Frau Nhuc

Eine Erzählung von Mai Phuong

In meinem Dorf gilt Frau Nhuc als wunderlich. Sie ist anders. Irgendwie scheint sie nicht dazuzugehören. Die Kinder rufen ihren Namen, nur damit sie sich umdreht, und starren sie an, als sei sie eine Figur aus einem Buch volkstümlicher Sagen. Gerüchte über ihre Vergangenheit gehen im Dorf um, aber niemand weiß genaueres über ihr Leben oder darüber, warum sie so fremd wirkt, so fehl am Platze, so verloren.

Mich interessiert Frau Nhuc, ich bin begierig, mehr über sie zu erfahren. Ich beobachte sie, betrachte ihr Gesicht, wenn sie den Fluß durchwatet oder die Straße hinunter läuft. Ich kann sehen, daß sie in jüngeren Jahren eine Schönheit gewesen sein muß. Ich möchte mit ihr sprechen, ihre Freundin sein, aber ich weiß, daß Frau Nhuc nie jemandes Freundin war.

***

Es ist die Jahreszeit der Überschwemmungen, und die mitgerissene Erde hat den Fluß rot gefärbt. Ich sitze auf einem umgestürzten Baumstamm, das Kinn in die Hände gestützt, und schaue dem wirbelnden, strudelnden Wasser zu. Alle sind in ihren Booten draußen, um Treibholz für Herdfeuer und Öfen zu sammeln. Alle, bis auf Frau Nhuc. Sie hat kein Boot. Sie rollt ihre Hosenbeine hoch und stapft durch den Schlamm am Rand des Flusses, bis sie auf einen Haufen alten Plunders trifft und darin herum stochert.

Da drüben erhebt sich ein Geschrei. Herr An hat einen Sarg erblickt, der den Fluß hinunter treibt. Sein Sohn hievt ihn an Bord und rudert das Boot ans Ufer. „Wir sollten ihm, wer es auch sei, ein ordentliches Begräbnis geben,“ sagt jemand. „Einen Augenblick, laß ihn erst mal sehen!“

Die Männer hebeln den Sarg auf. Ich erhebe mich, um besser sehen zu können, ich kann einer morbiden Faszination nicht widerstehen. Der Deckel fällt und enthüllt nicht etwa eine Leiche, sondern Dutzende Säcke Reis und ein kleines Stoffbündel. Herr An schnürt es auf. Zum Vorschein kommen zwei goldene Eheringe. Es gibt viel Gerede und Geschrei, und alle drängen sich vor, um einen Blick aus der Nähe zu erhaschen.

Alle, außer Frau Nhuc. Sie hat ein totes Schwein entdeckt, das den Fluß hinunter treibt, und ist dabei, den aufgedunsenen Kadaver aus dem Wasser zu zerren. Ich frage mich, ob die Geschichten vielleicht doch wahr sind, die meine Mutter erzählt: Frau Nhuc schleppe verendete Schweine und Hunde heim und koche daraus Eintopf.

Frau Nhuc hat den Kadaver in einen Korb gepackt und wuchtet ihn auf die Schulter. Ein paar Kinder weiter oben am Ufer lachen und zeigen mit den Fingern auf sie: „Schaut sie an! Es ist ekelhaft! Sogar ein krepiertes Schwein will sie essen!“ Sie fangen an, Kieselsteine nach ihr zu werfen. Ein Junge schleudert eine Handvoll Büffelkot. Wütend fährt sie herum, doch die Kinder zeigen keine Angst. Weitere kommen hinzu, und ein kleines Mädchen beginnt zu singen:

    Nur hergeguckt, nur hergeguckt,
    hier ist die schmutzige, dreckige Frau Nhuc!
    Aber aufgepaßt! Wenn sie dich erwischt,
    kommst du als Abendbrot auf ihren Tisch!

Die anderen Kinder fallen ein, sie drängen sich zu Frau Nhuc hin, der Singsang wird lauter und lauter, schließlich ist sie eingekreist. Da schreit sie vor Angst auf.

Ich kann das nicht länger mit ansehen. Ich marschiere auf die Kinder zu, packe einen Jungen bei den Schultern, stoße ihn grob herum. Er kreischt, und das Gegröle bricht ab.

