Einfluss der Wirtschaft in Freihandelsabkommen
Wer diktiert die Regeln?

Joseph E. Stiglitz

Freihandelsabkommen werden auf der ganzen Welt zwischen Politikern ausgehandelt, aber viele haben den Eindruck, dass die großen Konzerne die Regeln und Bedingungen dieser Abkommen diktieren.

Die Vereinigten Staaten und der Rest der Welt befinden sich mitten in einer großen Diskussion über neue Handelsabkommen. Solche Verträge nennt man gewöhnlich „Freihandelsabkommen“; In Wahrheit aber werden sie ausgearbeitet im Interesse der großen Konzerne vor allem in den USA und in der EU. Derzeit wird ihr Ergebnis oft auch als „Partnerschaft“ bezeichnet, wie etwa im TPP (Trans-Pacific Partnership). Aber es handelt sich dabei nicht um Partnerschaften zwischen Gleichen oder „auf Augenhöhe“, in Wahrheit diktieren die USA die Regeln. Glücklicherweise werden Amerikas „Partner“ zunehmend misstrauisch.

Es ist leicht einzusehen, warum. Diese Abkommen gehen weit über den Handel hinaus, sie entscheiden über Investments ebenso wie über Geistiges Eigentum und zwingen den Ländern grundlegende Änderungen auf in ihren gesetzlichen, rechtlichen und Ordnungs-Regelwerken, ohne die Mitwirkung oder die Beachtung demokratischer Institutionen.

Der vielleicht böswilligste – und vielleicht unredlichste – Aspekt dieser Vereinbarungen ist der Investitionsschutz. Natürlich müssen Investoren gegen kriminelle Enteignungen durch Regierungen geschützt werden. Aber das ist es nicht, was diese Bestimmungen beinhalten. In den letzten Jahrzehnten hat es sehr wenige Enteignungen gegeben, und Investoren, die sich dagegen schützen wollen, können Versicherungen abschließen bei der Mulitlateral Investment Guarantee Agency, einer Unterabteilung der Weltbank. Außerdem bieten die Regierungen der USA und anderer Staaten entsprechende Versicherungsmöglichkeiten an. Dessen ungeachtet fordern die USA solche Garantien im TPP-Abkommen, obwohl viele ihrer „Partner“ selbst eigene Schutzvorschriften und gesetzliche Regelungen dafür besitzen.

Das wahre Ziel, das hinter solchen Forderungen steckt, ist es, Regulierungen zu verhindern, die aus gesundheitlichen, die Umwelt schützenden oder sogar finanziellen Interessen erlassen werden, und die Amerikas eigener Wirtschaft und amerikanischen Bürgern schaden könnten. Firmen können Regierungen anderer Länder auf die vollständige Ersetzung von Verlusten verklagen, die durch entgangene und möglicherweise in Zukunft nicht realisierbare Profite entstehen, weil Regelungen geändert wurden.

Das ist nicht nur eine theoretische Überlegung. Philip Morris hat Uruguay und Australien verklagt, weil diese Regierungen warnende Hinweise auf Zigarettenpackungen vorgeschrieben haben. Die beiden Regierungen gingen ein wenig weiter als die USA, indem sie Bilder hinzufügten, die die Folgen des Zigarettenrauchens zeigten.

Das hat Wirkung gezeitigt. Es scheint tatsächlich vom Rauchen abzubringen. Deshalb fordert nun Philipp Morris Ersatz für den entgangenen Profit.

Zukünftig können also, wenn entdeckt wird, dass irgend ein Produkt gesundheitsschädlich ist (z.B. Asbest) die Hersteller zwar vor ordentlichen Gerichten auf die verursachten Kosten verklagt werden, aber sie könnten dann auch die Regierungen auf Schadensersatz für den Versuch verklagen, sie davon abzuhalten, dass noch mehr Menschen getötet werden. Dabei kann sogar der absurde Fall eintreten, dass eine Regierungen durch ein demokratisch nicht legitimiertes Wirtschaftsgremium dazu gezwungen werden kann, einem Konzern die durch ein ordentliches Gericht verhängte Geldbuße zurückzuzahlen... Ähnliches könnte passieren, wenn unsere Regierungen strengere Regelungen einführen, die uns vor den Folgen der Treibhausgas-Emissionen schützen sollen.

Als ich in Bill Clintons „Council of Economic Advisors“ Mitglied war, versuchten Gegner der Umweltschützer, ähnliche Regelungen durchzusetzen. Sie nannten das „Regulierungszahlungen“ und meinten Ersatzzahlungen für „entfallene“ Profite, wenn die Regierung Umweltschutzregelungen verschärfte. Sie wussten, dass Gesetze, wenn sie einmal erlassen sein würden, durch solche Verpflichtungen schnell vom Tisch wären, weil die Regierung die fälligen Zahlungen nicht aufbringen würde oder könnte. Glücklicherweise gelang es uns damals, die Initiative abzuwehren, sowohl im Kongress als auch vor Gericht.

