Müll und Leidenschaft

Eine Kurzgeschichte von Ho Anh Thai

IHR eigentümliches Talent brachte oft alles durcheinander. Und all die verzwickten Umstände hatte sie sich selbst zuzuschreiben.

Zum Beispiel heute abend. Sie hatte großen Aufwand getrieben, sich in der Badewanne geaalt, ihren Körper in verführerisches Parfüm getaucht. Sie hatte sich die Mühe gemacht, das Zimmer mit Rosenduft zu tränken, indem sie eine parfümierte Kerze entzündete, die in einer Schale aromatischen Öls stand. Sie hatte eine Vase mit Blumen auf den Tisch gestellt. Die Flammen zweier rauchloser Kerzen tanzten in den Ecken des Schlafzimmers. Serenadenklänge von einer CD erfüllten den Raum.

All das war für IHN, ihren Ehemann. Um seine Leidenschaft zu wecken. Um ihn zu verführen. Und sie war am Ziel ihrer Wünsche. Er hatte die Arme um ihre Hüften geschlungen und sie an sich gezogen, so wie man ein Schatzkästchen heranzieht, bevor man das Siegel erbricht. Das Schatzkästchen in diesem Fall ergab sich willig den forschenden Händen; es versprach Kostbarkeiten in seinem Inneren.

Aber ...

Plötzlich sprang das Schatzkästchen aus dem Bett. Plötzlich kam SIE zu sich, schüttelte die Rolle eines unbelebten Schmuckstücks ab. Das heißt, sie wurde wieder zur Frau mit der feinen Nase. Ihre Augen blitzten. Blickten nach rechts. Und nach links. Und nach rechts. Ihre Nase zuckte und zuckte, schnüffelte und schnüffelte. Rechts. Und links. Und rechts. Ihr Zeigefinger deutete hierhin und dahin, pickte und pickte, als ob sie ein unbekanntes Objekt anpeilen würde. Nach rechts. Und links. Und rechts.

"In diesem Zimmer ist eine tote Ratte," murmelte sie.

"In diesem Zimmer ist eine tote Ratte," wiederholte sie wie einen liturgischen Gesang.

Der Ehemann greinte. Wie ein Fischer, dem gerade durch einen blöden Zwischenfall ein dicker Fisch entwischt war.

Aber die Größe des entschlüpften Fisches spielte keine Rolle. SIE hatte völlig den Grund ihrer abendlichen Anstrengungen vergessen. Das Paar wälzte das Bettzeug um und um auf der Suche nach der Ratte. Sie richteten ihre Taschenlampen in die dunkelsten Ecken. Zogen polternd Schubladen heraus, rissen Kisten und Kasten auf. Endlich führte sie der durchdringende Geruch nach toter Ratte zum richtigen Ort. Sie schrie. Hier ist es. Direkt hinter dem CD-Player, der immer noch ausgewählte Serenaden spielte, lag die tote Ratte. Nicht weit von der Schale mit nach Rosen duftendem Öl. Die Ratte war am Abend gegen 7 Uhr gestorben. Und im selben Moment begann sie zu verwesen und zu stinken. SIE nahm den Gestank wahr. Sofort. Nicht eine Sekunde später. Die Ratte war an dem Gift gestorben, das der Ehemann gekauft und in der Ecke ausgelegt hatte. Es enthielt rotgefärbte Reiskörner, und auf der Packung stand, daß die Ratten, nachdem sie den vergifteten Reis gefressen hätten, nach draußen ins Helle laufen würden, so daß man nicht nach ihnen zu suchen brauche. Sammeln Sie einfach ihre Leichen ein. Aber die Realität ist immer anders als das Etikett verspricht.