„Was fällt euch ein!,“ schimpfe ich, „Dieses Schwein gehört meiner Familie. Es ist vom Fluß weggeschwemmt worden, und Frau Nhuc hat es für uns aus dem Wasser geholt!“ Die Kinder sind still, bleiben aber, wo sie sind. „Fort mit euch! Oder es setzt eine Tracht Prügel!“

Die Kinder trollen sich davon. Frau Nhuc wendet sich mir zu. „Danke, ein Glück, daß du hier warst!“ Nach kurzem Zögern sagt sie: „Schau doch einmal bei mir zu Hause vorbei.“ Dann klettert sie die Böschung hinauf, das Schwein über der Schulter. Ich folge ihr in einigem Abstand. Sie begegnet Binh, dem Sohn von Herrn An, hält ihn auf und fragt, eine Hand auf seinem Arm: „Wie geht es Deinem Vater, ist er immer noch krank?“

„Ja,“ antwortet Binh, „und trotzdem schuftet er bis zur Erschöpfung im Garten, weil er meint, die Früchte des Sternfrucht-Baums seien zu sauer.“

Frau Nhuc lädt das Schwein von ihrer Schulter in Binhs Korb. „Grabe das unter dem Baum ein. Die Früchte werden süßer schmecken. Und sorge dafür, daß Dein Vater viel heiße Brühe zu essen bekommt.“

Binh nickt und geht mit dem Schwein davon. Ich schaue Frau Nhuc nach. In der gerade beobachteten Szene hatte sie nicht viel gemein mit der Frau Nhuc der Klatschgeschichten, die abgeschieden in ihrer eigenen Welt lebt und Beistand weder geben noch empfangen mag.

***

Es ist Spätsommer, und der Mond hängt rund und ganz niedrig am Himmel wie eine helle Papierlaterne. Die Nacht ist ruhig und warm, das Dorf scheint friedlich. Frau Nhucs Häuschen steht für sich auf einem eigenen Fleck Land, und das sanfte Mondlicht scheint hinab auf das Strohdach. Ich sitze vor der Tür, während sie sich am Herd zu schaffen macht.

Sie lebt schon ewig hier, so lange jeder zurückdenken kann. Die Hütte hat zwei Räume. Einer wird als Schlafzimmer und als Lagerraum für Kleider, Körbe, Küchenutensilien und Gartengeräte genutzt, der andere dient als Küche und als Schweinestall.

Frau Nhuc kommt heraus und reicht mir eine riesige, dampfende Schüssel mit Reis. Sie läßt sich mir gegenüber auf einen Stuhl nieder und fordert mich auf, zu essen. Ich bin hungrig, und der Reis ist heiß und sättigend. Nach ein, zwei Minuten Schweigen schaue ich auf und sehe, wie sie mich betrachtet. Sie lacht auf, ein langes, tiefes Lachen.

„Du wächst sehr schnell, und bald wirst du eine junge Frau sein. Klare Augen, rosige Wangen, starke Knochen. Ja, du wirst sehr gesund sein.“

Sie bedenkt mich mit einem breiten Lächeln, das alle Falten und Runzeln in ihrem Gesicht auszubügeln scheint, so daß es weich und glatt im Mondlicht schimmert. Ihre weit geöffneten Augen strahlen, ihr Lächeln ist voller Humor. Dies ist eine völlig neue Frau Nhuc, eine ganz andere als die abgezehrte, verhuschte Person, die ich sonst im Dorf umherstreifen sehe.

Sie steht auf, kehrt in die Hütte zurück, nimmt einen Besen und fegt den Fußboden. Aufgescheuchte Kakerlaken stieben davon. Ich bemerke Stellen voller Moos und Moder, wo Regen durch das löchrige Dach und die undichten Wände eingedrungen ist. 

Ein großer Erdhügel versperrt den Zutritt zur Küche, und jedes mal, wenn sie hinein möchte, muß sie mit einiger Anstrengung darüber hinweg klettern. Ich frage sie, warum sie das Hindernis nicht beseitigt.

