wieder verstärkt in Europa stattfinden. Die Wettbewerbsfähigkeit soll durch kürzere Logistikwege (physisch und IT-bezogen) und damit schnellere Reaktion auf Kundenwünsche und Modetrends erhöht werden.

Hintergrund dieser Vorstellungen sind neue Formen des Angebots von Waren: Kunden sollen nicht mehr Schuhe aus dem Regal kaufen, sondern können speziell in Bezug auf Passgenauigkeit, Farbe, Muster und Material ganz individuell gestaltete Schuhe fertigen lassen. Der Kunde oder die Kundin lassen dazu seinen/ihren Fuß in einem Scanner vermessen. Anschließend wird aus einem Musterkatalog die Farbe der Sohlen und des Obermaterials ausgesucht. Gegebenenfalls kann sogar ein eigenes Muster mitgebracht werden. Die Daten gehen dann per Internet an die Produktionsstätten zur Fertigung.

Ende der ausgelagerten Produktion?

Ein solches Geschäftsmodell funktioniert allerdings nicht, wenn die Schuhe in Betrieben in Vietnam hergestellt werden. Die Lieferzeiten und Kosten wären so hoch, dass sich dies außer vielleicht Fußballspielern kein Mensch leisten könnte. Wenn die Schuhe schon vollautomatisch hergestellt werden, dann kann man das auch in Deutschland machen. Die Arbeitssklaven in Vietnam würden nicht mehr gebraucht.

Dass diese Vorstellungen keine ferne Zukunftsvision sind, zeigt das Speedfactory-Projekt. Es wurde 2013 gestartet und soll bereits 2016 konkrete Ergebnisse zeigen. Ein Netzwerk kleiner, flexibler Produktionsstätten wird dann die zentralisierte Herstellung in Großbetrieben ersetzen. Der Hersteller kann viel schneller und flexibler auf Nachfrageänderungen und individuelle Kundenwünsche reagieren. „Das Ziel ist es, flexibel, lokal und auf kleinstem Raum zu produzieren“, sagt Gerd Manz, Vizedirektor für Technology Innovation bei Adidas.3

Was diese Neuerungen für die Fertigungsstandorte in Vietnam, Kambodscha, Bangladesh und Indien bedeuten, liegt auf der Hand. Die Produktion von Schuhen ist einer der wichtigsten Wirtschaftsbereiche in Vietnam. Bezogen auf den Umsatz nimmt er Platz 3 ein mit einem Umsatzvolumen von 8.5 Mrd. US-$ im Jahr 2013. Nach Angaben des Verbandes der Vietnam Leather and Footwear Association (LEFASO) wurden 2014 sogar für 12 Mrd. US-$ Schuhe hergestellt. 2015 soll die Produktion nochmals steigen auf dann 15 Mrd. Weit über 1 Million Beschäftigte arbeiten in ca. 600 Betrieben dieser Branche.4 Allein in der Schuhfabrik Pou Yuen Vietnam in Ho-Chi-Minh-Stadt, die zu einem chinesischen Konzern gehört, arbeiten zirka 90.000 Menschen. Wenn dieses Wirtschaftssegment wegbricht, hat dies schlimme Folgen sowohl für die Betroffenen als auch für die Volkswirtschaft.

gg

Streik in der Pou-Yuen-Schuhfabrik

Streiks

Die neuen technischen Möglichkeiten kommen den Schuh- und Bekleidungsunternehmen vermutlich gerade recht. Zum einen sind die Arbeitsbedingungen in den Fabriken Asiens so miserabel, dass das Image der Hersteller darunter leidet. Die naheliegende Konsequenz, diese Bedingungen zu ändern, steht allerdings nicht auf der Agenda dieser Konzerne. Ein weiterer Grund, der die Konzerne zu der Überlegung bringt, die Fertigung zurückzuholen, ist eine wachsende Bereitschaft der Arbeiterinnen und Arbeiter in Asien, sich gegen miese Arbeitsbedingungen, Unternehmerwillkür zu wehren und für sozialpolitische Forderungen zu streiken.