Die Vietnamesen bezeichnen diejenigen, die sich in einer bestimmten Sache hervortun, als "Meister". So hatte der Ehemann IHR den Spitznamen "Meisterschnüfflerin" zuerkannt. Sie konnte die Quelle eines jeden Geruchs erschnüffeln, so wie ein Hund eine Spur aufnimmt. Eines Abends brachte er den Abfalleimer hinunter, ging zum Ende des Wohnblocks und leerte ihn in die Mülltonne. Dann kehrte er in die Wohnung zurück, wusch den Abfalleimer in der Küche aus und hatte so bewundernswert seine Pflicht erfüllt. Aber. Nach dem Essen rümpfte die Meisterschnüfflerin ihre Nase, so wie sie es immer tat, wenn sie etwas ungehöriges erschnupperte. "Ich rieche gammelige Zitrone," sagte sie. "Du mußt etwas im Eimer übersehen haben. Du hast nicht alles ausgekratzt. Da muß irgendwo noch ein Stück Zitronenschale drin sein."

Nun war der Ehemann überzeugt, daß er seine verantwortungsvolle Pflicht als Abfallentsorger sorgfältig und sachkundig erfüllt hatte. Er war sehr sicher, daß die Meisterschnüfflerin sich den Geruch nur einbildete. Da stieg SIE auf zum Gipfel ihrer Meisterschaft und erklärte, diese Zitrone sei eigentümlich, ganz anders als die Zitronen, die sie verwendeten. Es sei eine chap-Zitrone, mit gelber Schale und groß wie eine Orange. Damit habe die Meisterschnüfflerin eine neue Stufe der Verblendung erreicht, betonte ER. In diesem Haushalt sei nie diese Art von Zitrone verzehrt worden.

Gut, laß uns wetten, sagte die Meisterschnüfflerin. Wenn sie verliere, werde sie eine ganze Woche lang anstelle ihres Ehemannes den Abfall hinunter bringen. Wenn er verliere, werde er weiterhin seinen noblen abendlichen Pflichten als Abfallentsorger und Tellerwäscher nachkommen.

Natürlich verlor ER.

Sie nahmen die Küche auseinander, konnten aber zunächst das unbekannte Objekt nicht finden. Aber dann schrie die Meisterschnüfflerin hier ist es, und der Ehemann vertraute nicht mehr darauf, von seinem Abfallposten entbunden zu werden. Triumphierend stülpte SIE den Abfalleimer um. Am Boden des Plastikkübels haftete ein Stückchen feuchter, klebriger Zitrone, von der Sorte, die groß ist wie eine Orange und eine gelbe Schale hat. Es war ein Stückchen chap-Zitrone. Da erst fiel dem Ehemann wieder ein, daß er, nachdem er den Abfall in den Müllkarren geleert hatte, den Kübel an einem Baum abgestellt und die Gelegenheit zu Freiübungen genutzt hatte. Deine einzige Pflicht, und nicht einmal die kannst du ordentlich erledigen, nörgelte die Meisterschnüfflerin.

Sein Leben wurde bestimmt durch den Glockenschlag der Müllabfuhr. Er plagte ihn wie ein Geist. Jeden Abend um 6 Uhr, wenn das Bim-Bam von der Straße hochschallte, sprang er auf, schnappte sich den Abfallkübel und spurtete hinunter. Natürlich hatte er alles sorgfältig vorbereitet. Die volle Tüte in die halbvolle umgefüllt. Den großen Abfallsack in den kleinen gesteckt. Vorsichtig, um nichts zu verschütten. Falls auch nur ein kleines Müll-Restchen zurückbliebe, würde die Meisterschnüfflerin die ganze Wohnung auf den Kopf stellen, um es aufzuspüren. Sie würde murren und nörgeln. Müll war ihr Erzfeind. Der Glockenschlag der Müllabfuhr hallte bis in seine Träume.

