Nach dem WTO-Beitritt:
die inneren Konsequenzen

zusammengestellt von Jürgen Adam

Die Anpassungsmaßnahmen, die Vietnam zu ergreifen hat, um den Regeln der WTO zu genügen, sind vielfältig und zwingen zu einschneidenden Eingriffen in die rechtliche und wirtschaftliche Struktur des Landes.

14 Monate nach dem Inkrafttreten des Unternehmensgesetzes hat die Regierung das Dekret Nr.139/207/ND-CP erlassen, um weitere noch bestehende Hindernisse zu beseitigen, denen sich ausländische Unternehmen ausgesetzt sahen, die in Vietnam ein Geschäft begründen wollten.

Das Dekret beseitigt alle Genehmi-gungserfordernisse auf der Ebene von Ministerien, Behörden oder lokalen Institutionen. Genehmigungen können nun nur noch auf der Ebene des Ministerpräsidenten oder der Regierung erteilt werden. Entgegenstehende Regelungen treten am 1. 9. 2008 außer Kraft. Im Folgenden werden einige Einzelheiten aus diesem Anpassungsprozeß erörtert.

Irritierte Investoren

8 Monate nach dem Beitritt Vietnams zur WTO hat die Regierung viele Gesetze verändert, um sie mit den WTO-Regeln in Einklang zu bringen. Aber immer noch gibt es Schwierigkeiten, weil die zuständigen Institutionen nicht koordiniert vorgehen und deshalb die neuen Regelungen nicht einheitlich anwenden. So bestehen nach wie vor Anpassungsschwierigkeiten zwischen dem Investitionsgesetz und den staatlichen Verpflichtungen aus dem WTO-Beitritt. Zu diesem Thema gab es einen runden Tisch, veranstaltet vom Ministerium für Planung und Investitionen und der Europäischen Handelskammer in Vietnam.

Dort waren u. a. die Sektoren Bau und Handel Gegenstand der Diskussion. Beklagt wurde von den Europäern die unterschiedliche Handhabung in den Provinzen. Bei der Erteilung von Gewerbezulassungen wurden in einigen Provinzen - bei gleichen Voraussetzungen - Bewilligungen erteilt, in anderen nicht.

Auch die zeitliche Koordinierung der Maßnahmen zur Marktöffnung war nicht optimal erfolgt. so war nicht in jedem Fall klar, daß ausländische Investoren im Bausektor keinen Einschränkungen unterliegen, im Handelsbereich für sie jedoch eine Obergrenze von 49 % Gesellschaftsanteil gilt. Örtliche Behörden haben außerdem die Genehmigung einiger Projekte im Dienstleistungssektor abgelehnt, weil sie in den Listen der WTO-Regelungen nicht aufgeführt waren. Tran Hao Hung, der stellvertretende Direktor der Rechtsabteilung des Ministeriums für Planung und Investitionen, hielt solche Ablehnungen für irrational. Er meinte, daß in den WTO-Regelungen nicht ausdrücklich ausgeschlossene Genehmigungen nach nationalem Recht (Investitionsgesetz oder Unternehmensgesetz) erteilt werden könnten.

In Bezug auf Vorschriften, die ausländische Beteiligungen an Handelsun-ternehmen beschränken, sagte der Direktor der Bosch-Vertretung in Vietnam Vo Quang Hue, sein Unternehmen sei behindert worden durch einen neuen Erlaß, der von ausländischen Importeuren verlange, einen einheimischen Exklusivhändler mit dem Vertrieb ihrer Produkte zu beauftragen. Vor diesem Erlaß, so Hue, habe man - ebenso wie viele andere ausländische Investoren - ein weitverzweigtes Handelsnetz auf dem vietnamesischen Markt aufgebaut, ein System, das man nun wegen der Bindung an einen Exklusivpartner aufgeben solle. Dies sei unakzeptabel, nachdem über zehn Jahre lang in den Aufbau eines solchen Vertriebsnetzes investiert worden sei.