„Abtragen? Ich habe den Hügel extra aufgeschüttet! Wahrscheinlich denkst du, ich sei verrückt.“

Ich schüttle den Kopf und versuche den Eindruck zu erwecken, als hielte ich es für völlig normal, den Eingang zur Küche durch einen Erdwall zu blockieren.

„Ich habe es getan, damit es gewissen Herren leichter fällt, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern,“ sagt sie. Ich bin ein bißchen erschrocken. Das breite Lächeln ist verschwunden, und ihr Ton ist schneidend und verärgert.

Plötzlich wendet sie sich mir zu, und ich zucke zusammen. Ihre Züge werden etwas weicher. „Gut, ich will dir die Geschichte erzählen.“

Es dauert lange, bis sie alles berichtet hat, mit viel Kopfschütteln und Schreien und Aufspringen. Sie erzählt darüber, wie Herr Ta eines Abends zu ihr kam. Herr Ta ist eine bekannte Figur in unserem Dorf. Er stolziert immer in schickem Anzug und mit Sonnenbrille herum und protzt mit seiner teuren Armbanduhr. Wo er auch geht und steht, hat er seine große, schwere Ledermappe dabei. Ständig ist er damit beschäftigt, mit den Frauen zu schwatzen und zu schäkern, während er die Männer geringschätzig über seine Brille hinweg anzublicken pflegt. Wer ihn nicht kennt, könnte ihn für einen Staatsbeamten oder einen reichen ausländischen Geschäftsmann halten. Ich glaube nicht, daß jemand erraten könnte, was sich in seiner Aktenmappe befindet. Herr Ta verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Kastrieren von Schweinen. Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber in jener schweren Ledermappe ist eine ausgesuchte Sammlung eifrig polierter, sorgfältig geschärfter Werkzeuge. Man muß zugeben, daß Herr Ta wirklich etwas vom seinem Job versteht.

Eines Abends, nach Einbruch der Dunkelheit, kam Herr Ta zu Frau Nhuc. Sie ignorierte seine Gegenwart und fuhr fort, ihre Schweine zu füttern.

„Frau Nhuc,“ rief er sacht, „wollen Sie mich nicht herein bitten?“

„Ich habe keinen Bedarf nach Ihren Diensten, lassen Sie mich in Ruhe.“

Herr Ta betrat die Hütte. „Aber all diese Schweine!“

„Sie haben es gehört: Ich bin nicht interessiert.“

Herr Ta lachte und kam näher. „Na gut, aber wollen Sie mir nicht wenigstens etwas zu essen anbieten?“ flötete er mit einschmeichelnder Stimme.

„Ich habe nichts für Sie. Gehen Sie!“

„Meine Güte,“ sagte Herr Ta, sich umblickend, „Sie leben hier ganz allein … Sie müssen sehr einsam sein …“

Er kam noch einen Schritt näher und streckte seine Hand aus. „Raus!“ schrie Frau Nhuc voller Ärger, „raus aus meinem Haus!“

Herr Ta drehte sich um und ging lachend hinaus.

Dies war nicht das letzte Mal, daß er Frau Nhuc belästigte, er kam immer wieder, manchmal drei- oder viermal die Woche. Schließlich hatte sie es satt und schüttete den Erdhügel auf, um ihn los zu werden, denn sie wußte, er würde nicht seinen schicken Business-Anzug beschmutzen wollen.

Frau Nhuc hat ihre Geschichte beendet und fragt mich: „Hast du schon einen Freund?“ Ich schüttele den Kopf. „Ach, du bist noch zu jung, um zu verstehen, was Liebe heißt, für Leute in Deinem Alter kommt und geht sie wie ein Regenschauer. Ich habe euch gesehen, wie ihr Hand in Hand herumlauft, euch an der Straßenecke küßt, euch vor allen und jedem zur Schau stellt.“

„Erzählen Sie mir noch eine Geschichte, Frau Nhuc,“ bitte ich, bemüht, das Thema zu wechseln.