Aber eine Zeitlang schien die Meisterschnüfflerin fast geschlagen. Sie nahm einen Geruch wahr, konnte aber nicht feststellen, woher er kam. Sie war außerstande, die Quelle, die Ursache, den Grund zu finden. An jenem Abend hielt sie sich eng an ihren Ehemann. Er saß am Computer. Tagsüber bei der Arbeit im Büro saß er vor seinem Computer, und abends zu Hause machte er das Gleiche. Süchtig. Eine neue Art Rauschgift. Schwer loszuwerden. Und da war die Meisterschnüfflerin, die über ihm kreiste wie ein Aufklärungs-Flugzeug über einem Angriffsziel. Was ist denn, fragte er nervös. Er fürchtete, daß die Meisterschnüfflerin wegen eines verdammten eingebildeten Geruchs die ganze Nacht lang herumpoltern würde. Die Meisterschnüfflerin antwortete nicht. Sie konzentrierte sich ganz und gar auf ihren Geruchssinn. Ihre Nase war empfänglich für den geringsten Dufthauch. Sie nahm ihn wahr als flüchtige Anhaftung am Körper ihres Ehemanns, als schwache Ausdünstung in der ihn umgebenden Luft. Leise näherte sich die Meisterschnüfflerin ihrem Ziel. Sprach murmelnd mit sich selbst. Quatsch! Unsinn! Plötzlich packte sie den rechten Arm ihres Ehemanns und riß ihn hoch. Dann den linken. Er saß da wie ein kapitulierender Soldat, beide Hände hoch erhoben. SIE schnüffelte an seinen Achselhöhlen. Nein. Bestimmt nicht. Kein schlechter Geruch dort. Seine Achselhöhlen waren durch Deodorant gewappnet. Sie konnten nicht stinken. Sie stanken nie.

Es war ein unlösbares Rätsel.

War die Meisterschnüfflerin verrückt geworden? Sie war geruchsempfindlich. Sie war geruchsbesessen. Sie war geruchsgeplagt. Geruch brachte sie auf. Und nun brachte sie Geruch durcheinander.

Eine weitere Spur vertiefte ihre Verwirrung. Der Ehemann begab sich auf eine fünftägige Dienstreise in den Süden. Während dieser fünf Tage mußte die Meisterschnüfflerin eigenhändig den Müll hinunterbringen. Anschließend ging sie wieder nach oben in die Wohnung. Wie üblich. Aber zweimal lief sie zur falschen Wohnung. Zweimal stieg sie unbewußt weiter die Treppe hinauf, bis sie sich plötzlich im dritten Stock wiederfand. Wie kam das denn? Ihre Wohnung war im zweiten Stock, nicht im dritten. Beide Male kam sie vor der gleichen Wohnungstür wieder zu sich: Wohnung Nummer 315. Die Quersumme ergab 9. Eine womöglich in allen Glücksspielen beliebte Ziffer. Verunsichert stand die Meisterschnüfflerin eine Weile vor der Tür und betrachtete prüfend die Zahl. Wie eine hartgesottene Detektivin, die ihre Zielperson bis zu einem bestimmten Ort verfolgt und dann jede Spur verliert. Doch auch ohne konkreten Anhaltspunkt blieb die Detektivin argwöhnisch.

Was brachte sie zu der falschen Wohnung? Zweimal. Anscheinend hatte sie nicht die üblichen Merkmale Raum, Farbe und Licht für den Heimweg genutzt, sondern war stattdessen einer gewissen Duftspur gefolgt. Da sie aber anhand des Geruchs vermeintlich ihre eigene Wohnung geortet hatte, mußte ihr ein Fehler unterlaufen sein. Ein schwerer Fehler.

Ganz bestimmt würde sie ihrem Ehemann bei seiner Rückkehr nichts davon erzählen. Denn dann würde sie als Meisterschnüfflerin beträchtlich an Glaubwürdigkeit verlieren.

* *
*

In Wahrheit war der Meisterschnüfflerin bei der Identifizierung des ranzigen Achselhöhlengeruchs kein Fehler unterlaufen. Der Hintergrund wird im Folgenden knapp und der Chronologie entsprechend dargelegt.

Es begann so: Jeden Abend um circa 6 Uhr lief der Ehemann hinunter, um am Ende des Wohnblocks den Müll zu entsorgen. Bim bam, bim bam. Er hörte die Glocke. Seine Reaktion erfolgte automatisch. Es ist eine Frage vorhergehender Konditionierung. In der Schule, in der Fabrik oder im Amt nimmt man die Mahlzeiten mit dem Glockenschlag ein. Der Drill in der Armee erfolgt nach dem Glockenschlag. Glockengeläut wurde sogar während des Krieges als Alarmsignal eingesetzt, wenn feindliche Flugzeuge sich näherten, und danach, um das Entwarnungszeichen zu geben. Bim bam, bim bam.

