Glaube, Hoffnung ...

Ein Kommentar von Günter Giesenfeld

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ach vielen Ermahnungen und öffentlichen Protesten hat sich die EU-Kommission bequemt, einige Informationen und ausgewählte Texte des in Verhandlung befindlichen Vertrags über die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, genannt TTIP, zu veröffentlichen und ins Netz zu stellen. Wie man weiß, sind die Verhandlungen zwischen den USA und einem kleinen Kreis von zum Schweigen verpflichteten EU-Beauftragten streng geheim, und das kam in der europäischen Öffentlichkeit immer weniger gut an. Es schürte Zweifel vor allem daran, ob die europäische Seite auch wirklich europäische Interessen vertritt oder sich vielmehr in vielen Fragen von den Amerikanern über den Tisch ziehen lässt. Was da nun veröffentlicht wurde, haben Journalisten und auch EU-Parlamentarier natürlich sofort unter die Lupe genommen und sind zu dem Ergebnis gekommen: Genau die Dokumente und Informationen, die die kritische Öffentlichkeit besonders interessieren würden, sind nicht dabei.

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ass die Auszüge in englischer Sprache und zudem in einem schwer verständlichen, sehr technokratischen Fachjargon verfasst sind, zeugt nicht von einem ausgeprägten Bedürfnis nach Transparenz – eine deutsche Übersetzung wird nicht geliefert. Lesbar sind, nach Meinung mancher, die sich die Mühe gemacht haben, die Texte zu prüfen, allenfalls kurze Zusammenfassungen zu bestimmten Themen wie „Handel mit Chemikalien, mit Textilien und Kraftfahrzeugen“, zu „technischen Handelsbarrieren, Industrienormen“ und zu den besonders umstrittenen Investitionsschutz-Regularien“1 Vorher war bekannt geworden, dass die USA, die anscheinend eine Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln oder -zutaten fürchten wie der Teufel das Weihwasser, deshalb den cleveren Kompromissvorschlag gemacht haben, diese Information in den Barcode auf den Verpackungen zu verstecken. Wer kein Smartphone hat, kann oder wird es nicht lesen (und er und alle anderen sollen es wohl auch möglichst nicht lesen).

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ie Analyse von Stefan Sauer in der Frankfurter Rundschau beantwortet die Frage, ob die Informationen zu einzelnen Verhandlungsgegenständen ausreichen, mit einem klaren Nein. „Im Grunde handelt es sich um eine Textsammlung, die die überwölbende Überschrift 'Was die EU gerne durchsetzen würde' trägt. Dagegen fehlen Hinweise darauf, an welchen Punkten Zugeständnisse bereits gemacht oder Verhandlungserfolge erzielt wurden.“ Man muss ja davon ausgehen, dass Umfang und Art dieser „Transparenz“ durch die EU-Kommission mit den amerikanischen Partnern abgesprochen werden musste. Also dürfte auch auf ihr Veto die Tatsache zurückgehen, dass an keiner Stelle die Forderungen der USA zu finden sind. Die Geheimhaltung bezieht sich also vor allem und vielleicht ausschließlich auf die Forderungen der Großmacht, die ja auch mit anderen Staaten und Ländergruppen auf der ganzen Welt um Freihandelszonen schachert, die nicht bekannt werden dürfen. Warum? Der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold kommentiert diesen grundlegenden Mangel der veröffentlichten Texte so: „Sie enthalten nicht die Forderungen der USA. Nur wenn diese Forderungen öffentlich gemacht werden, können wir wissen, worüber konkret eigentlich verhandelt wird und wo die Knackpunkte liegen“.


In Dresden: Das trojanische Pferd ist zu einem passenden Symbol für TPP, TIPP & Co. geworden

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ie deutsche Öffentlichkeit ist dem deutschen Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) zu Dank verpflichtet, dass er die Geschichte mit den Barcodes öffentlich gemacht hat. Dass er sie womöglich gut findet, ändert nichts daran, dass er damit einen kleinen Einblick erlaubt hat. Und dass wir auf diese Weise erkennen können, wie absurd die Verhandlungen offenbar manchmal sind, weil die großen Brüder von jenseits des Atlantik nicht „Partnerschaft“ anstreben, sondern ihre einseitigen Interessen kühl und ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit, gleiche Augenhöhe oder Plausibilität knallhart durchzusetzen versuchen, und zwar geheim, damit die Völker nicht merken, was mit ihnen passieren soll.