„Wußtest du, daß ich einmal verheiratet war?“, fragt sie plötzlich. Ich habe es nicht gewußt, und sicherlich ist mir die Überraschung vom Gesicht abzulesen. „Er war ein junger Mann aus diesem Dorf, ich liebte ihn sehr und wir waren glücklich miteinander. Aber dann kam der Krieg.“ Sie hält inne und schaut mir direkt ins Gesicht, ihre Augen klar und reglos. „Mit 21 war ich schon Witwe.“

Ich versuche, mehr über ihren Mann zu erfahren, wie er starb, aber sie antwortet nicht. Ich schaue mich um und stelle fest, daß in der Hütte kein Altar an ihn erinnert. Ich frage warum, und nach einer Weile seufzt sie und sagt still: „Mein Herz brennt allezeit für ihn. Weshalb sollte ich da Räucherstäbchen zu seinem Gedenken anzünden?“

Auf dem Heimweg blicke ich zum Mond hinauf, denke an all die Jahre ihrer Einsamkeit und ihres Leidens, und bin ungeheuer traurig.

Es ist ein brütend heißer Sommer. Die Vormittage sind trocken und stickig, die Nachmittage feucht und schwül. Nachts reißt der Himmel auf, der Regen trommelt auf die Dächer und bringt ein bißchen Erleichterung. Ich liege in meinem Bett und lausche auf den prasselnden Regen über mir.

Die Stille wird gestört durch einen Schrei, einen weiteren, dann den Lärm eines startenden Motorrads. Ich springe aus dem Bett und zur Tür, um zu sehen, was los ist. In Herrn Ans Haus sind die Lichter an, Leute rennen zur Tür hinein und wieder heraus. Ich greife den Schirm, schlüpfe in meine Sandalen und laufe auf das Haus zu. Unterwegs treffe ich auf Frau Nhuc und frage, was passiert ist.

„Es ist Mien, Binhs Frau. Sie ist schon lange Zeit krank gewesen, aber jetzt ist es schlimmer geworden. Die Leute vom Krankenhaus sagen, es sei Leukämie, und sie werde die Nacht nicht überstehen.“

Frau Nhuc eilt weiter, ich bleibe zurück im Regen und schaue ihr nach.

***

Die Beerdigung ist am folgenden Tag. Die beiden Söhne krabbeln in Trauerkleidung herum. Der eine ist gerade zweieinhalb, der andere noch ein Säugling. Man versucht, das Baby durch Füttern zu beruhigen, aber es schreit nach seiner Mutter. Ich sehe, wie Frau Nhuc den Kopf hängen läßt und Tränen ihre Wangen hinunter rollen.

Nach der Beerdigung sitzt Herr An zusammengesunken auf einem Stuhl. Er schaut niemanden an, redet mit keinem, nur dann und wann entzündet er ein Räucherstäbchen auf dem Altar und spricht ein Gebet. Frau Nhuc übernimmt es, die Trauergäste zu bewirten.

***

Einige Monate später beginnt das Gerücht umzugehen, daß Herr An Frau Nhuc heiraten werde. „Ach, sie ist hinter ihm her, weil er in so einem großen Haus wohnt,“ meinen manche. Und andere sagen: „Aber so kurz nach der Beerdigung! Und schon will sie sich ihn krallen!“

Einige Männer, die miteinander über einer Flasche Wein schwatzen und lachen, lehnen sich in ihren Sesseln zurück und sagen: „Sie ist immer noch eine ziemlich reizvolle Frau, sogar in ihrem Alter! Der alte An hat schon das richtige vor!“

Die Leute halten mich auf der Straße an: „Du hängst doch immer bei Frau Nhuc herum, was erzählt sie dir denn?“

Ich zucke die Schultern und gehe weiter. Um ehrlich zu sein, bin ich ein bißchen enttäuscht von Frau Nhuc. Die Familie ist doch mitten in der Trauerzeit. Und warum hat sie mir gegenüber nichts erwähnt?

***

Ich besuche die Familie An und bringe den Kindern etwas gerösteten Mais mit. Frau Nhuc ist da, sie unterbricht ihre Arbeit am Herd, als sie mich sieht, und schaut mir besänftigend in die Augen.