Der Ehemann schnappte den Abfallkübel und sprintete los. Käme er zu spät, müßte er einen Marathonlauf hinlegen, um den Müllkarren einzuholen. Er konnte sich nicht leisten, zu spät zu kommen. Eine Minute Verspätung, und die Meisterschnüfflerin würde kreischen: Müllabfuhr! Müllabfuhr! Einmal war der Karren rasch vorübergefahren, wie ein vom Wind verwehtes Gespenst, und er mußte ihm einen ganzen Kilometer hinterherrennen und geriet völlig außer Puste.

An genau diesem Tag, als er dem gespenstischen Müllkarren hinterherhetzte, fand er plötzlich einen Partner im Rennen. Genauer, eine Frau rannte vor ihm her. Sie trug ein T-Shirt, Sport- Shorts und Laufschuhe, als ob sie das Problem vorhergesehen hätte - Müllentsorgung als Marathonlauf. Er hatte ein ärmelloses Unterhemd an und einfache kurze Hosen, das, was er überwarf, wenn er schnell aus der Wohnung stürzte. Er legte noch an Tempo zu, um sie einzuholen. Sie war schön. Die Art von Schönheit, die man nur in der Dämmerung sieht. Wahre Schönheit.

Vor ihnen entschwand der Müllkarren, wie ein schmollender Liebhaber. Die Müllwerkerin, die den Karren schob, verspürte plötzlich den Drang, sich für ihr unangenehmes Los zu rächen. Zweifellos eine Art Minderwertigkeitskomplex. Ringsumher führten die Leute ihre sauberen, wohlriechenden Kleider vor, stiegen auf ihre Motorroller, stiegen ab, schlängelten sich brummend durch den Verkehr. Die Müllwerkerin ärgerte sich, und machte sich auf der Straße immer breiter. Sie schob den Karren vorwärts, dann hielt sie an, und tat so, als könne sie sich nicht recht zur Weiterfahrt entschließen. Absichtlich blockierte sie mit dem Karren die Straßenkreuzung, und verursachte einen Verkehrsstau.

Genau in diesem Moment bogen der Ehemann und die schöne Frau in die Zielgerade ein. Wie ein Bollwerk stand der Karren mitten auf der Straße. Beide stoppten ihren Lauf, als wären sie an einem Flußufer angelangt. Als ob man sie gejagt hätte und sie keinen Ausweg mehr sähen, vor sich den Fluß als Hindernis. Sollten sie stillstehen oder in die Fluten springen? Sie zögerte. Er sprang. Sofort. Riß ihr den Müllbeutel aus der Hand und warf sich ins Straßengetümmel wie ein Krieger, der bereit ist, sein Leben hinzugeben.

In ihren Augen war das eine Heldentat.

Aber eine Heldentat ist nicht so leicht vollbracht. Zuerst kippte er seinen Abfalleimer in den Karren, dann schleuderte er ihren Müllbeutel hinterher. Der Müllbeutel platzte, und sein Inhalt verstreute sich auf die Straße. Die Müllwerkerin starrte immer noch grimmig auf die anderen Fahrzeuge, als wären sie die verdammten Idioten, die ihren Karren blockierten. Und als ob sie ihnen mitteilen wollte, ich mache diesen Job nur vorübergehend, und bald finde ich eine saubere, gutriechende Arbeit, und dann bin ich hier weg. Als der volle Müllbeutel platzte, stand sie nur mit großen Augen da. Er mußte schnell sein. Ein langstieliger Besen und eine langstielige Schaufel lagen quer auf dem Wagen, so daß jeder unachtsame Passant sich die Birne daran stoßen konnte. Er griff zu, kämpfte an allen Fronten, kehrte und schaufelte, putzte im Nu.