„Tausende Arbeiter haben in Vietnam Ende März 2015 sechs Tag lang in Folge die Schuhfabrik Pou Yuen bestreikt, in der auch für Marken wie Nike und Adidas produziert wird. Die Fabrik ist einer von mehr als 1000 Adidas-Zulieferern, allerdings einer der etwas größeren. Die Protestveranstaltungen in und vor der Fabrik in einem Vorort von Ho-Chi-Minh-Stadt verliefen diszipliniert und friedlich“, berichtete die Tagesschau5.

Die Mitarbeiter des Werks wehren sich gegen Änderungen im Sozialrecht. Demnach sollen sie ab 2016 im Falle ihrer Kündigung keine Einmalzahlung mehr erhalten, sondern einen monatlichen Zuschuss zur Sozialversicherung. Dieser würde allerdings erst fällig, wenn sie das Rentenalter erreicht haben, d.h. Männer mit 60 und Frauen mit 55 Jahren. Die Streikenden verlangen jedoch eine sofortige Abfindung, um einen finanziellen Puffer zu haben, bis sie eine neue Anstellung finden. Die Betreiberfirma forderte von der Regierung eine rasche Lösung des Problems, um die Arbeiterinnen und Arbeiter zu besänftigen.6

Auch Adidas äußert sich zu dem Streik: „Wir verfolgen die Situation vor Ort sehr genau, in engem Kontakt mit Pou Yuen“, teilte die Firma mit. Der Fabrikbetreiber befände sich in Diskussionen mit der lokalen Regierung, um eine Lösung des Konfliktes herbeizuführen.7

Nach einem Treffen von Ministerpräsident Nguyen Tan Dung mit dem Arbeitsministeriums und Gewerkschaftsvertretern kündigte die vietnamesische Regierung an, die Neuregelung des Sozialrechts zu überarbeiten.8 Die Arbeiterinnen gingen zurück in die Fabrik.

Der stellvertretende Arbeitsminister Doan Mau Diep schlug vor, die Angestellten sollten wählen dürfen, ob sie bei ihrem Ausscheiden aus der Firma eine einmalige Gutschrift zur Sozialversicherung gleich in Anspruch nehmen wollen oder erst beim Renteneintritt.

Fazit

Was für Schuhe gilt, gilt auch für Kleidung. Auch dort gibt es ähnliche Überlegungen zur Automatisierung. Es ist also zu befürchten, dass die Textil-Arbeiterinnen und Schuh-Arbeiter in der globalen Wirtschaftsordnung trotz geringer Löhne und mieser Arbeitsbedingungen ihre Jobs wieder verlieren. Das Ganze wird bei uns auch noch positiv verkauft, weil unsere Industrie Jobs zurückholt. Das geschieht bereits jetzt: „Speedfactory soll helfen, unseren schönen Mittelstands-Ort Deutschland zu sichern. Adidas hat bereits Anstrengungen unternommen, Teile der Produktion aus dem Ausland zurück nach Herzogenaurach zu holen. Grund: Lieferzeiten von 6 Wochen für Trikots, Fußballschuhe und andere Hypeartikel sind natürlich zu lang. Wer Weltmeister geworden ist, will seinen Stolz möglichst gleich am nächsten Tag am Leib tragen“, heißt es auf der Homepage des Konzerns.

Anmerkungen
1 http://autonomik40.de/SPEEDFACTORY.php
2 Adidas-Homepage: www.adidasgroup.com/media/filer_public/2013/11/28/adidas_speedfactory_factsheet_de.pdf
3 Newsletter der IHK Karlsruhe April 2015
4 www.vietnam-briefing.com/news/vietnam-footwear-industry-sees-growth-tpp.html/
5 am 02.04. 2015
6 Vgl. Fachmagazin „Schuhkurier“ 02.04.2015
7 Ebda.
8 TN 23.04.2015

veröffentlicht im Vietnam Kurier 1/2015

zurück zurückVNK Home