„Glaube nicht alles, was du hörst,“ sagt sie, „ich komme hierher, um zu helfen, und ich erwarte keinen Lohn.“ Sie bringt Herrn An, der am Küchentisch hockt, eine dampfende Schale Haferbrei. Er ist mager, dürr, fast scheinen seine Knochen das Hemd zu durchbohren. Frau Nhuc setzt sich neben ihn und füttert ihn Löffel für Löffel mit dem Haferbrei. Sie ist außerordentlich sanft, flüstert ihm ständig tröstliche Worte zu. Als sie fertig sind, kommen die Kinder herein gerannt, und sie zieht sie in ihren Schoß. „Meine armen Babys!“ ruft sie, und sie bergen ihre Gesichter an ihrer Brust. Ich wende mich ab und gehe. Ein großer Stein ist mir vom Herzen gefallen.

***

Ich sitze am Ufer des Flusses, strecke meine Füße ins kühle Wasser. Es ist wieder Vollmond, und ich schaue den Wellen nach, die flüssigem Silber gleichen. Ich bemerke ein Licht in Frau Nhucs Haus, und gehe sie besuchen. Sie steht über den Herd gebeugt, wärmt einen Topf Kleie für die Schweine. Als sie mich hört, dreht sie sich um, das Gesicht tränenüberströmt. Sie zieht mich auf die Bank und rückt ganz nah zu mir.

„Ich erzähle dir das, weil ich glaube, du wirst es verstehen und nicht weiter tratschen. Ich liebe Herrn An und die Kinder sehr. Er und ich sind alt, und wir haben nicht mehr viel Zeit. Der Arzt sagt, er habe ein schwaches Herz und werde den nächsten Sommer nicht mehr erleben. Aber er darf es nicht wissen, sonst gibt er die Hoffnung auf, legt sich nieder und stirbt, und die Kinder brauchen ihn doch!“

Mein Herz zerspringt fast vor Kummer und Mitleid mit Frau Nhuc. Ich öffne den Mund, aber ich finde keine Worte. Sie steht auf und wischt sich die Tränen ab, dann reicht sie mir eine Flasche Orangensaft.

„Du solltest jetzt gehen,“ sagt sie sanft, „bitte bringe das auf Deinem Heimweg bei Herrn An vorbei.“

Ich nehme die Flasche und gehe zu Herrn An. Er lehnt an der Wand und raucht seine Pfeife.

„Ich soll Ihnen das hier geben, es ist von Frau Nhuc.“

„Danke,“ antwortet er und stellt die Flasche neben sich. Er schaut mich eine lange Weile an, bevor er spricht: „Du besuchst sie oft, nicht wahr?“ Ich nicke. Er zieht an seiner Pfeife. „Du bist jung, aber ich sehe, daß du ein weises Herz hast. Ich will dir etwas sagen, weil ich weiß, daß du es niemandem weiter erzählst. Ich werde nicht erleben, wie diese Kinder aufwachsen. Mir bleiben nur noch ein paar Tage. Sie weiß nichts davon. Nicht einmal mein Sohn weiß Bescheid. Sie hatte ein einsames Leben, und bald werde ich sterben und sie wird wieder allein sein. Verstehst Du, was ich sage?“

Ich nicke wieder, und er fängt an zu husten. „Geh jetzt. Laß einen alten Mann mit seinen Gedanken allein. Und denke daran, erzähle niemandem, was ich gesagt habe.“ Ich eile fort, die Tränen rinnen mir über die Wangen.

Mir ist nicht danach, heim zu gehen. Ich kehre zurück zum Fluß und schaue zu, wie das Silberwasser weiter und weiter fließt. Der Himmel ist voller Sterne, und die warme nächtliche Brise verbreitet den Duft von frisch gemähtem Gras. Das Wasser wird dunkel, und aufblickend sehe ich, wie sich Wolken vor das Mondlicht schieben. Ich schließe die Augen und lausche dem leisen Plätschern des Flusses gegen die Böschung. Als ich die Augen wieder öffne, sind die Wolken vorbei gezogen, und der Mond leuchtet erneut hell herab.

Quelle: VNS 2.3.2003
Aus dem Englischen (von Hoang Tuy)
ins Deutsche übersetzt von Marianne Ngo

Veröffentlicht in: Viet Nam Kurier, 3/2003

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