Jetzt sind solche Kreise dabei, demokratischen Prozessen endgültig den Garaus zu machen, indem sie solche Bestimmungen in Handelsverträge einfügen, deren Inhalte vor der Öffentlichkeit weitestgehend geheim gehalten werden – nicht aber vor den Konzernvertretern, die sie oft selbst formulieren. Nur durch Indiskretionen, durch Whistleblower oder in Gesprächen mit Regierungsvertretern, die demokratischen Prozessen noch verpflichtet sind, erfährt die Öffentlichkeit überhaupt fragmentarisch, was da passiert.

Grundlegend für das amerikanische Regierungssystem ist eine unparteiische öffentliche Gerichtsbarkeit, mit gesetzlichen Grundlagen, die über viele Jahrzehnte hinweg entwickelt wurden und auf den Prinzipien der Transparenz, der Anwendung von Präzedenzfällen und der Möglichkeit, ungünstige Urteil durch eine höhere Instanz überprüfen zu lassen, beruhen. All das ist nicht mehr gültig, es wird gemäß den neuen Vereinbarungen durch private, nicht transparente und äußerst kostspielige Verfahren außer Kraft gesetzt. Darüber hinaus gibt es dabei unausweichlich Interessenkonflikte, wenn ein Verhandlungsmitglied im einen Fall als Richter und im anderen als Anwalt fungiert.

Diese Verfahren sind so kostspielig, dass etwa Uruguay sich an Michael Blomberg und andere reiche Amerikaner, die ein Interesse an Gesundheitsfragen haben, wenden musste, um sich gegen Philip Morris wehren zu können. Und die Konzerne können in Berufung gehen, andere können das nicht. Wenn es dabei um einen Verstoß gegen andere Regelungen geht – etwa gegen Arbeitsgesetze oder Umweltschutzstandards – können Bürger, Verbände oder andere zivile Gruppen nicht dagegen vorgehen.

Wenn es je eine einseitige Verhandlungs- und Beschlussregelung gegeben hat, die grundlegende Prinzipien verletzt, so ist dies eine. Deshalb habe ich mich mit Rechtsexperten aus den Universitäten von Harvard, Yale und Berkeley zusammengetan und einen Brief an Präsident Obama geschrieben, um ihm zu erklären, wie sehr diese Vereinbarungen unser Rechtssysten beschädigen.

Amerikanische Befürworter solcher Abkommen haben betont, dass die USA nur einige wenige Mal von diesen Regelungen betroffen und angeklagt worden sind. Und dass sie in keinem einzigen Fall unterlegen waren. Die Konzerne haben längst gelernt, diese Vereinbarungen zu ihren Gunsten auszulegen.

Und die hochbezahlten Konzernanwälte in den USA, in Europa und Japan werden leichtes Spiel haben gegen unterbezahlte Regierungsanwälte, die versuchen müssen, öffentliche Interessen zu verteidigen. Außerdem können Konzerne in den fortgeschrittenen Ländern leicht Filialen in anderen Mitgliedsstaaten gründen, über die sie Investitionen wieder zurückgewinnen können. Dann können sie klagen und der Weg ist frei für neue Blockierungen von Regelungen.

Wenn es tatsächlich Gründe gäbe, Besitz besser zu schützen, und wenn tatsächlich dieser private, kostspielige Verhandlungs- und Urteilsmechanismus einer öffentlichen Gerichtsbarkeit überlegen wäre, dann sollten wir die Gesetze nicht nur für betuchte ausländische Firmen machen, sondern auch für die Bürger und kleinen Unternehmer. Aber es gibt kein Anzeichen, dass so etwas vorgesehen ist.

Regeln und Verfahrensvorschriften definieren die Art von Wirtschaft und Gesellschaft, in denen die Menschen leben. Sie beeinflussen Handelsvorteile und damit die Ungleichheit, die ein weltweit wachsendes Problem ist. Die Frage ist, ob wir es den reichen Konzernen erlauben wollen, uns mit geheimen Bestimmungen in sogenannten Handelsabkommen vorzuschreiben, wie wir im einundzwanzigsten Jahrhundert leben wollen. Ich hoffe, dass die Bürger in den USA, in Europa und in der Pafizik-Region mit einem weithin schallenden „NEIN“ antworten werden.

Quelle: Outlook, Juni 2015, S, 34f,
übersetzt von Günter Giesenfeld

Joseph E. Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaft, lehrt an der Columbia-Universität in New York. Sein neuestes Buch (mit Bruce Greenwald) trägt den Titel Creating a Learning Society. A New approach to Growth, Development and Social Progress. New York, Columbia University Press 2014

veröffentlicht im Vietnam Kurier 2/2015

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