Der vietnamesische Anwalt der Firma Nestlé fügte hinzu, es sei schwierig für ausländische Unternehmen, sich auf einen exklusiven Vertriebspartner zu beschränken. Denn dieses Erfordernis bedeute praktisch, daß die Ausweitung der Geschäfte auf dem vietnamesischen Markt behindert würde.

Strengerer Verbraucherschutz

Weltweit entwickeln Länder strengere Standards für Gesundheit und Sicherheit bei Nahrungsmitteln und anderen Gütern. Vietnam ist dabei keine Ausnahme. Ein höherer Lebensstandard hat die Verbrauchernachfrage nach sichereren, höherwertigen und umweltfreundlicheren Erzeugnissen belebt. Der Schutz des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen erfordert aber auch genauere Regelungen und Vorschriften.

Es kann sich dabei sowohl um Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen oder Krankheiten handeln, zur Lebensmittelsicherheit, zur Kennzeichnung von medizinischen Produkten als auch zur Ausstattung von elektronischen Geräten mit Energiesparvorrichtungen oder um Qualitätsanforderungen für Motorradhelme: Diese Anforderungen haben unmittelbare starke Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen; zumindest verursachen sie bei Herstellern, Importeuren, Exporteuren und Händlern erhebliche Zusatzkosten.

Um zu verhindern, daß von den WTO-Mitgliedstaaten erlassene technische Regeln und Standards willkürlich und diskriminierend angewandt werden, hat die WTO ihren Mitgliedern bestimmte Verpflichtungen auferlegt. Diese sind in zwei Abkommen festgelegt: zum einen im Abkommen über Maßnahmen für Gesundheit und Pflanzengesundheit (SPS-Abkommen), zum anderen im Abkommen über technische Handelshindernisse (TBT-Abkommen). Die kurze Geschichte dieser Abkommen ist bereits von erheblichen Streitigkeiten gekennzeichnet. Dabei ging es z. B. um ein australisches Einfuhrverbot für kanadischen Lachs, japanische Maßnahmen gegen Äpfel aus den USA oder EU-Beschränkungen gegenüber Rindfleisch aus den USA und Kanada.

Ein Hauptziel solcher Abkommen ist Transparenz, die auf zwei Arten erreicht werden soll: Erstens müssen alle WTO-Mitglieder sämtliche Regelungen gesetzlicher oder administrativer Art und technische Standards offen legen und an die WTO melden. In einem festgelegten Verfahren können dann andere Länder über das WTO-Sekretariat Einwendungen gegen die gemeldeten Regelungen erheben.

Das zweite Mittel zur Schaffung von Transparenz besteht darin, daß alle Mitgliedsländer verpflichtet sind, für den Bereich des SPS- und des TBT-Abkommens jeweils eine zentrale nationale Anlaufstelle einzurichten, bei der die anderen Mitglieder alle Informationen über nationale Regeln und deren Fundstellen, zuständige Behörden und Institutionen sowie über die voraussichtliche Dauer von Bearbeitungsverfahren abrufen können. Damit soll verhindert werden, daß ausländische Interessenten Opfer unklarer Zuständigkeiten werden.

Durch Erlaß des Ministerpräsiden-ten ist die Nationale SPS-Behörde und Melde- und Auskunftsstelle von Vietnam (kurz: Vietnams SPS-Büro) bereits gegründet worden. Sie untersteht dem Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, obwohl in ihr auch Zuständigkeiten von drei weiteren Ministerien gebündelt werden. Dies führt zu einer Verwaltungserleichterung für die Interessenten. In Kürze sollen das SPS-Büro und seine Informationen weltweit über eine Internetseite erreichbar sein.