Als er zurückrannte und auf den Bürgersteig sprang, wirkte er wie ein Mann, der sich gerade mutig in die Fluten gestürzt und einen Ertrinkenden gerettet hatte. Nun wurde es dunkel. Die beiden schlenderten heimwärts, es war ihre erste Gelegenheit für ein Gespräch. Sie beklagte die Unprofessionalität, die sich im Land breit machte. Verkäufer und Kellner musterten frech die Kundschaft und versuchten den Eindruck zu erwecken - und manchmal sagten sie es sogar rund heraus - daß sie nicht in diese niedrigen Jobs gehörten, daß sie diese Arbeiten nur vorübergehend verrichteten, als Lückenfüller vor ihrem Weg nach oben. Überall war es das gleiche, unter Bauern, Arbeitern, Programmierern, Ingenieuren, Geschäftsleuten, Staatsbediensteten. Alle waren überzeugt, ihnen stünden höhere, sauberere, verlockendere Posten zu. Zufriedenheit mit ihrer Stellung zu zeigen, würde sie ihrer Auffassung nach minderwertig und lächerlich erscheinen lassen.

"Der Geist der Unprofessionalität nimmt überhand," wiederholte sie.

Er nickte. Sie verfügte über beides, Schönheit und Intellekt. Er beeilte sich hinzuzufügen, daß die gleiche Unprofessionalität auch in der Literatur und der Kunst verbreitet sei, in der Technologie, der Wirtschaft und im Handel. In der Filmindustrie zum Beispiel arbeiteten Drehbuchautoren als Regisseure, Musiker und Maler als Schauspieler, Darsteller inszenierten, und Grafiker nähten die Kostüme. Jeder sei ein Amateur. Und selbst Profis gäben sich schnell zufrieden mit dem, was sie gerade produzierten - sie bewerteten etwas mit vollen zehn Punkten, das tatsächlich gerade mal fünf oder sechs verdiente. Ihre Vorfahren früher prägten den Spruch: "Neun gilt so gut wie Zehn." Heutzutage brauche es nur fünf, um eine zehn zu kriegen. So sei eben alles unausgegoren und laienhaft.

Jetzt war es an ihr, zustimmend zu nicken. Dieser Typ besaß beides, Mut und Verstand!

Vietnamesen sind der Auffassung, daß Frauen die Tüchtigen lieben und Männer die Schönen. Und so waren die beiden sofort von einander angetan. Es war genau an jenem Tag, an dem die Meisterschnüfflerin so viel Zeit darauf verwendete, das Zitronenstückchen zu suchen und schließlich zerquetscht am Boden des Abfallkübels zu finden. Es war dort haften geblieben, als der Ehemann den Kübel auf der Straße abgestellt und den verstreuten Müll zusammengekehrt hatte.

Aus der gemeinsamen Abfallentsorgung erwuchs die Leidenschaft. Von nun an wartete der Ehemann jeden Tag ungeduldig auf die Müllabfuhr. Bim bam, bim bam. Er pflegte noch einen Augenblick zu verharren, um der Nachbarin vom dritten Stock Zeit zu geben, hinunterzulaufen. Und dann schätze er ab, wie lange die schlechtgelaunte Müllwerkerin brauchte, um ihren Karren noch ein Stückchen weiter zu schieben. Dann packte er seinen Abfallkübel und rannte los. Je größer die Entfernung war, die er zurücklegen mußte, desto mehr Zeit hatte er für ihr Zwiegespräch gewonnen. Und eines Tages fanden die beiden bei ihrer Rückkehr von der gemeinsamen Abfallentsorgung das Treppenhaus leer. Da traute er sich nach oben in ihre Wohnung. An diesem Tag bereitete sie einen Zwiebelsalat zu und nahm dazu eine besondere Zitrone mit einer tiefgelben Schale, eine chap. Sie führten ihren unterwegs begonnenen Disput fort, unter anderem darüber, daß der Sammelbegriff Zitrusfrucht viele Sorten umfasse wie Orange, Grapefruit, Zitrone und chap.1

Es war an diesem Abend, als die Meisterschnüfflerin ihren heimgekehrten Ehemann umkreiste, um herauszufinden, was den schrecklichen Geruch verursachte, der seinen Achselhöhlen entströmte. Tatsächlich waren die Zwiebeln im Salat der Nachbarin schuld. Der Ehemann hatte in ihrer Küche herumgehangen und war mit den Zwiebelresten in Kontakt gekommen, die im Abfall verrotteten und ihren typischen Gestank verströmten, der nur durch Deodorant zu überdecken ist.