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ie vietnamesische Regierung scheint das entsprechende Abkommen, das die USA mit ihnen schließen wollen, für so attraktiv zu halten, dass auch sie, wie anscheinend die EU, nichts dagegen hat, wenn es mit schlimmen Risiken und Nebenwirkungen behaftet ist. Sie verhält sich, obwohl es in Vietnam keine öffentliche Diskussion oder wie bei uns organisierte Gegnerschaft in der Bevölkerung gibt, wie die EU-Kommission: Sie spricht öffentlich über das, was sie sich erhofft von der Trans Pazifischen Partnerschaft (TPP), und was sie vielleicht glaubt, noch durchsetzen zu können, nicht aber von dem, was der übermächtige Partner von ihr verlangt. Angesichts dieser Parallele verbietet es sich von selbst, der vietnamesischen Regierung mangelndes Verhandlungsgeschick oder Naivität vorzuwerfen. Denn dieser Vorwurf würde auch die EU-Kommission betreffen.

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innvoll und notwendig ist es aber, die Unterschiede herauszuarbeiten, die die beiden scheinbar so ähnlichen Situationen aufweisen. Zunächst fällt auf, dass Europa für die USA ein wesentlich wichtigerer Partner oder Gegner ist als das kleine Vietnam. Anders wäre dies, wenn im südostasiatischen Raum der ASEAN-Staatenbund Verhandlungspartner wäre. Die vietnamesische Regierung hat auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht, indem sie die US-amerikanischen Verhandlungspartner auf den größeren Rahmen verwies, in dem nach ihrer Meinung auch die TPP verhandelt werden müsste. In der gegenwärtigen Konstellation ist es aber noch so, dass die EU allein auf Grund ihres ökonomischen Gewichts eigentlich viel mehr Möglichkeiten hat, ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen – wenn sie es denn will. Andererseits hat Vietnam auf den ersten Blick offensichtlich weniger konkrete Benachteiligungen zu befürchten, weil seine Wirtschaft weder vergleichbar groß noch vergleichbar entwickelt ist: So muss es nicht wie Europa z.B. bestimmte Markenschutzrechte verteidigen, weil es in Vietnam solche noch kaum gibt. Auch für große Industriesektoren wichtige Patente wie z.B. in der europäischen Autoindustrie gibt es nicht, also kann mit ihrer Missachtung kein Druck ausgeübt werden.

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er zweite Blick allerdings deckt auf, wo hier die wirklichen Fallstricke liegen. Angesichts der immer umfangreicheren wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Vietnam und den USA werden mit Sicherheit Interessen-Schutzklauseln, die die USA auch in Europa durchsetzen wollen, für Vietnam auf empfindliche Weise relevant werden. Klagen und nicht zu gewinnende Prozesse vor obskuren Schiedsgerichten drohen auch der vietnamesischen Regierung, wenn man einmal davon ausgeht, dass diese hierzulande besonders kritisierten Klauseln auch in den TPP-Vereinbarungen stehen. Dasselbe trifft für Patente zu, die erst mit Abkommen von der Art der TTIP oder TPP ihre verhängnisvollen Auswirkungen haben. Wie in dem in diesem Heft veröffentlichten Artikel von Brian Leung ausgeführt, erhält die Großoffensive von Firmen wie Monsanto auf den vietnamesischen Markt erst ihre wirkliche Brisanz und Gefährlichkeit durch die Koppelung mit den Klauseln im TPP, die das „geistiges Eigentum“ schützen, aber in Wahrheit nur die Profite der großen Konzerne absichern sollen. Innerhalb und mit den Sanktionen des TPP kann in Vietnam der Vertrieb oder die Herstellung von billigeren sogenannten Generika-Medikamenten verboten und wirksam unter Strafe gestellt werden, ebenso erleichtern diese Klauseln den Lebensmittel-Konzernen die Einrichtung von Monopolen, die das Leben und die Verdienstmöglichkeiten der Bauern erheblich beeinträchtigen. Die vietnamesische Regierung würde eines großen, heute noch ganz unabsehbaren Teils ihrer Souveränität in der Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik beraubt.

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enau wie wir in unseren Breiten alles dafür tun müssen, dass die Bevölkerung davor geschützt wird, eines Tages ein böses Erwachen zu erleben, weil bestimme Kreise in der EU sich kurzsichtig oder von Versprechungen geblendet oder aus eigenem materiellen Interesse über den Tisch ziehen lassen, sind wir es uns auch schuldig, unsere Freunde in Vietnam auf die Fehler hinzuweisen, die sie zu machen drauf und dran sind – vielleicht, weil sie sich einfach nur nicht vorstellen können, dass die USA – dieser gütige reiche neue Freund – überhaupt nichts Freundliches im Schilde führen könnte.

Anmerkung:
1 Frankfurter Rundschau vom 09.01.2015

veröffentlicht im Vietnam Kurier 3-4/2014

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