Für den Bereich des TBT-Abkommens ist die Vietnamesische TBT-Meldebehörde und Auskunftsstelle (kurz: Vietnams TBT-Büro) geschaffen worden. Sie ist identisch mit der Direktion für Standardisierung, Meßwesen und Qualitätssicherung beim Ministerium für Wissenschaft und Technologie. Das TBT-Büro hat einen Verwaltungsunterbau in allen 64 Provinzen. Es deckt die Zuständigkeiten der Ministerien für Wissenschaft und Technologie1, für Industrie und Handel, für Verkehr, für Bauwesen, für Justiz, für Gesundheit, für Arbeit, für Rentner und soziale Angelegenheiten, für Landwirtschaft und ländliche Entwick-lung, für natürliche Ressourcen und Umwelt und für Kommunikation und Information ab.2

Lebensmittelsicherheit für landwirtschaftliche Erzeugnisse (GAP)

Mit dem Eintritt Vietnams in die WTO, durch den sich die Absatzmärkte für Agrarprodukte erheblich erweitern werden, entsteht dem Land natürlich auch eine wachsende internationale Konkur-renz. In diesem Zusammenhang erweist sich die Einführung von Normen für Lebensmittelsicherheit (Viet GAP) als zwingende Notwendigkeit, um das Anse-hen und damit die Verkaufschancen dieser Erzeugnisse im Ausland zu steigern.

Mit diesem Problem hat sich eine internationale Konferenz in HCM-Stadt unter Beteiligung vietnamesischer und australischer Experten beschäftigt. Die Teilnehmer wiesen auf die Möglichkeiten hin, die der WTO-Beitritt eröffne, den Zugang zu einem Markt mit 5 Milliarden Teilnehmern, der 95 % des welt-weiten Handels umfaßt. Das Volumen dieses Handels beträgt geschätzte 635 Mrd. US-$ jährlich. Gleichzeitig bedeu-tet die Zugehörigkeit zur WTO, daß sich die vietnamesischen Bauern anstrengen müssen, um konkurrenzfähig zu werden.

Gegenwärtig bilden (außer Reis und Kaffee) Obst, Gemüse und Blumen den Hauptanteil der exportierbaren vietnamesischen Agrarprodukte. Trotz ihrer Erfolge auf den Märkten des Auslands werden sie von der Regierung noch nicht ausreichend durch politische Maßnah-men unterstützt, so die Teilnehmer der Konferenz. Während 75 % der gesamten Anbaufläche für den Reisanbau genutzt werden, bleiben nur etwa 15 % für den Anbau von Obst, Gemüse und Blumen übrig. Die Monokultur von Reis mit intensiver Anwendung von Pflanzenschutzmitteln führt zu schädlichen Auswirkungen auf den Anbau von Obst, Gemüse und Blumen. Angesichts dieser Situation ist die Einführung der genannten Sicherheitsnormen insbesondere für diese letzteren Kulturen unerläßlich. Einige Länder wie Malaysia, Thailand oder Singapur haben bereit eigene GAP-Systeme entwickelt. Deren Normen entsprechen aber nicht den Erwartungen der Europäer und der USA, was die Einführung dieser Waren auf die Märkte behindert. 2004 haben die ASEAN-Länder Australien beauftragt, ein gemeinsames System der Lebensmittelsicherheit für die Region zu entwickeln, genannt ASE-AN-GAP, veröffentlicht im November 2006. Das nächste System soll gleichermaßen die asiatischen und die internationalen Normen berücksichtigen.

Auch im Interesse der eigenen Landwirte muß die Entwicklung des Normensystems in Vietnam beschleunigt werden. Das bisherige System, das unter Beteiligung Kanadas und Australiens entwickelt worden ist, läßt noch zu wün-schen übrig. Vo Tong Xuan, Direktor der Universität An Giang (Südvietnam), sagte auf der Konferenz, das System Viet-GAP müsse die Aktivität der viet-namesischen Landwirte und Betriebe unter entscheidender Mitwirkung der Regierung und der betroffenen Ministeri-en anregen und unterstützen.

Anmerkungen:
1 und unter der Internetadresse www.tbtvn.org erreichbar.
2 Die hier mitgeteilten Informationen stammen zum großen Teil von P. R. Vergano, Rechtsanwalt in Brüssel, zit. nach Viet Nam News 19.9.2007.

veröffentlicht im Vietnam Kurier 3-4/2007

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