Wie bei jeder Affäre mußten auch die beiden Müllentsorger Ränke schmieden, um ihre Zusammenkünfte zu ermöglichen. Sie brauchten nicht nach einem Hotel zu suchen. Die Wohnung der Nachbarin stand bereit. Aber sie mußten sich so hastig hinein- und herausstehlen, daß ihnen etwas fehlte, und sie bedauerten diesen Verlust. Eines Tages erfand der Ehemann einen Vorwand sowohl für sein Büro als auch für seine Frau. Er reise, so sagte er, Richtung Süden in die Landesmitte. Fünf Tage. Aber seine "Landesmitte" befand sich im dritten Stock seines Hauses. Für fünf Tage setzte er sich in der Wohnung fest. Das Paar genoß eine Überdosis an Essen und Liebe. Schließlich, erschöpft und zerzaust, lagen sie still nebeneinander und unterhielten sich über die Meisterschnüfflerin. Er enthüllte das besondere Schnüffeltalent seiner Ehefrau. Schnuppern. Und Schnüffeln. Einmal die Spur aufgenommen, und sie entdeckte alles. Eines Tages wird sie sogar diese Wohnung ausschnüffeln, scherzte er.

Schluß mit dem müßigen Gerede! Aber wie sie da in der Wohnung beieinander lagen, kapierten sie nicht, daß das kein Scherz war. Genau in diesem Moment nämlich stand die Meisterschnüfflerin verunsichert vor der Tür. Wohnung 315. Nach zwei Tagen Abfallentsorgung nahm sie es schon hin, im dritten Stock zu landen. Sie war nur nicht in der Lage, die Düfte aus dieser Wohnung zu analysieren. Das überraschte sie. Höchstwahrscheinlich hatte sie die Spur ihres Ehemanns aufgenommen und verfolgt, bis diese sich hinter der Tür von 315 verflüchtigte. Es kann auch sein, daß sie den fauligen Zwiebelgestank wahrgenommen hatte, der ihr vertraut war, weil er damals am Körper ihres Mannes haftete. Diese Gerüche zogen sie in den dritten Stock. Aber wenn sie dann vor dieser Wohnung stand, war ihr nicht klar, was sie hierher getrieben hatte.

Hinter dieser Tür brauchte der Ehemann fünf Tage lang nicht die Müllglocke abzupassen. Bam bam, bam bam. Die Wohnung im dritten Stock war dicht verschlossen, und er hörte das Gebimmel nicht. Aber die Nachbarin achtete jeden Tag auf die Zeit und brachte ihren Abfall hinunter. Sie erklärte, alle Schnüffelfähigkeiten müßten vor ihren großen Zitronen kapitulieren. Schneide einfach eine Zitrone entzwei, versprühe den Saft in der Küche, und jeder Geruch wird überdeckt. Mußt du eine Spur beseitigen? Träufle einfach Zitronensaft darüber.

Die beiden wußten nicht, daß das Schicksal es ihnen bestimmt hatte, sich selbst zu verraten. Keine Notwendigkeit für die Meisterschnüfflerin, Witterung aufzunehmen. Keine Notwendigkeit für Augen und Ohren der Gerüchteküche, etwas aufzudecken und zu melden. Keine Notwendigkeit für einen Privatdetektiv und eine schlaue Falle. Ein laienhafter Geist herrschte vor im Land. Einem laienhaft geschobenen Müllkarren war eine laienhafte Liebesaffäre entsprungen. Eines Abends unterlief dem laienhaften Liebhaber ein folgenschwerer Fehler, als er das Fenster weit aufriß, das tagelang fest geschlossen gewesen war. Sogleich drang das Gebimmel der Müllglocke in die Wohnung. Bam bam, bam bam. Völlig unerwartet. Seit Tagen hatte der Ehemann es nicht vernommen. Und jetzt durchdrang es sein Trommelfell wie Nadelstiche. Bam bam, bam bam. Er sprang auf die Füße. Mein Gott, warum bin ich nicht bereit? Jeden Moment wird der Müllkarren vorüber sein. Wo ist der Abfallkübel? Wo ist der Kübel?

Er schnellte aus seiner Dösigkeit hoch, schoß aus der Tür ins Treppenhaus hinaus und schnappte den wohlverschnürten Müllbeutel, der neben der Tür bereit stand. Er sprang immer zwei Stufen auf einmal hinunter - und krachte mit einer Person zusammen, die im zweiten Stockwerk gestartet war. Die Person fiel um. Er beugte sich schnell hinunter, um zu helfen, doch da blieb sein Blick an einem Abfallkübel haften, der die Stufen hinunter und hinunter rollte. Wobei er Abfall ausspie.

Sein Abfallkübel.

Er wandte sich der Person zu, der er gerade auf die Beine geholfen hatte. Die Meisterschnüfflerin. Seine Ehefrau.

"Seit wann bist du zurück?", schrie sie.

Der Ehemann hatte lediglich ein ärmelloses Unterhemd an und labbrige kurze Hosen, die alle Ausbuchtungen seines Körpers offenbarten. Es war das, was er für gewöhnlich zu Hause trug. "Entsorgst du den Müll einer anderen?", heulte sie.

Sie hatte die Lage sofort erfaßt.

* *
*

Eifersucht trübt die Sinne. Die Meisterschnüfflerin hätte in der Lage sein müssen, dem Körpergeruch und dem Abfallgestank bis zur Wohnung 315 zu folgen. Stattdessen zerrte sie ihren Ehemann in ihre Wohnung. Brüllend. Wieso arbeitest du in Unterhemd und Shorts? Wo ist dein Hemd, deine Hose, deine Aktentasche? Während sie Fragen stellte, wurde ihr klar, daß sie nach diesen Objekten suchen mußte. Sie öffnete die Tür und fand davor die vermißten Kleider und Gegenstände. Hose, Hemd und Aktentasche. Genug! Wer hatte das gebracht? Gab es hier einen Hausgeist?

Die Nase der Meisterschnüfflerin zuckte. Wiederholt schnüffelte sie. Aha, diese Richtung! Mit ihrem Zeigefinger als Kompaß lief sie geradewegs hoch in den dritten Stock, der Spur ihres Mannes nach. Ein schwacher Hauch. Vage. Vermischt mit Zwiebelgeruch. Je höher sie stieg, desto schwächer wurde die Spur. Aber sie folgte ihr weiter.

Sie lief schnell hoch. Im dritten Stock hielt sie an.

Plötzlich verschwand jeglicher Körpergeruch, jeglicher Zwiebelgestank. Keine Spur mehr davon. Stattdessen erfüllte ein intensiver, überwältigender Geruch die Luft. Es war ein angenehmer Duft, frisch und rein. Er breitete sich im ganzen Flur aus, drang aus allen Wohnungstüren, nicht nur aus einer. Zitronenduft. Der großen Sorte mit der gelben Schale. Und der Duft war frisch, unterschied sich von dem Duft einer normalen Zitrone, einer Orange oder Grapefruit. Er erfüllte die Luft, ein Duft, den man nur freudig schnuppern, den man aber niemals wie ein Jagdhund bis zu seinem Ursprung verfolgen konnte.

Anmerkung:
1 Wortspiel des Autors: chanh chap (große Zitrone) klingt gesprochen genauso wie tranh chap (ein Streit)

Quelle: Ho Anh Thai : Garbage and Passion, in VNS 15.2.2009
Deutsch von Marianne Ngo nach der englischen Fassung von Ho Anh Thai and Wayne Karlin

Ho Anh Thai wurde 1960 in einem Dorf in der Provinz Nghe An geboren. Als er 17 Jahre alt war, lagen schon die ersten literarischen Veröffentlichungen vor. Inzwischen sind eine Reihe von Romanen und Bänden mit Kurzgeschichten von ihm erschienen, von denen einige auch im Ausland veröffentlicht wurden (Indien, USA, Frankreich, Rußland und Japan).
Ho Anh Thai lebt heute in Hanoi und ist seit 1988 Mitglied des vietnamesischen Schriftstellerverbands.

Veröffentlicht in: Viet Nam Kurier 1/2009

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